Unterzeichnung des Koalitionsvertrags: „Diese Regierung muss erfolgreich sein“
In Berlin wurde am Montag der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union unterschrieben. Damit kann die neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen. Die sieht sich in der Pflicht, erfolgreich zu sein, versichern alle Beteiligten. Doch es bleiben Unterschiede.
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Das Leben der Menschen besser machen: SPD-Chef Lars Klingbeil bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags
Noch einmal sind die Partei-Spitzen von CDU, SPD und CSU in Berlin zusammengekommen, um den in mehreren Arbeitsgruppen gemeinsam erarbeiteten Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ offiziell zu unterschreiben: 144 Seiten, 88 Prüfaufträge – von insgesamt 19 Haupt-Verhandler*innen ausgearbeitet. Vor dem offiziellen Beginn im Berliner „Euref-Campus“ stimmen eine Reihe von Schnappschüssen aus den Verhandlungstagen, die an die Wand projiziert werden, auf das Ereignis ein. Sie vermitteln eine schlichte und nüchterne Atmosphäre.
Diese wird vielleicht auch die Zusammenarbeit der künftigen Regierung prägen. CDU-Chef Friedrich Merz kündigt in der Pressekonferenz vor allem Tempo an und verspricht, dass sich Union und SPD „ab dem ersten Tag plan- und kraftvoll an die Arbeit machen“ werden. Merz spricht von einer „historischen Verpflichtung, diese Koalition zum Erfolg zu führen“.
Regierung muss erfolgreich sein
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil will „zügig“ mit der Arbeit beginnen. „Diese Regierung muss erfolgreich sein“, sagt auch der künftige Vizekanzler und Finanzminister. Deutschland auf Wachstumskurs bringen, investieren in die Zukunft und in mehr Sicherheit und das „Leben der Menschen in unserem Land einfacher zu machen“, hebt Klingbeil die Ziele der Koalition hervor. „Jetzt investieren und morgen entlasten“, auch das verspricht der SPD-Chef, der klare Prioritäten benennt. Die wichtigste ist für ihn die wirtschaftliche Stärke, das stehe „ganz oben bei uns auf der Agenda“. Der 500 Milliarden schwere Sonderfonds für die Infrastruktur solle „pragmatisch und zielgerichtet“ eingesetzt, „weniger Verwalter und mehr Möglichmacher“ das Motto der Koalition werden.
Doch betont Klingbeil auch, wer im Mittelpunkt der Politik stehen soll: Arbeitnehmer*innen, die in den vergangenen Jahren viel geleistet hätten. Ob Investitionen in Kitas, Pflege oder Rente – Leistung müsse sich lohnen, stellt Klingbeil seine Definition des Leistungsbegriffs dar. Und betont im Anschluss: „Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland.“ Migration werde, so Klingbeil, künftig mit klaren Regeln und klarer Haltung gesteuert.
Demokratie verteidigen
Bei CSU-Chef Markus Söder klingt das etwas anders: Er spricht von einem politischen „Richtungswechsel“, der nun mit „Volldampf für Deutschland“ angegangen werden müsse. Dabei spiele die Stärkung der Wirtschaft ebenso eine Rolle wie die Begrenzung der illegalen Migration, um „Deutschland wieder in Ordnung“ zu bringen, wie Söder sagt.
Mit Blick auf den bevorstehenden Regierungswechsel weist SPD-Chefin Saskia Esken darauf hin, dass Demokratie und demokratische Übergänge keine Selbstverständlichkeit seien. Demokratie müsse jeden Tag gefördert und verteidigt werden, erklärt sie. Angesichts der Tatsache, dass die AfD als größte Oppositionspartei im Bundestag nun als gesichert rechtsextrem eingestuft worden sei, fordert Esken alle demokratischen Kräfte im Parlament und auch außerhalb dazu auf, „diesem rechten Spuk ein Ende zu setzen“.
Neue SPD-Minister*innen: von jung bis erfahren
Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am Montag steht der Regierungsbildung nichts mehr im Wege. Schon am Dienstag soll Friedrich Merz zum kommenden Bundeskanzler gewählt werden. Auch die SPD hatte am Montag ihre sieben künftigen Minister*innen plus zwei Staatsministerinnen bekannt gegeben. Sechs Frauen und drei Männer, von „Ausbildung bis zum Staatsexamen, von jung bis erfahren, mit Migrationsbiografie von Ost bis West“, wie Klingbeil betont. Sie werden „unser Land in den kommenden Jahren prägen“.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.
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Es ist atemberaubend: Kaum tickerte der Vorwärts am 5.5. , „das sozialdemokratische Kabinett steht“, konnte er die „Unterzeichnung des Koalitionsvertrags“ melden, verbunden mit der Beschwörung, „diese Regierung muss erfolgreich sein“. Am 6. wählte der Bundestag Merz zum Bundeskanzler, „ernannte“ ihn der Bundespräsident und sein Kabinett. Was am 5. und in den Tagen davor die Öffentlichkeit mit ungläubigem Erstaunen erleben musste, hatte die Tagesschau am 1.5. exakt beschrieben: „Wenige Tage nur hat SPD-Parteichef Klingbeil, um die Posten für seine Partei im Kabinett zu vergeben“ – und die Überraschung sind nicht die „wenigen Tage“. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein „SPD-Parteichef“ so selbstverständlich auch für die Öffentlichkeit dafür zuständig war, „die Posten für seine Partei im Kabinett zu vergeben“. Auch der Vorwärts stellte stolz fest, „mit dieser Kabinettsbesetzung setzt SPD-Chef die Zusage einer weiblicheren und jüngeren Besetzung um“.
