Was Frauke Brosius-Gersdorf vorgeworfen wird – und warum es nicht haltbar ist
Manche in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin verhindern. Die vorgebrachten Gründe überzeugen jedoch nicht.
IMAGO/Metodi Popow
Frauke Brosius-Gersdorf: Die gegen sie vorgebrachten Vorwürfe sind nicht überzeugend.
Die SPD hält an der Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Amt einer Verfassungsrichterin fest. Ihre Wahl war am Freitag auf Wunsch der CDU/CSU von der Tagesordnung des Bundestags genommen worden. Allerdings hat die SPD für diesen Richterposten das Vorschlagsrecht und die CDU/CSU kann einen Vorschlag nach der üblichen Praxis nur ablehnen, wenn die vorgeschlagene Person oder die von ihr vertretenen Inhalte völlig inakzeptabel sind. Dafür gibt es jedoch bisher keine Anzeichen.
Plagiatsvorwürfe und Haltung zur Abtreibungen
Doktorarbeit: Vordergründing ging es der Union am Freitag um mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten. Der österreichische „Plagiatsjäger“ Stefan Weber hatte 23 Textstellen in der Doktorarbeit von Brosius gefunden, die mit der Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus Gersdorf übereinstimmen. Inzwischen hat Weber klargestellt, dass er Brosius-Gersdorf keinen Plagiatsvorwurf macht. Es ist auch keineswegs naheliegend, dass sie in den 1990er-Jahren bei der Arbeit ihres Mannes abgeschrieben hat, denn sie hat ihre Arbeit zuerst veröffentlicht. Wahrscheinlicher ist, dass das damals schon verheiratete Paar manche Gedanken gemeinsam entwickelt hat, ohne das ausreichend kennzuzeichnen. Falls sich dieser Lapsus überhaupt belegen lässt, dürfte er Brosius-Gersdorf nicht unwählbar machen.
Abtreibung: In Wirklichkeit ging es der CDU/CSU aber vor allem um Brosius-Gersdorfs Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Rechtsprofessorin war in der vergangenen Wahlperiode Mitglied einer Regierungskommission, die eine mögliche Reform des Abtreibungsrechts prüfen sollte. Brosius-Gersdorf verfasste dabei das Kapitel zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und kam zum Schluss, dass eine weitgehende Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht gegen das Grundgesetz verstoßen würde.
Damit stellte sie sich gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das 1975 und 1993 verlangte, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten und als „Unrecht“ eingestuft sein müssen. Daraus folge eine grundsätzliche „Pflicht“ der Frau, „das Kind auszutragen“. Diese Grundannahmen des Karlsruher Gerichts gerieten etwas in Vergessenheit, weil das Gericht dem Gesetzgeber immerhin erlaubte, Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen „straffrei“ zu lassen, wenn die Frau eine Lebensschutz-Beratung erhalten hat.
Schutz der Menschenwürde beim Embryo
Heute, mehr als 30 Jahre später, würde das Bundesverfassungsgericht, aber wohl auch ohne Brosius-Gersdorf anders argumentieren, wenn es entsprechende Fälle gäbe. Schließlich ist der Frauenanteil am BVerfG heute deutlich höher und auch in der Gesellschaft gilt das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper mehr als damals. Möglicherweise würde Brosius-Gersdorf mit ihrer Position in Karlsruhe offene Türen einrennen.
Brosius-Gersdorf argumentierte im Kommissionsbericht, dass es gute Gründe gebe, dem Embryo/Fetus nicht den Schutz der unabwägbaren Menschenwürde zuzusprechen, sondern erst dem geborenen Menschen. Allerdings solle der Embryo/Fetus grundrechtlich nicht schutzlos sein. Für ihn soll Artikel 2, das Grundrecht auf Leben, gelten. Je näher die Geburt rückt, um so stärker solle der grundrechtliche Schutz des Ungeborenen in der Abwägung mit den Grundrechten der Schwangeren sein. Spätabtreibungen sollen deshalb grundsätzlich rechtswidrig bleiben, so Brosius-Gersdorf.
Es ist also eine polemische Fehlinterpretation, dass Brosius-Gersdorf ungeborene Kinder rechtlos stellen will. Sie will verfassungsrechtlich vor allem die Rechte der Frau gegenüber dem Ungeborenen stärken, insbesondere in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. Dieses Ziel ist in der Rechtswissenschaft keineswegs randständig und angesichts der bisher wenig frauenfreundlichen Karlsruher Rechtsprechung durchaus angemessen. Ein Veto gegen Brosius-Gersdorf kann die Union hierauf schwerlich stützen.
