Migranten in der SPD-Fraktion: Wie sich Serdar Yüksel durchgesetzt hat
Im Deutschen Bundestag sind Politiker*innen mit Migrationsgeschichte deutlich unterrepräsentiert. Junge Menschen aus zugwanderten Familien klagen über viele Hürden für politische Teilhabe. Wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Serdar Yüksel seinen Weg vom SPD-Ortsverein in die Bundespolitik gegangen ist.
Dirk Bleicker
Serdar Yüksel im Jakob-Kaiser-Haus: Nach vielen Jahren im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde der Bochumer Sozialdemokrat am 23. Februar in den Bundestag gewählt.
Das Berliner Bundestagsbüro von Serdar Yüksel ist Anfang April noch kahl und provisorisch. Gut zwei Wochen zuvor hat sich der neue Bundestag konstituiert. Noch pendelt der frischgebackene Abgeordnete häufig zwischen Berlin und seinem Wahlkreis in Bochum.
Eines sticht sofort ins Auge. An einer Tür prangt ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossen gegen Ausgrenzung“. Es stammt nicht von Yüksel, sondern von den vorherigen Nutzer*innen. Und doch sagt es viel über den politischen Lebensweg des 51-Jährigen, dessen Vater in den 60er-Jahren aus der Türkei ins Ruhrgebiet kam. Ein Lebensweg, der auch mehr als sechs Jahrzehnte nach der ersten Anwerbung von „Gastarbeiter*innen“ nicht selbstverständlich ist.
Eine neue Studie macht deutlich, vor welchen Hürden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der deutschen Politikszene stehen. Laut einer Erhebung des Sachverständigenrats für Integration sind Migrant*innen nach der Bundestagswahl im Parlament noch immer unterrepräsentiert. Derzeit haben 11,6 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund, bei der Gesamtbevölkerung liegt die Quote bei gut 30 Prozent. In der SPD-Bundestagsfraktion beträgt der Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte 17,5 Prozent.
Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind demnach seltener politisch aktiv als Gleichaltrige ohne diesen Kontext: Der Anteil beträgt jeweils elf beziehungsweise 40 Prozent. Einige Befragte würden ihre Interessen in der aktuellen politischen Landschaft nicht gut vertreten sehen, heißt es zur Erklärung. Sie wünschten sich eine gezieltere Ansprache durch die Politik.
Zudem würden sich viele migrantisch wahrgenommene Jugendliche wegen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung davor scheuen, sich politisch einzubringen. Die für Integration zuständige Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) sieht dadurch die Demokratie und den Zusammenhalt hierzulande geschwächt.
Aufgewachsen mit einer unsichtbaren Mauer
Yüksel zählt zu jenen Politiker*innen, die zeigen, dass es auch anders geht. Auch bei dem gebürtigen Essener stand am Anfang das Gefühl, nicht dazuzugehören. In der Straße in Wattenscheid, wo er aufwuchs, gab es eine unsichtbare Mauer zwischen zugewanderten Familien und alteingesessenen Deutschen, wie er berichtet. Jeder und jede blieb auf seiner und ihrer Seite. Auch Yüksels Familie erlebte Diskriminierung bei Behördengängen. Schon als Jugendlicher sei ihm klargeworden: „Wenn das anders werden soll, muss ich mich politisch engagieren.“
Als Sohn einer gewerkschaftlich und sozialdemokratisch geprägten Familie war schnell klar, unter welchem Banner er dies tun würde. 1989 trat Yüksel in die SPD ein und startete die „Ochsentour“ durch die Gremien in der örtlichen Sozialdemokratie. 2001 wurde er in den Vorstand, 2021 schließlich zum Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins Bochum und Wattenscheid gewählt. Da saß er bereits seit elf Jahren im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Viermal wurde er direkt ins Parlament gewählt. Nach der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 wechselte er nach Berlin. Dort vertritt er nun als Nachfolger des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer den Wahlkreis Bochum I.
„Mein Engagement in der SPD begann damit, dass ich teilhaben und mich einmischen wollte und auch sagen wollte, was mir nicht passt“, blickt Yüksel auf seine politischen Anfänge zurück. „Ich wollte aber auch hören, was die andere Seite zu sagen hat.“ Manche hätten den Neuling zunächst misstrauisch beäugt: vereinzelt wegen seiner ethnischen Wurzeln, vor allem aber aufgrund seines aufmüpfigen Auftretens, wie er sagt: „Ich wollte im Ortsverein über die große Politik diskutieren, einigen Altgedienten war das zu viel.“
Der Faktor Erfolg war entscheidend
Rasch habe er Förder*innen und Unterstützer*innen gefunden. Zum Beispiel Genoss*innen, die sich ebenfalls für Themen wie Friedenspolitik, Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit interessierten. Zu seinen bekanntesten Mentor*innen wurde der ehemalige Wattenscheider Oberbürgermeister und SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Schwirtz. Dennoch habe die Annäherung in der Breite einige Zeit gebraucht, letztlich sei der Faktor Erfolg entscheidend gewesen. Nach seinem ersten Sieg bei der Landtagswahl im Jahr 2010 war das Eis bei den letzten Skeptiker*innen gebrochen, so Yüksel.
Parallel engagierte sich Yüksel bei der Arbeiterwohlfahrt und erweiterte so sein Netzwerk. So machte er sich Anfang der 90er-Jahre auf den Weg, auch beruflich: Nach dem Hauptschulabschluss und einer Ausbildung zum Krankenpfleger war er bis zum Einzug in den Landtag in der Intensivpflege tätig. Somit spiegelt sich in seiner Vita auch das klassische sozialdemokratische Aufstiegsversprechen wider.
Serdar
Yüksel
Ich wollte sagen, was mir nicht passt. Damit fing alles an.
Yüksel rät auch anderen jungen Menschen aus zugewanderten Familien und einfachen Verhältnissen, keine Opferrolle einzunehmen, sondern Verbündete außerhalb der eigenen Blase zu suchen und selbstbewusst für ihre Interessen einzutreten. Und auch mal Widerspruch auszuhalten, um sich zu profilieren.
Ihm habe es geholfen, sich an Vorbildern zu orientieren. „Das waren diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben und sich in jungen Jahren durch ehrliche Maloche ein Leben aufgebaut haben, und das in einem funktionierenden Sozialstaat und in einer stabilen Demokratie“, sagt er. Und formuliert damit zugleich sein politisches Programm.
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