Inland

Krise bei der Bundeswehr hält an: Wehrbeauftragte warnt vor Personalmangel

Auch drei Jahre nach der Zeitenwende kämpft die Bundeswehr mit vielen Herausforderungen. Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, nennt in ihrem Jahresbericht aber auch Erfolge. Ein Überblick zu den wichtigsten Fragen

von Nils Michaelis · 11. März 2025
Bundeswehrsoldaten bereiten eine Übung vor

Ein Bundeswehrsoldat bei den Vorbereitungen für eine Übung.

Vor dem Hintergrund der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands sind die Fortschritte bei der Bundeswehr zu langsam. Das ist das Ergebnis des Jahresberichts 2024 zum Zustand der Truppe, den die Wehrbeauftragte Eva Högl am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Die personelle, materielle und infrastrukturelle Ausstattung sei weiterhin defizitär, in einigen Bereichen gibt es aber auch Verbesserungen. 

Wie ist die Stimmung in der Truppe?

„Grundsätzlich gut“, sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl. Positiv nähmen die Soldat*innen auf, dass im vergangenen Jahr genügend Kampfausstattung wie Stiefel und Helme bei ihnen angekommen seien. Sie seien aber auch „zu Recht ungeduldig“. Die Soldat*innen erwarteten, dass die 100 Milliarden Sondervermögen, das Bundeskanzler Olaf Scholz 2022 auf den Weg brachte, als er die Zeitenwende ausrief, endlich auch bei ihnen vor Ort ankommen, so die SPD-Politikerin. Viele Kasernen seien marode, etliche Dienstposten seien nicht besetzt. Wegen zahlreicher neuer Einsatzgebiete sei die Truppe an die Grenze der Belastbarkeit angekommen.

Was kritisieren die Soldat*innen?

Überbordende Bürokratie hemme oft die Einsatzfähigkeit der Truppe, heißt es in dem Bericht. Soldat*innen würden klagen, dass Verwaltungsaufgaben weiter zunehmen. Durch vorgegebene oder selbst geschaffene Regelungen und deren kleinteilige Umsetzung neige die Bundeswehr dazu, Dinge zu verkomplizieren. „Außerdem strapazieren unnötig komplexe Beschaffungsprozesse die Geduld und die Nerven aller Beteiligten.“ Das größte Problem sei „Langeweile“, so Högl. Die herrsche dann, wenn Soldat*innen tatenlos in der Kaserne herumsitzen, weil wieder mal Material fehle. Unzufrieden sind die Soldat*innen außerdem immer dann, wenn Verfahren zu lange dauern – sei es im Personalwesen, im Zuge der Sicherheitsüberprüfung oder bei disziplinar- und truppendienst- gerichtlichen Verfahren. 

Hat die Bundeswehr genügend Personal?

„Genügend und vollständig einsatzbereites Personal ist der Schlüssel zur Verteidigungsfähigkeit“, schreibt Högl in ihrem Bericht. Dem Ziel, eine Personalstärke von 203.000 Soldat*innen bis zum Jahr 2031 zu erreichen, sei die Bundeswehr erneut nicht nähergekommen. „Bereits jetzt steht infrage, ob diese Anzahl für die zukünftigen Herausforderungen überhaupt ausreichend ist.“ 

Zum Ende des Jahres 2024 betrug die Stärke des militärischen Personals 181.174 aktive Soldat*innen. Rund 20.290 Soldat*innen haben ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, das ergibt ein Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Problematisch sei der hohe Anteil derjenigen, die den Dienst noch während der Probezeit abbrechen. Demnach haben von den 2023 angetretenen 18.810 Soldat*innen 27 Prozent (5.100) die Streitkräfte wieder verlassen. Insgesamt verlässt jede beziehungsweise jeder Vierte die Bundeswehr innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten. Inakzeptabel sei die seit Jahren bestehende schlechte Lage bei den Beförderungen, weil im Haushalt der Bundeswehr die erforderlichen Planstellen fehlten. 

