Mehr Geld für Verteidigung: „Diesen Spagat muss die Bundeswehr hinbekommen“
Der Bundestag hat den Weg freigemacht für höhere Verteidigungsausgaben. Falko Droßmann, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagt, wofür das Geld benötigt wird, wie sich die Bundeswehr künftig aufstellen muss und warum eine Rückkehr zur Wehrpflicht unnötig ist.
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Die Bundeswehr muss besser für ihre Aufgaben ausgestattet werden, sagt der SPD-Politiker Falko Droßmann.
SPD und Union wollen Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, künftig von der Schuldenbremse ausnehmen. Warum sind höhere Ausgaben in diesem Bereich notwendig?
Weil jahrzehntelange Gewissheiten seit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 nicht mehr gelten. Wir dachten ja lange, wir seien „von Freunden umzingelt“, wie es der frühere Bundespräsident Johannes Rau mal ausgedrückt hat. Das ist nicht mehr so. Und seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA stellt sich noch eine weitere elementare Frage: Inwieweit ist unser guter Freund Amerika bereit, unsere Freiheit weiter zu schützen? Daraus müssen wir nun die richtigen Schlüsse ziehen, denn die Friedensdividende, von der wir nach dem Ende des Kalten Krieges gezehrt haben, ist inzwischen aufgebraucht. Für Deutschland heißt das, die Bundeswehr auf den Stand zu bringen, dass sie gemeinsam mit unseren europäischen Partnern in der Lage ist, unsere Freiheit zu verteidigen. Konkret bedeutet das, dass wir Dinge, die wir in den letzten Jahrzehnten zurückgefahren haben, möglichst schnell wieder aufbauen müssen. Dafür brauchen wir viel Geld.
Ganz ähnlich war die Argumentation bei der Einführung des Sondervermögens von 100 Milliarden für die Bundeswehr im Sommer 2022. Warum reicht das nicht aus?
Ein Großteil dieser Gelder ist bereits ausgegeben oder verplant. Wir schaffen damit neue F35-Kampfjets an, neue Fregatten und Panzer. Die Liste ist lang. Das Sondervermögen sorgt aber nur dafür, bei der Beschaffung das nachzuholen, was zum Teil jahrzehntelang versäumt worden ist. Ausgaben für Personal oder Munition sind da aber noch gar nicht enthalten. Bis zum Sondervermögen konnten wir Anschaffungen auch nur nach Wirtschaftslage tätigen. Das soll mit dem Vorschlag, den die Sondierer von SPD und Union jetzt gemacht haben, anders werden. Wenn die Ausgaben für Verteidigung künftig unabhängiger von der Wirtschaftsleistung sind, können wir deutlich flexibler und langfristiger planen. Das ist auch für die Verteidigungswirtschaft wichtig, da Aufträge nicht mehr nach Kassenlage vergeben werden. Und das verringert wiederum die Produktions- und Lieferzeiten von militärischem Gerät. Die Bundeswehr ist damit deutlich besser in der Lage, die Aufträge zu erfüllen, die wir ihr als Parlament geben.
Falko
Droßmann
Ein Infrastrukturprogramm ist nicht nur, aber auch für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas zentral.
Union und SPD wollen parallel noch ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Instandsetzung und Aufbau der Infrastruktur auflegen und argumentieren hier auch mit der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Ein Infrastrukturprogramm ist nicht nur, aber auch für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas zentral. Menschen meines Alters kennen noch die gelben Schilder an allen Brücken, auf denen Panzer und LKW abgebildet waren mit dem Maximalgewicht, das die Brücke trägt. Diese Schilder sind in den 90er-Jahren alle abgebaut worden. Sie sind ein Symbol dafür, dass wir heute oft gar nicht mehr wissen, auf welchen Routen wir im Spannungsfall Einheiten und Gerät verlegen können, weil wir nicht sagen können, welche Brücken überfahren werden können. Insofern gibt es eine enge Verbindung zwischen der Ertüchtigung der Infrastruktur und unserer Verteidigungsfähigkeit. Aber als Hamburger Wahlkreisabgeordneter will ich auch sagen, dass ich Investitionen in unsere Infrastruktur auch darüber hinaus für dringend notwendig halte.
Ausbau von Infrastruktur und Ausstattung der Bundeswehr sind das eine. Es fehlt aber auch an Soldat*innen. Das hat die Bundeswehrbeauftragte Eva Högl in ihrem Bericht gerade wieder deutlich gemacht. Kommt Deutschland da noch um die Wiedereinführung der Wehrpflicht herum?
