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Matthias Miersch: „Ich will dafür sorgen, dass SPD pur sichtbar bleibt“

An diesem Montag startet der Bundestag in die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause. Im Interview sagt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, warum der Start der schwarz-roten Koalition aus seiner Sicht gelungen ist – und wie er eigene Akzente setzen will.

von Lars Haferkamp · 7. Juli 2025
SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch im Interview in seinem Büro im Bundestag

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch: Wir haben einen guten Arbeitsmodus gefunden.

Schwarz-Rot regiert seit Mai das Land. Wie bewerten Sie den Start der Koalition? 

Ich denke, es war ein guter Start. Wir haben Vertrauen aufgebaut. Und es passiert etwas: ob beim Thema Mieten und Bauen oder beim Thema Wirtschaft. Überall geht es voran.

Voran geht es in den Umfragen nach dem Regierungsstart für die Union, aber nicht für die SPD. Beunruhigt Sie das?

Natürlich müssen sich die Werte verbessern. Das Ergebnis bei der Bundestagswahl war eine Zäsur. Damit wir wieder Wahlen gewinnen, habe ich noch als Generalsekretär die Kommission zur Aufarbeitung eingesetzt. Aber natürlich hat der Kanzler gerade in der Außenpolitik an vielen Stellen Akzente gesetzt, das kommt der Union zugute. Wir sehen aber auch, dass Vizekanzler Lars Klingbeil und Arbeitsministerin Bärbel Bas in den Umfragen gute Werte haben. Und das verbunden mit einer guten inhaltlichen Politik der SPD-Fraktion macht mich zuversichtlich.

Matthias
Miersch

Die Zusammenarbeit mit Grünen und FDP war nach meinem Eindruck komplexer und manchmal auch komplizierter.

Wie läuft die Zusammenarbeit in der Koalition?

Sie läuft reibungslos. Wir haben einen guten Arbeitsmodus gefunden.

Gibt es Unterschiede zur Ampel?

Auch bei Schwarz-Rot gibt es drei Partner: CDU, CSU und uns. Die Zusammenarbeit mit Grünen und FDP war nach meinem Eindruck aber komplexer und manchmal auch komplizierter.

Unterschiede sind auch: Der Kanzler kommt nicht mehr aus den Reihen der SPD-Fraktion. Sie ist nicht mehr stärkste, sondern nur noch drittstärkste Kraft im Bundestag. Wie soll die Fraktion dennoch sichtbar bleiben?

Die Inhalte sind hier entscheidend: Die Sondervermögen für Infrastruktur und Verteidigung etwa, der handlungsfähige Staat. Das sind ursozialdemokratische Themen. Und die werden von den Menschen auch mit der SPD verbunden. Aber auch jenseits des Regierungshandelns will ich dafür sorgen, dass „SPD pur“ sichtbar bleibt – eine wichtige Aufgabe der Fraktion.

Wichtig für das Funktionieren einer Koalition ist auch die Zusammenarbeit der Fraktionschefs. Wie klappt die mit Jens Spahn?

Er ist vom Typ her in manchen Punkten ganz anders als ich. Mich drängt es zum Beispiel nicht so stark in die Öffentlichkeit. Ich denke, ich polarisiere auch weniger. Jens Spahn und ich sprechen fast täglich miteinander, so dass ich mittlerweile eine gute Zusammenarbeit erwarte.

Matthias
Miersch

Ich denke, es liegen bereits genügend Fakten auf dem Tisch, um jetzt ernsthaft ein AfD-Verbotsverfahren zu prüfen.

Die AfD ist im Bundestag zweitstärkste Fraktion. Woran machen Sie die Veränderung im Parlament fest?

Der Ton im Parlament hat sich deutlich verschärft. Schauen Sie sich die Debatten doch mal an: Die AfD-Fraktion grölt dazwischen, äfft Abgeordnete nach – das ist widerlich und sagt viel über ihr Demokratieverständnis aus. Es gibt von der AfD immer mehr Polarisierung und Provokation, immer härtere Angriffe, immer weniger Respekt. Das schadet der politischen Kultur und langfristig auch unserer parlamentarischen Demokratie. Wir haben allen Grund zur Sorge.

Sollte die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ gerichtlich bestätigt werden, wird die SPD-Fraktion dann einen Verbotsantrag im Bundestag unterstützen?

So ein Gerichtsverfahren kann sich Jahre hinziehen. Ich denke, es liegen bereits genügend Fakten auf dem Tisch, um jetzt ernsthaft ein Verbotsverfahren zu prüfen. Darüber wollen wir jetzt mit dem Koalitionspartner reden.

Aus der SPD kommt ein Manifest, das in der Außen- und Verteidigungspolitik weniger Aufrüstung, mehr Diplomatie fordert. Wie bewerten Sie das?