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Frau Bas gehört nur zur Hälfte in die Gruppe, aber da „Bärbel Bas für Klingbeil als Parteichef“ (28.4.) war, ersetzt sie nun Hubertus Heil, den einzigen überzeugenden Minister des Kabinetts von Olaf Scholz, während Saskia Esken, obwohl „Klingbeil Debatte um Esken scharf (als) `beschämend` kritisiert“ (ZDF, 30.4.25), wohl eher zum Versorgungsfall zurückgestuft wurde. Klingbeil ist nun Parteivorsitzender einer 16,4% (14%) Partei, Finanzminister und stellvertretender Regierungschef – aber noch viel wichtiger, er ist unangefochtener Heilsbringer der SPD und damit ihr künftiger Kanzlerkandidat.
Die Geschwindigkeit, mit der Lars Klingbeil zur Gallionsfigur der SPD wurde, ist atemberaubend, auch wenn sich das schon seit einiger Zeit ankündigte. Der Vorwärts war freundlicher Chronist dieses Aufstiegs. Klingbeil, „Stratege des Jahres“ 2022, besuchte weltweit befreundete Parteien, brachte davon eine Führungsrolle für Deutschland mit – also Deutschland sollte eine Führungsrolle in der Welt
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übernehmen, nicht Klingbeil in Deutschland – und lernte dabei, mehr auf unsere Partner östlich von uns zu hören. Vor allem aber lernte er, „die Realität der Zeitenwende anzuerkennen“. Daraus entwickelte er eine „grundlegende Neupositionierung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ (19.10.22), an der auch die SPD-Grundwertekommission mitgearbeitet haben soll, und die die SPD als „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ (20.1.23) zum (Teil-) Parteiprogramm machte.
Die „grundlegende Neupositionierung ...“ distanzierte sich von der „sozialdemokratischen Ostpolitik“, jedenfalls von der nach 1989; bis 1989 dagegen „war (sie) wegweisend für Frieden und Sicherheit in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges. Sie war (auch) wegweisend für die Wiedervereinigung“ (Klingbeil: 9.10.22), ging die doch auf Brandt und Bahr zurück. In den folgenden 30 Jahren erlebte die Bundesrepublik (und auch die EU) zwar enormen Wohlstand in Frieden und Freiheit -
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diese Entwicklung verdanken wir nicht zuletzt der Symbiose aus europäischem Kapital und Know How mit den russischen Bodenschätzen, friedlich, zum großen Nutzen beider; sie war für Europa ein Glücksfall der Geschichte -, dennoch „kritisiert (die SPD) ihre frühere Russlandpolitik ausdrücklich als Fehler“, wie die Tagesschau am 9.12.23 zusammenfasste und festhielt, „Militär wird in dem Parteitagsbeschluss ausdrücklich als Mittel der Friedenspolitik anerkannt“. Wenn eine Analyse dreißig Jahre Wohlstand in Frieden und Freiheit als Fehler der Politik erkennt, dann stimmt etwas an der Analyse nicht.
Als augenblickliche Folge der Analyse Klingbeils /der SPD hat der vergangene Bundestag noch in einer anrüchigen Aktion die Schuldenbremse für Militärausgaben von mehr als 1% vom BIP ausgesetzt. Davon spricht Klingbeil bei der „Unterzeichnung des Koalitionsvertrages“ nicht (lt. Beitrag), wohl aber über den „500 Milliarden schweren Sonderfonds für die Infrastruktur“,
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der „jetzt zu investieren und zu morgen entlasten“ erlaubt, wobei „jetzt (und) morgen“ nicht zuverlässig kurzfristig nach „„Leben der Menschen in unserem Land einfacher zu machen“ klingt, und „weniger Verwalter und mehr Möglichmacher“ sein zu wollen, ist nur ein Spruch, wie auch die „wirtschaftliche Stärke, ganz oben bei uns auf der Agenda“. Klingbeil weiß, warum er die ungedeckelte Schuldenaufnahmeermächtigung für Aufrüstung nicht erwähnt.
Ich weiß nicht, ob er bei dieser Gelegenheit über unsere unverbrüchliche Unterstützung der Ukraine gesprochen hat, ich habe ihn aber gestern darüber reden hören. Über Friedensvorstellungen seiner Regierung aber hat er nicht eine Silbe verloren. Das ist vielleicht auch nicht zu erwarten, wenn „Russland wird immer unser Feind bleiben“-Wadephul und „dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann, gilt nicht mehr“-Klingbeil in einem Kabinett versammelt sind, ergänzt durch „Taurus an die Ukraine“-Lieferer
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und andere Freunde der „Kriegstüchtigkeit“. Warten wir mal ab, was Möchtegern Macron, Gernegroß Starmer und MöchtegernGernegroß Merz da noch so aushecken.
Und von China, USA und unserer postulierten Verantwortung für die regelbasierte Weltordnung habe ich noch gar nicht gesprochen.
Klingbeil ist ein Phänomen.