Eppler-Kreis: SPD-Politiker fordern mehr Diplomatie statt Aufrüstung
Zwei Wochen vor dem SPD-Bundesparteitag fordern prominente Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises in einem Manifest mehr diplomatische Anstrengungen, weniger Rüstungsausgaben und Gespräche auch mit Russland. Zu US-Mittelstreckenraketen haben sie auch eine klare Meinung.
IMAGO/Steinsiek.ch
Die NATO will mehr Geld für Verteidigung ausgeben. Kritik daran kommt aus der SPD.
Anfang des Monats haben sich die NATO-Verteidigungsminister auf neue Fähigkeitsziele für die Mitgliedsstaaten geeinigt, die eine gewaltige Aufrüstung bedeuten. Dagegen wenden sich die Unterzeichner*innen eines Manifests des Erhard-Eppler-Kreises. Sie fordern stattdessen einen „Stopp des Rüstungswettlaufs“. Europäische Sicherheitspolitik dürfe sich aus ihrer Sicht nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung orientieren. Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts gebe es keine sicherheitspolitische Begründung, so die Unterzeichner*innen.
SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 23 mit Norbert Walter-Borjans
Eigentlich reichen sechs Buchstaben, um ihn vorzustellen: Als „Nowabo“ ist Norbert Walter-Borjans innerhalb der Sozialdemokratie bekannt. Von 2019 bis 2021 war er gemeinsam mit Saskia Esken SPD-Vorsitzender. Zuvor kämpfte er sieben Jahre lang als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen für Steuergerechtigkeit. In der aktuellen Folge erzählt er aber auch von seinen Anfängen, als er sich als Juso-Vorsitzender in Köln-Sülz für eine ökologische Verkehrswende einsetzte.
Zu ihnen gehören der frühere SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, der ehemalige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sowie die Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner, Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi. Ebenfalls unterschrieben haben der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel sowie der ehemalige Bremer Bürgermeister Carsten Sieling. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine fordert der Eppler-Kreis eine „möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens“.
Eine Forderung, der sich sicher auch die Ukraine anschließen dürfte, ist es doch Russland, das sich der immer wieder geforderten mindestens 30-tägigen Waffenruhe verweigert und stattdessen seit Tagen schwerste Luftangriffe auf die Ukraine verübt. Unklar bleibt hingegen, was sich hinter der folgenden Forderung des Eppler-Kreises verbirgt: „Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität.“
Wieder mit Russland sprechen
Auf dieser Grundlage solle anschließend der schwierige Versuch unternommen werden, „nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen“, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa. Eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland lehnen die Unterzeichner*innen dagegen ab. Denn diese würden Deutschland „zum Angriffsziel der ersten Stunde“ machen.
Am Mittwochabend äußerte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius mit deutlicher Kritik am Manifest. „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung“, schrieb Pistorius auf Instagram. Es nutze den Wunsch der Menschen in Deutschland nach einem Ende des „furchtbaren Krieges“ in der Ukraine und nach Frieden aus. Dieser Wunsch sei berechtigt und auch sein Wunsch. „Deutschland, Europa und die Welt wollen und brauchen Stabilität und Frieden“, schrieb Pistorius.
Putin allerdings nicht. „Putin hat mehrmals betont, wer für ihn der Feind ist: die westliche Welt. Unsere Werte, unsere Freiheit, unsere Toleranz. Er will die NATO schwächen. Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln. Nur so werden wir ihn an den Verhandlungstisch bringen.“ Das sei im Übrigen auch die Politik Willy Brandts gewesen – unter dessen Regierung der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP deutlich höher war als heute.
Klingbeil: Diplomatie und militärische Unterstützung
Auch die Erhöhung der Verteidigungsausgaben sei nicht Resultat einer künstlichen Quote, sondern der Preis der militärischen Fähigkeiten, „die wir als Deutschland für ein starkes und abwehrbereites Bündnis beitragen müssen“, schrieb Pistorius und fügte an: „Damit schüren wir keine Kriegsgefahr. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht gerade darum, einen Krieg gegen uns zu verhindern. Es ist Putin, der jahrelange diplomatische Vermittlungsversuche in den Wind geschlagen hat. Er verfolgt die Konfrontationsstrategie. Nicht wir.“
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sprach während eines Instagram-Live-Gesprächs mit dem früheren Generalsekretär Kevin Kühnert von einer „völlig aufgeregten Diskussion“. Zugleich machte Klingbeil klar: „Wir brauchen keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Wir müssen da standhalten. Das ist auch das, wofür ich als Parteivorsitzender stehe.“ Zugleich seien Diplomatie und militärische Unterstützung zwei Seiten einer Medaille. Zugleich müsse es in der SPD Orte für diese Debatte geben. „Man muss als Partei aushalten, diese Diskussion zu führen“, sagte Klingbeil.