Das ist ein Debattenbeitrag, für den es Raum geben muss. Aber ich teile die Grundannahme nicht, dass es in der Vergangenheit zu wenig Diplomatie gegeben hat. Olaf Scholz wurde immer wieder belächelt, wenn er versucht hat, den Gesprächsfaden zu Putin aufzunehmen. Leider gab es null Bereitschaft für Dialog. Putin hat offenbar kein Interesse an Frieden. Deshalb müssen wir ihn vor weiteren Angriffen, auch auf NATO-Gebiet, wirksam abschrecken.

Matthias
Miersch

Es darf keinen Missbrauch beim Bürgergeld geben. Aber alle Bezieher von Bürgergeld pauschal unter Verdacht zu stellen, ist nicht in Ordnung.

Die Union fordert immer lauter eine Wehrpflicht. Was entgegnen Sie?

Dass wir im Koalitionsvertrag „zunächst“ einen freiwilligen Wehrdienst vereinbart haben. Und das setzen wir jetzt um, mit einem konkreten Konzept. Dessen Erfolg werden wir dann prüfen. Von vornherein zu sagen, das klappt sowieso nicht, ist nicht akzeptabel.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verlangt Einschnitte beim Bürgergeld. Geht die SPD-Fraktion diesen Weg mit?

Es ist unklar, was er mit „Einschnitten“ meint. Klar ist: Es darf keinen Missbrauch beim Bürgergeld geben. Bärbel Bas hat mit Recht von „mafiösen Strukturen“ gesprochen. Diese müssen natürlich ausgetrocknet werden. Auch deshalb verschärfen wir die Sanktionen. Aber alle Bezieher von Bürgergeld pauschal unter Verdacht zu stellen, ist nicht in Ordnung. Das spaltet die Gesellschaft. Und das macht die SPD-Fraktion nicht mit.

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7 Kommentare

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:39

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„Die Sondervermögen für Infrastruktur und Verteidigung - das sind ursozialdemokratische Themen“. „SPD pur“.

„Das Sondervermögen“, zunächst ein Schuldenberg von 500 Mrd. € „für Infrastruktur“, auf 12 Jahre verteilt gut 40 Mrd. € je Jahr, ist nicht viel, angesichts des riesigen Investitionsstaus von 400-600 Mrd. €. Das damit angeschaffte Vermögen hat das Potential, seine Rückzahlung, seine Verzinsung und noch etwas mehr an Erträgen zu erbringen. Dadurch wird die nächste Generation durch diese Ausgaben nicht belastet.

Das ist bei dem „Sondervermögen für Verteidigung“ völlig, grundsätzlich anders. Es ist eine gigantische Schulden-Ermächtigung ohne Obergrenze; seine jährliche Untergrenze aber ist auf 5% vom BIP festgeschrieben – nicht weil wir „vor Trump eingeknickt sind. Nein. Im Gegenteil“ (T. Cremer, Hoffnungsträger der SPD, 25.6.25). 5% sind übrigens 215 Mrd. € jährlich (Basis 2024). Die dafür beschafften Vermögensteile, günstigstenfalls, rosten still vor sich hin,

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:42

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werden vielleicht mal in Manövern bewegt, ein paar auch verschossen. Im Worst Case allerdings werden sie zerbombt, zerfetzt, verschossen, verbrannt. Natürlich auch die Mannschaften in ihnen oder in ihrer Nähe. Von den viel größeren Kollateralschäden gar nicht zu reden - die gehören zur Kriegstüchtigkeit der Bevölkerung einfach dazu. Einen im Laufe ihrer Nutzungsdauer messbaren Beitrag zum BIP erbringen sie nicht; sie belasten also in großem Umfange die nachfolgenden Generationen – oder was von ihnen (im Worst Case) übrig geblieben ist.
Von einer gewissen cleverness der derzeitigen SPD zeugt, dass sie sich und der Regierung die Ermächtigung für diese Schuldenaufnahme ohne Limit noch vom alten Bundestag hat genehmigen lassen. Geradezu genial hinterhältig aber ist deren Behandlung im Etat: Alle Ausgaben für diese gigantische Aufrüstung, die 1% vom BIP übersteigen, werden gar nicht im Bundeshaushalt ausgewiesen. So konkurrieren sie buchhalterisch nicht mit dem Sozialhaushalt.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:45

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Volkswirtschaftlich ist das ganz anders: Ressourcen, die in Rüstung gehen, fehlen dem zivilen Sektor. Selbst Freunde grenzenloser Aufrüstung müssen zugeben, dass höhere Militärausgaben keine „wirtschaftliche Katastrophe“ bedeuten und „traditionell nicht ausschließlich zu Lasten des privaten Konsums“ gehen ( IfW -News Kiel: Waffen und Wachstum: Die wirtschaftlichen Folgen steigender Militärausgaben, 14.02.2025). Das beruhigt. Tobias Cremer, SPD-Hoffnungsträger im Europaparlament, kann seine Begeisterung für die gigantische Aufrüstung immerhin (u. a.) in den Satz kleiden, „wenn wir es mit der Finanzierung klug anstellen, können wir wirtschaftliche Kannibalisierungseffekte zu Lasten von Infrastruktur oder dem sozialen Zusammenhalt verhindern“. Ernsthaft jetzt?

