Sigrid Emmenegger: Ohne Ecken und Kanten als Richterin nach Karlsruhe
Der Wahl von Sigrid Emmenegger zur Richterin am Bundesverfassungsgericht steht zumindest innerhalb der schwarz-roten Koalition nichts im Wege. In der kommenden Woche soll der Bundestag darüber abstimmen. Dann sind SPD und Union auch auf Stimmen der Opposition angewiesen.
Justizministerium Rheinland-Pfalz
Sie soll Richterin am Bundesverfassunsgericht werden: Sigrid Emmenegger (im Jahr 2020)
Sigrid Emmenegger wird wohl bald Verfassungsrichterin. Gegen die bisher völlig unbekannte Juristin gab es zum Wochenbeginn in der CDU/CSU-Fraktion keine Bedenken. Die ursprüngliche SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf hatte ihre Kandidatur Anfang August nach anhaltendem Widerstand aus der CDU/CSU zurückgezogen.
Sigrid Emmenegger kennt das Bundesverfassungsgericht aus eigener Erfahrung
Sigrid Emmenegger ist bisher Richterin am Bundesverwaltungsgericht. Dort hat sich die 47-Jährige vor allem mit Energietrassen, insbesondere Höchstpannungsleitungen, beschäftigt. Sie studierte in Freiburg mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes und promovierte beim Freiburger Rechtsprofessor Andreas Voßkuhle. Als dieser Präsident des Bundesverfassungsgerichts wurde, kam auch Emmenegger nach Karlsruhe und wurde eine seiner Mitarbeiterinnen. Sie kennt das Gericht also bereits aus eigener Erfahrung.
Nach dieser Karlsruher Zeit machte Emmenegger Karriere in der rheinland-pfälzischen Verwaltungsjustiz. Verheiratet ist sie mit Johannes Saurer, einem Professor für Öffentliches Recht an der Uni Tübingen.
Was für ein Unterschied zur ursprünglichen SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Die Potsdamer Rechtsprofessorin war als Vertreterin liberaler Positionen bekannt. Insbesondere hält sie die grundsätzliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen für verfassungsrechtlich möglich und stellte sich damit gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Was Sigrid Emmenegger von Frauke Brosius-Gersdorf unterscheidet
Von Emmenegger sind keine derartigen verfassungspolitisch kontroversen Haltungen bekannt. In ihrer überwiegend rechtshistorischen Dissertation befasste sie sich mit „Gesetzgebungskunst“ und der Entwicklung der Gesetzgebungslehre. Ihre Aufsätze in Fachzeitschriften befassen sich vor allem mit energierechtlichen Fragen rund um den Stromleitungsbau. Die einzige Enthüllung gelang dem „Spiegel“: Emmenegger sei seit mehr als 30 Jahren SPD-Mitglied, berichtete das Magazin. Aber eine Parteimitgliedschaft hat die Wahl zur Verfassungsrichterin noch nie verhindert.
Viele haben sich gewundert, dass die SPD nach dem Rückzug von Brosius-Gersdorf nicht erneut eine feministische Rechtsprofessorin vorschlug. So hätte die SPD zeigen können, dass die hasserfüllte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf letztlich erfolglos war. Sie hätte zudem der CDU/CSU verdeutlichen können, dass das Vorschlagsrecht für diesen Posten nun mal bei ihr liegt. Und die SPD-Fraktionsführung hätte damit auch den immer noch empörten SPD-Abgeordneten Genugtuung verschafft.
Doch die SPD hat darauf verzichtet und mit Sigrid Emmenegger eine Juristin vorgeschlagen, die auf den ersten (und zweiten und dritten) Blick keine Angriffspunkte für neue Kampagnen aufweist. Auch in der Unions-Fraktionsführung hat man registriert, dass ihr die SPD hier offensichtlich weit entgegengekommen ist.
Was denkt Sigrid Emmenegger über umstrittene Fragen?
Allerdings weiß niemand, was Emmenegger über umstrittene verfassungsrechtliche Fragen tatsächlich denkt. Es ist durchaus naheliegend, dass auch sie die alte Karlsruher Rechtsprechung für überholt hält, wonach der Staat Schwangerschaftabbrüche grundsätzlich als „Unrecht“ brandmarken muss. Es gibt in der SPD wohl wenige Juristinnen, die die von Männern geprägte alte Karlsruher Rechtsprechung an diesem Punkt für richtig halten.
Natürlich wurde Emmenegger auch nach ihrer Position hierzu gefragt, als sie sich jüngst der CDU/CSU-Fraktionsführung und den Unions-Rechtspolitikern vorstellte. Doch wie man hört, ließ sie die Antwort geschickt offen und verwies sinngemäß darauf, dass sie sich als Richterin erst dann eine feste Meinung bilde, wenn die Akte auf ihrem Tisch liegt.
Wie geht es nun weiter? Am 22. September, um 20 Uhr, tritt der zwölfköpfige Wahlausschuss des Bundestags zusammen. Nur wenn Emmenegger dort eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhält, kann am Donnerstag kommender Woche der Bundestag über sie abstimmen. Auch im Plenum ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich.
Drei Richter*innenposten werden neu besetzt
Insgesamt werden an diesem 25. September drei Richterposten neu besetzt. Zur Wahl stehen dann auch der Bundesarbeitsrichter Günter Spinner (CDU/CSU-Vorschlag) und die Münchener Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold (SPD-Vorschlag), die bereits Anfang Juli gewählt werden sollten.
Noch aber ist unklar, ob bei allen drei Richtern die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt. CDU/CSU, SPD und Grüne haben im Plenum zusammen sieben Stimmen zu wenig. Auf Stimmen der AfD soll es nach Ansicht aller übrigen Fraktionen nicht ankommen. Also müsste auch die Linke für das Trio stimmen.
Als Voraussetzung erwartet die Linke allerdings, dass die CDU/CSU mit ihr das Gespräch sucht. Die Union will das jedoch vermeiden und verweist auf ihren Unvereinbarkeitsbeschluss, der die Zusammenarbeit mit der Linken verbiete. Eine Lösung zeichnet sich noch nicht ab.
Wer rückt nach an die Position des Vizepräsidenten?
Offen ist auch noch, wer der scheidenden Richterin Doris König als Vizepräsidentin nachfolgt. Die Position ist besonders wichtig, weil die neue Vizepräsidentin ab 2030, wenn der jetztige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth ausscheidet, an die Spitze des Gerichts rücken und damit zu dessen Gesicht werden wird. Die besten Chancen hat wohl Emmenegger, weil sie unmittelbar den Richterposten von König übernimmt.
Allerdings könnte die SPD auch Kaufhold nominieren, weil die Amtszeit beider Richterinnen nun gleich lang dauern wird. Bisher hat die SPD noch offen gelassen, wie sie sich entscheidet. Nach dem ehemaligen CDU/CSU-Fraktions-Vize Harbarth wird es aber auf jeden Fall kein Parteipolitiker mehr.