Der Juso-Chef lobt das Manifest
Lob gab es hingegen vom Juso-Chef. „Es ist gut, dass wir jetzt diese Debatten führen, denn sie entfalten neben der inhaltlichen Ebene auch eine psychologische Wirkung“, sagte Philipp Türmer dem „Stern“ mit Blick auf die Diskussionen über deutsche Verteidigungsausgaben. „Hätten wir 2024 tatsächlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausschließlich für traditionelle Verteidigung aufgewendet, wären das über 150 Milliarden Euro gewesen“, kritisierte er. „Das sind von der Realität weitestgehend entkoppelte Mondzahlen.“
Kritik am Manifest kam beispielsweise vom innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Fiedler. Er kritisierte vor allem die darin geforderte schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland. Wörtlich schrieb Fiedler dazu auf X: „Jetzt gerade? WTF!? Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher, der sich schon für die nächsten Ziele präpariert? Gute Nacht!“
SPDings – der „vorwärts“-Podcast, Folge 6 mit Sebastian Fiedler
Sebastian Fiedler ist Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Auch politisch liegt ihm das Thema Sicherheit sehr am Herzen. Im Wahlkreis Mülheim – Essen I kandidiert der Tierliebhaber für den Bundestag und will künftig innerhalb der SPD-Fraktion als Ansprechpartner für diesen Themenbereich fungieren.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch bezeichnete das Manifest gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) als „legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile". Diplomatie bleibe zwar oberstes Gebot, so Miersch. „Aber wir müssen auch ehrlich sagen: Viele Gesprächsangebote - auch von Bundeskanzler Olaf Scholz - sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."
Deutliche Kritik von Michael Roth
Aus Sicht von Michael Roth, dem früheren Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, gelte das sozialdemokratische Motto „Mit uns zieht die neue Zeit“ für eine Reihe von Genoss*innen in der SPD nicht mehr. „Dieses Manifest ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung“, machte der frühere Außenpolitiker deutlich. Roth hatte sich während der letzten Legislaturperiode im Bundestag immer wieder für eine stärkere Unterstützung der Ukraine starkgemacht.
Der frühere sächsische SPD-Abgeordnete Detlef Müller schrieb, er erwarte „baldigst eine Erklärung der/des Parteivorsitzenden dazu. Hier geht es um unsere Glaubwürdigkeit, Zukunftsfähigkeit und Verlässlichkeit. Aber auch, ob die SPD in Gänze zur Koalition und zur NATO steht.“ Der neue außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, wird im Spiegel folgendermaßen zitiert: „Ein inhaltlich in weiten Teilen fragwürdiges Papier ist nicht Beschlusslage in der Fraktion oder Partei und würde im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Endlich! Gutes Manifest
Endlich wieder ein Aufschlag für sozialdemokratische Friedenspolitik. Zu lange ist dies Menschen wie Michael Roth überlassen worden, die mit Sozialdemokratie überhaupt nichts am Hut haben.
Der Autor des Vorwärts scheint das Bedürfnis zu verspüren, das Manifest möglichst negativ einzuordnen. Anstatt dies als Auftakt zu einer ehrlichen, innerparteilichen Debatte zu betrachten. Das ist bei Tagesschau heute zwar inzwischen zum üblichen Handwerk geworden, hat im sozialdemokratischen Vorwärts aber keinen Platz.
Ich bin den Autoren des Manifest sehr dankbar, auf dieser Grundlage würde ich wieder in Betracht ziehen, SPD zu wählen. Natürlich nur, wenn dies sich durchsetzt.
Stegnerismus
Also Frieden ist schön und ein erstrebenswertes Ziel, gerade die SPD in Schleswig - Holstein hat in der Friedenspolitik immer eine gute und glaubwürdige Rolle gespielt.
Das war allerdings vor der Stegner-Zeit. Die Parteiverantwortlichen vor der Stegner Zeit haben die Parteimitglieder breit überzeugt, mitgenommen und für ihre Überzeugungen in Parteiveranstaltungen auf Parteitagen auch gestritten. Das war einmal.
Jetztzeit; die Parteitage in Schleswig-Holstein sind jetzt vorbei, die Nominierungen gelaufen und jetzt kommen die Stegneristen, ohne inhaltliches Mandat als freie Radikale mit dem Hang zu Manifesten, aus dem Quark.
So können sie in den nächsten 3,5 Jahre als freie Radikale tun und lassen was individuell gerade gefällt.
Unabhängig von diesem Parteiverständnis stellt sich die Frage (und da kommt man irgendwann nicht drum rum) mit wem man verhandeln soll, mit Putin bzw. mit Putins Rußland das zur Zeit ist weder Friedensfähig und damit Vertragsfähig ist.