Genau genommen haben wir eine Wehrpflicht. Sie ist nur in Friedenszeiten ausgesetzt. Die Frage, die zurzeit wieder stärker diskutiert wird, ist, ob es eine Rückkehr zum alten Modell der Wehrpflicht geben sollte, also, dass alle wehrfähigen jungen Männer eines Jahrgangs eingezogen werden bzw. einen Ersatzdienst leisten müssen. Das halte ich für unmöglich, aber auch für unnötig. Zum einen haben wir weder die Kasernen noch die Ausbilder. Zum anderen ist die schiere Masse an Wehrdienstleistenden aber auch gar nicht notwendig. Viel entscheidender ist die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr. Zurzeit haben wir rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten. Das Ziel bis 2030 sind 203.000. Das erreichen wir, indem wir alle jungen Menschen anschreiben und über die Möglichkeiten, die sie in der Bundeswehr haben, informieren. Die Frauen können darauf antworten, die Männer müssen es. Und von denen, die sich vorstellen können, zur Bundeswehr zu gehen, wollen wir 5.000 pro Jahr ausbilden – und zwar so, dass sie selbst etwas davon haben und die Bundeswehr sie auch wirklich einsetzen kann. So hat es Verteidigungsminister Pistorius im vergangenen Jahr vorgeschlagen und so ist es richtig.
Falko
Droßmann
Nach dem 24. Februar 2022 hat die Aufgabe der Landesverteidigung wieder stark an Bedeutung gewonnen – ohne, dass Auslandseinsätze im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen keine Rolle mehr spielen würden.
In der vergangenen Woche haben die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD begonnen. Sie verhandeln für die SPD in einer Arbeitsgruppe die Themen Außen und Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte. Was sind da für die SPD die entscheidenden Punkte?
Ganz wichtig ist, dass wir endlich gemeinsame Verteidigungsprojekte innerhalb Europas hinbekommen. Die Bedrohungen und die Aufgaben, vor der denen wir stehen, sind zu groß, als dass wir ihnen allein national begegnen können. Ein zweiter wichtiger Punkt ist das, worüber wir gerade gesprochen haben: dass wir die Infrastruktur der Bundeswehr wirklich nachhaltig verbessern. Wenn die Wehrbeauftragte in ihrem Bericht schreibt, dass unsere Kasernen verschimmeln, ist das ein Zustand, den wir nicht hinnehmen dürfen. Mir ist aber auch wichtig, dass Sicherheit von der neuen Bundesregierung nicht allein militärisch verstanden wird, sondern auch die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit wesentliche Teile unserer Sicherheitsarchitektur sind.
Und wie muss die Bundeswehr künftig aufgestellt sein?
Das wird sicher eine der größten Herausforderungen. Boris Pistorius hat als Verteidigungsminister bereits viele wichtige Verbesserungen angestoßen, aber entscheidend wird sein, ganz klar zu machen, welche Fähigkeiten die Bundeswehr künftig haben muss. Nach dem Ende des Kalten Kriegs ist sie ja zu einer Interventionsarmee umgebaut worden, mit weitreichenden Konsequenzen bis hin zu Ausstattung. Nach dem 24. Februar 2022 hat die Aufgabe der Landesverteidigung wieder stark an Bedeutung gewonnen – ohne, dass Auslandseinsätze im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen keine Rolle mehr spielen würden. Diesen Spagat muss die Bundeswehr künftig hinbekommen. Und wir müssen alles dafür tun, sie dafür bestmöglich auszustatten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Die Verteidiungsfähigkeit Deutschlands
Hätten die USA/die NATO/der Westen/Europa und Deutschland noch 2020 auf die leidenschaftliche und konstruktive Kritik von Michail Gorbatschow gehört, dem die Deutschen die gewaltlose Wiedervereinigung von 1989/1990 verdanken!, der unablässig vor dem Aufschaukeln der Feindbildbildung Westen gegenüber Russland gewarnt hat, wäre den ukrainischen und russischen Menschen viel Leid und Elend erspart worden. Aber insbesondere der "regelbasierte" Westen wollte nicht hören! Siehe hierzu:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=130568
Und es wäre bestimmt auch nicht schädlich, wenn die 'Verteidigungspolitiker' der SPD-Bundestagsfraktion
Sachbücher wie z.B. "Der lange Weg zum Krieg - Russland, die Ukraine und der Westen: Eskalation statt Entspannung" (Günther Verheugen/Petra Erler) lesen und reflektieren würden. Von der BlackRock-Merz-CDU/CSU / der Christian Lindner-Agnes Strack-Zimmermann-FDP und den Baerbock/Hofreiter-Grünen kann man das nicht mehr verlangen, aber doch von der Alten Tante SPD !!!