Inland

Brosius-Gersdorf: Wie Differenzen in der Union die Richterwahl verhinderten

Weil 50 bis 60 Abgeordnete der CDU/CSU von der Fraktionslinie abweichen wollten, wurde die Wahl von drei Verfassungsrichter*innen vertagt. Eine Chronik der Ereignisse.

von Christian Rath · 11. Juli 2025
Mütze eines Verfassungsrichters und Gesetzestexte

Ausstattung der Verfassungsrichter*innen in Karlsruhe: Am Freitag sollen drei Posten vom Bundestag neu besetzt werden.

Die Wahl von drei Verfassungsrichter*innen im Bundestag ist vorerst gescheitert. Der Bundestag hat an diesem Freitag auf alle drei Wahlen verzichtet, um ein völliges Desaster zu verhindern. Die Richter*innenwahlen werden nun wohl nach der Sommerpause nachgeholt. 

Normalerweise gehen Verfassungsrichter*innen-Wahlen glatt und geräuschlos über die Bühne. Die Hälfte der 16 Richter*innen wird im Bundestag gewählt, die andere Hälfte im Bundesrat. Erforderlich ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese wird darüber sichergestellt, dass die Parteien, die für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sind, Vorschlagsrechte erhalten. Zuletzt galt die Formel 3:3:1:1. Für den alten Bundestag bedeutete das, dass CDU/CSU und SPD je drei Verfassungsrichter*innen pro Senat vorschlagen konnten, Grüne und FDP hatten je ein Vorschlagsrecht.

Damit der 3:3:1:1-Proporz erhalten bleibt, lag für die frei werdenden drei Richter*innenposten das Vorschlagsrecht einmal bei der CDU/CSU und zweimal bei der SPD. Die Union schlug Günter Spinner vor, einen Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht. Die SPD nominierte die Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. 

Ohne Linke oder AfD keine Mehrheit

Dass die anstehenden Verfassungsrichter*innen-Wahlen schwierig werden würden, hatte sich schon länger angedeutet. Denn nach dem Ausscheiden der FDP bei der Bundestagswahl haben CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Es fehlen sieben Stimmen, die von Linken oder AfD kommen müssen.

Die Linke war bereit, Spinner mitzuwählen, unter der Bedingung, dass die CDU/CSU mit ihr das Gespräch sucht. Ein solches Gespräch verweigerte aber die CDU/CSU unter Verweis auf ihren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken. Dies nutzte die AfD zur Ankündigung, dass sie Spinner mitwählen werde. 

Damit war die Wahl Spinners theoretisch gesichert und es ging nur noch um die Frage, ob es doch noch gelingt, eine Zwei-Drittel-Mehrheit ohne die AfD hinzubekommen. Bei der Abstimmung werden nur die anwesenden Abgeordneten gezählt. Die CDU/CSU hoffte, die Mehrheit durch eine besonders disziplinierte Anwesenheit des Regierungslagers zu erreichen. Einige Linke wie Bodo Ramelow wollten Spinner aber auch ohne Gegenleistung wählen. 

Nach Zusage der Union: Widerstand in den eigenen Reihen

Dazu kam es nicht mehr. Denn im Laufe der Woche wurde dieser Konflikt immer mehr durch einen Unions-internen Brandherd überlagert. Lange nachdem die CDU/CSU zugesagt hatte, die SPD-Vorschläge Brosius-Gersdorf und Kaufhold mitzuwählen, regte sich Widerstand in der Fraktion, insbesondere gegen Frauke Brosius-Gersdorf. Die Rechtsprofessorin, die bisher allseits als renommiert und wissenschaftlich herausragend galt, wurde plötzlich als „ultralinks“ und als „Aktivistin“ beschimpft.

Im Mittelpunkt der Vorwürfe stand Brosius-Gersdorfs Position zum Abtreibungsrecht, die sie 2024 auch in einer Reformkommission der Bundesregierung vertreten hatte. Sie hält es für verfassungsrechtlich möglich, Abtreibungen zu entkriminalisieren. Da das Bundesverfassungsgericht dies in den 1970er- und 1990er-Jahren anders entschieden hat, ist die Unruhe in der Union teilweise nachvollziehbar. Die CDU/CSU steht auch unter massivem Druck von Abtreibungsgegner*innen, die in der Bevöllkerung schon lange keine Mehrheit mehr haben und nun ihre letzte Bastion, das Bundesverfassungsgericht, in Gefahr sahen. 

Einige Abweichler in der Union hätten die Zwei-Drittel-Mehrheit für Brosius-Gersdorf aber nicht gefährdet, da auch die Linke für sie stimmen wollte. Als am Freitag aber plötzlich 50 bis 60 Unions-Abgeordnete von der Fraktionslinie abweichen wollten, wurde es eng und es drohte ein Eklat, auch für Fraktions-Chef Jens Spahn und Kanzler Friedrich Merz.

Unions-Vorwürfe wirken konstruiert

In der offensichtlichen Not griff die CDU/CSU-Fraktionsführung am Freitagmorgen Vorwürfe des umstrittenen Plagiats-Jägers Stefan Weber auf, die er erst am Vorabend publiziert hatte. Danach habe Brosius-Gersdorf in ihrer Doktorarbeit an 23 Stellen bei der Habilitation ihres Mannes Hubertus Gersdorf abgeschrieben. Die Vorwürfe wirken schon deshalb konstruiert, weil die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf ein Jahr vor der Habilitation ihres Mannes veröffentlicht wurde. 

SPD und Grüne lehnten daher den Vorschlag der CDU/CSU ab, die Wahl von Brosius-Gersdorf abzusetzen und nur Spinner und Kaufhold zu wählen. Man einigte sich schließlich, alle drei Richter*innenwahlen abzusetzen. Dem stimmte auch die Linke zu. Nur die AfD wollte sofort wählen, um zu zeigen, dass die CDU/CSU „links-grüne“ Politik unterstützt, wie der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann sagte.

Bundesverfassungsgericht bleibt arbeitsfähig

Einen Erfolg hatten die Kritiker*innen von Brosius-Gersdorf da aber schon erzielt. Anders als geplant soll sie nicht mehr Vizepräsidentin und ab 2030 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden. Darauf hatten sich CDU/CSU und SPD im Lauf der Woche geeinigt. Diese Funktionen wird dann wohl die andere SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold übernehmen.

Auch wenn die Wahlen nun vertagt sind, bleibt das Bundesverfassungsgericht voll arbeitsfähig. Die Richter, deren Amtszeit abgelaufen ist, bleiben kommissarisch im Amt. 

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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