Weiterhin verschlechtert habe sich die sehr hohe Anzahl unbesetzter Dienstposten. Sie stieg zwischen den Jahr 2020 und 2024 von 18 auf 20 Prozent. Bei den Mannschaften waren im Jahr 2024 sogar rund 28 Prozent aller Dienstposten unbesetzt. Högl warnt: „Die Streitkräfte laufen Gefahr, dass die personelle Einsatzbereitschaft und die Auftragserfüllung erheblich leiden, wenn fast jede fünfte Kraft bei den Unteroffizierinnen und Unteroffizieren sowie den Offizierinnen und Offizieren und mehr als jede vierte Kraft bei den Mannschaften fehlt.“

Wie kann die Truppe mehr Soldat*innen gewinnen?

Die Wehrbeaufragte fordert, die Anstrengungen, die hohe Abbruchquote deutlich zu senken, zu erhöhen und zu intensivieren. Die verkürzte Kündigungsfrist für Freiwillige im Wehrdienst habe die Quote an Abbrecher*innen zumindest in den ersten drei Dienstmonaten reduziert. 

Die Entfernung zum vertrauten Wohnumfeld sei für 40 Prozent der Betroffenen der Grund, den Dienst zu quittieren. Daher sei es „wichtig und richtig, dass die Bundeswehr bereits verstärkt darauf abzielt, ihre Präsenz und ihr Engagement in den Kommunen und Regionen zu intensivieren". Gut sei, dass die Dienststellen im Berichtsjahr mehr Freiheiten erhalten hätten, in eigener Verantwortung und unabhängig von überregionalen Kampagnen für ihren Standort zu werben. 

Auch eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie könnte laut Högl helfen, Menschen für die Truppe zu gewinnen und dort zu halten. Zudem befüwortet sie ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Frauen und Männer, das auch bei der Bundeswehr abgeleistet werden kann.

Bei welchen Waffensystemen gibt es Nachholbedarf?

„Nach wie vor mangelt es insbesondere an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen, was zum Teil auch aus der so wichtigen Abgabe von Material an die Ukraine resultiert“, moniert Högl in ihrem Bericht. Verstärkt investieren müsse die Truppe aber auch bei Drohnen und Drohnenabwehr. Für die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit im Bereich der hybriden Kriegsführung müssten zudem IT und Digitalisierung stärker bedacht werden.

Wie steht es um Kasernen und andere Bereiche der Infrastruktur?

Dort gibt es nach wie vor große Probleme. Zwar wurden im Berichtsjahr die Investitionen auf rund 1,6 Milliarden Euro erhöht und gegenüber 1,25 Milliarden im Vorjahr deutlich gesteigert. Der Gesamtinvestitionsbedarf im Bereich Infrastruktur belief sich nach Ende des Jahres 2024 jedoch immer noch auf rund 67 Milliarden Euro. Kasernen und Liegenschaften befänden sich „immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand“. Nach langen Jahren der Einsparung gebe es einen hohen Sanierungsstau. Der vom Bundesverteidigungsministerium entwickelte „Aktionsplan für eine beschleunigte Bereitstellung von erforderlicher Infrastruktur für die Bundeswehr in der Zeitenwende“ sei ein gutes Zeichen. 

Was wurde bei der Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht?

Im Jahr 2024 leisteten insgesamt 24.675 Soldatinnen Dienst in den Streitkräften. Frauen seien trotz aller positiven Entwicklungen der letzten Jahre noch immer stark unterrepräsentiert, insbesondere in Führungspositionen, so die Wehrbeauftragte. Der angepeilte Frauenanteil von 20 Prozent liege in weiter Ferne. „Soldatinnen sehen sich weiterhin nicht selten Vorurteilen, Diskriminierung und leider zuweilen sexueller Belästigung ausgesetzt“, heißt es im Jahresbericht. Insgesamt erhielt die Wehrbeauftragte im Berichtsjahr 48 Meldungen zu sexualisiertem Fehlverhalten. 

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