Das „Sondervermögen für Verteidigung“ auszugeben, ist für Miersch „SPD pur“, und dabei „sichtbar zu bleiben, eine wichtige Aufgabe der Fraktion“. Seine Begründung liegt in der Unterstützung der Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg;

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:49

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viel wichtiger aber noch ist die Abschreckung Russlands vor einem Krieg gegen die Nato. Der findet wahlweise nach dem diesjährigen „letzten Sommer im Frieden“ (Neitzel) oder 2029 statt. Hört Putin auf Gabriel, Waffen-Aufsichtsrat und ehemaliger SPD-Chef, dann greift der schon 2026/27 an. Der Umfang des Kriegs reicht vom „klaren Ziel, die NATO zu testen“ (Cremer, Hoffnungsträger der SPD, 25.6.25), oder im „März 2028 die estnische Kleinstadt Narwa und die Insel Hiiumaa in der Ostsee zu erobern“ (Masala, „häufiger Gast in den großen Polit-Talkshows“, C. H. Beck), bis hin zum „großmaßstäblichen Konflikt gegen die Nato zum Ende dieser Dekade“, wie der Spiegel aus dem sonst geheimen „Strategiepapier der Bundeswehr“ am 20.06.2025 zitierte. Die Bundeswehr begründet ihre Annahme damit, dass „der Kreml sowohl seine Industrie als auch die Führungsstrukturen so ausrichte“ dass eben der erwähnte Krieg möglich wäre. Der gleiche Sachverhalt von Alexander Gabujew:

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:52

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„Die russische Wirtschaft wird stark militarisiert bleiben. Die Verteidigungsindustrie wird dann die unfassbar großen Materialverluste des Militärs ausgleichen müssen; zudem hat Putin begonnen, einen teuren Plan zur Modernisierung der Armee umzusetzen“ (Blätter …, 6`25). (Zur Erinnerung: Allein die Bundeswehr wird in den nächsten 10 Jahren – 3,5% vom BIP (Basis 2024) - um 1.500 Mrd. € „aufwachsen“). Gabujev, kein Putin-Freund, kann die „Kriegswirtschaft“ der Russen ohne die Absicht eines Kriegs gegen die Nato erklären.

Das Bundeswehr-Papier nennt vier Hauptkriterien für den angenommenen Angriff. Eines ist die Annahme, die Russische Föderation habe bis 2026 „1,5 Millionen Soldaten unter Waffen“. Die EU hat – gegugelt - 1,5 Mio. Russland hat eine Landgrenze von ca. 20.000 km zu sichern, die EU nicht mal 1.000, mit Finnland 2.000. Es bedarf keiner strategischen Kenntnisse um zu begreifen, dass Russland allein wegen seiner Größe mehr Soldaten braucht als die EU.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:58

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Aber russische Soldaten dienen dem Überfall auf die Nato: Russland braucht keine Abschreckung – in unserer Sichtweise von gemeinsamer Sicherheit. (Die anderen drei Hauptkriterien des Strategie-Papiers sind von gleicher Stringenz.)

Aber der Nato und damit uns und der SPD reicht Russland als Feind nicht. Darum legt Rutte, Nato-Generalsekretär, noch zu und warnt „vor Doppelangriff durch Russland und China“ (Berliner Zeitung 7.7.25) und gibt damit eine Zusammenfassung des jüngsten „Gipfelerklärung anlässlich des Treffens des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der NATO am 10. Juli 2024 in Washington“.
Die Nato, die Bundesregierung, die SPD wollen keinen Krieg mit Russland, schon gar nicht mit Russland und China gleichzeitig. Die verbale und materielle Bereitschaft, Kriege anzunehmen, Kriege, die wir glauben identifizieren zu können/müssen, drehen die Eskalationsspirale in eine gefährlich Höhe, –

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Do., 10.07.2025 - 13:59

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und es ist niemand da, der diesem Wahnsinn ein Ende setzen will. Das aber wäre das Gebot der Stunde, das wären „ursozialdemokratische Themen, die … mit der SPD verbunden werden sollten.“

„Nach knapp 80 Jahren der (militärischen) Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“: … Friedenspolitik bedeutet, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen (Klingbeil, 21.6.22).

Ich habe wohl zwei Drittel meines langen Lebens, von Willy Brandt´s Ostpolitik angelockt, mit einer Partei verbracht, die es nur in meinen Träumen gegeben hat.