Klare Haltung zur Impfpflicht in der Corona-Zeit
Impfpflicht: Als es im dritten Jahr der Pandemie endlich einen Impfstoff gegen Covid gab, diskutierte die Gesellschaft auch über eine Impfpflicht. Brosius-Gersdorf hielt eine Impfpflicht, wie die meisten Rechtsprofessor*innen, für verfassungskonform, da die Interessen der Allgemeinheit den Grundrechtseingriff rechtfertigten. Eingeführt wurde dann aber keine allgemeine Impfpflicht, sondern nur eine kurzzeitige Impfpflicht für den Gesundheits- und Pflegesektor.
Brosius-Gersdorf ging damals allerdings weiter als ihre Fachkolleg*innen. Sie hielt es sogar für denkbar, dass es eine „verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht“ gebe. Der Gesetzgeber hätte dann gar keine Wahl gehabt, er hätte eine Impfpflicht einführen müssen, um die Gesellschaft zu retten. Nun, im Nachhinein, hat man gesehen, dass die Pandemie auch ohne allgemeine Impfpflicht beendet werden konnte. Es ist verfassungsrechtlich auch unüblich, aus Schutzpflichten des Gesetzgebers so konkrete Handlungspflichten abzuleiten. Allerdings wollte Brosius-Gersdorf über diese Position auch nur „nachdenken“ und hat sie nicht mit Nachdruck vertreten. Sie hat sich damit also nicht „unwählbar“ gemacht, wie jedoch die Brandenburger CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig postulierte.
Meinung zum AfD-Verbot ist von Grundgesetz gedeckt
AfD-Verbot: Vorgeworfen wird Brosius-Gersdorf auch, dass sie im Vorjahr in der Talk-Show von Markus Lanz für ein AfD-Verbotsverfahren plädiert hat, „wenn es genügend Material gibt“. Es ist unklar, warum diese Position gegen Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin sprechen soll, denn sie ist vom Grundgesetz gedeckt, das eine „wehrhafte Demokratie“ vorsieht und Parteiverbote ausdrücklich ermöglicht.
Bei einem AfD-Verbotsverfahren wäre Brosius-Gersdorf vermutlich nicht einmal befangen. Denn die Entscheidung, ob ein Verbotsantrag gestellt wird, muss politisch entschieden werden, insbesondere im Bundestag. Wie das Gericht dann letztlich entscheidet, ist eine rechtliche Frage. bei der sich die Professorin mit ihren Lanz-Äußerungen nicht festgelegt hat.
Wie es jetzt mit der Richterinnenwahl weitergeht
Wie geht es nun weiter? Die Grünen haben eine Sondersitzung des Bundestags in der anstehenden Woche gefordert, um die Wahl von Brosius-Gersdorf (und der beiden anderen Kandidaten Günter Spinner und Ann-Katrin Kaufhold) nachzuholen. Die Koalition ist aber wohl noch nicht soweit. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sprach von einem neuen Anlauf in der nächsten Sitzungswoche. Das wäre ab dem 10. September.
SPD-Fraktions-Chef Matthias Miersch hat der Union angeboten, dass Brosius-Gersdorf sich vorher den Fragen der CDU/CSU-Abgeordneten stellt, um zu zeigen, dass sie keine „ultralinke Aktivistin“ ist, wie manche CDU/CSU-Abgeordneten behaupteten. Auf diesen Vorschlag ist die Union zunächst nicht eingegangen.
Opfer der eigenen Handlungsmuster
Die Positionen der Kandidatin zur Abtreibung sind nachvollziehbar, wenn auch provokant für konservative Menschen. Die Haltung zur allgemeinen Impfpflicht waren schon seinerzeit nicht nachvollziehbar. Erst recht heute, wo allgemein bekannt und erwiesen ist, dass die verfügbaren Impfstoffe keinen relevanten Einfluss auf die Übertragbarkeit der Viren haben, wäre eine Rücknahme durch die Richterkandidatin und wären ehrliche Worte des Bedauerns erforderlich gewesen. Dann hätte sie zumindest einem Teil der Kritik die Spitze genommen.
Das scheint aber bis heute nicht drin zu sein. Die Unwilligkeit anzuerkennen, wie weit man in der Corona-Zeit über das Ziel hinausgeschossen ist, trägt Züge eines Kulturkampfes. So wie die Abtreibungsdebatte seit noch längerer Zeit zu einem Kulturkampf geworden ist. Im Gegensatz zur Abtreibungsdebatte wäre eine demütigere Haltung und ein Ausdruck des Bedauerns durch die Kandidatin und die sie vorschlagende SPD angebracht gewesen. Die Gelegenheit ist jetzt vorbei
Täuschung bei Doktorarbeit
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