Jetzt die Ukraine, mor
Also Frieden ist schön und…
Also Frieden ist schön und ein erstrebenswertes Ziel, gerade die SPD in Schleswig - Holstein hat in der Friedenspolitik immer eine gute und glaubwürdige Rolle gespielt.
Das war allerdings vor der Stegner-Zeit. Die Parteiverantwortlichen vor der Stegner Zeit haben die Parteimitglieder breit überzeugt, mitgenommen und für ihre Überzeugungen in Parteiveranstaltungen auf Parteitagen auch gestritten. Das war einmal.
Jetztzeit; die Parteitage in Schleswig-Holstein sind jetzt vorbei, die Nominierungen gelaufen und jetzt kommen die Stegneristen, ohne inhaltliches Mandat als freie Radikale mit dem Hang zu Manifesten, aus dem Quark.
So können sie in den nächsten 3,5 Jahre als freie Radikale tun und lassen was individuell gerade gefällt.
Unabhängig von diesem Parteiverständnis stellt sich die Frage (und da kommt man irgendwann nicht drum rum) mit wem man verhandeln soll, mit Putin bzw. mit Putins Rußland das zur Zeit ist weder Friedensfähig und damit Vertragsfähig ist.
Jetzt die Ukraine, mor
Hurra !
Es gibt anscheinend noch Sozialdemokraten in der SPD.
Soziale Gerechtigkeit, Entspannung, Abrüstung das müssen wieder die Markenzeichen der SPD werden. Der Anfang ist gemacht dank der GenossInnen.
Hurra!
Sehr gut, hoffentlich führt dieses Papier zu einem entsprechenden Antrag beim Bundesparteitag und natürlich einem entsprechenden Handeln in der Bundesregierung und im Bundestag.
„Manifest“
Sicher kann ich einigen Argumenten nicht folgen, trotzdem bin ich froh, dass diese längst überfällige Debatte angestoßen wurde. Wenn diese
nicht mal mehr in der SPD geführt werden darf und z.T. so undemokratisch „abgebügelt“ wird, dann haben wir auch ein massives demokratisches Problem in unserer Partei. Das irritiert und ärgert mich.
Manifest des Erhard-Eppler-Kreises
Dieses Manifest ist mehr als überfällig. Aber spät ist besser als nie. Ich bin stolz auf die Verfasser*innen dieses Manifests. Die Bewertung von Michael Roth ist inhaltlich wie historisch völlig indiskutabel und gehört in die Argumentationskategorie der Kriegstüchtigkeitsphilosophie in der Manier von Agnes-Strack-Zimmermann. Boris Pistorius hat für mich ein einseitiges, defizitäres Weltbild. Die Realitätsverweigerung von Herrn Pistorius liegt darin zu glauben bzw. vorzugeben, es ginge um die Verwirklichung von Menschenrechten oder Menschlichkeit. Schon Egon Bahr sagte, es geht immer nur um Interessen und geopolitische Einfluss-Bereiche.
Jeder kann sich neutral darüber informieren, welche Interessen in Sachen Ukraine der Westen (die Nato, USA, Eu und Deutschland) seit 1990 verfolgt hat. Das macht den klar zu verurteilenden Einmarsch Russlands in die Ukraine vom 24.02.2022 n i c h t rechtens. Aber der Westen hat eine sehr, sehr, sehr große Mitschuld an dieser furchtbaren Situation.
Manifest
Endlich mal wieder ein Aufschlag, der an
Die Entspannungspolitik anknüpft.
Diplomatie ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je!
Keine Rüstung = Bullerbü oder neue DDR?
... soll Polen die EU Sicherheit alleine verteidigen? Die SPD hat mit ihren Linken, die ich teils auch schätze, immer wieder das Talent fatale Fehler zu machen. Ich habe keine Lust unter russischer Hegemonie zu leben . vielleicht mit einer neuen SED - keine angst Sie bekommen auch ein paar Posten im neuen Machtgefüge von Moskaus Gnaden. Einfach naiv und schädlich. Diplomatie geht nur mit entsprechender "harpower", sonst bleibt das alles leeres Geschwätz. Der Bezug zur Vergangenheit ist historisch interessant, ich sehe ihn eher in den 1930ern, wir diesmal auf der anderen Seite. Jetzt ist man endlich mal auf einem Weg zur Einigkeit in Europa, USA fällt aus wg. Trump-vid-25, und nun schießen die SPD-Linken mit ihren machtlosen Thesen quer. Da haben die Grünen mehr Standvermögen und Geistesgegenwart. SICHER(!) Grün wählen, denke ich. Ohne Stärke gibt es keinen Frieden. Ohne Stärke gibt es keine Freiheit. Gegen militärische Macht hilft nur militärische Macht. Das musste ich auch einsehen.