SPD setzt sich durch: Wehrdienst bleibt laut Koalitionsvertrag freiwillig
Eines der Streitthemen in den rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen war die Wehrpflicht. Laut Koalitionsvertrag bleibt es beim SPD-Modell, das auf Freiwilligkeit setzt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Wehrpflicht.
IMAGO/Steinsiek.ch
Auf das Personal kommt es an: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius begrüßt einen Soldaten der Bundeswehr in der Artillerieschule Idar-Oberstein.
Was haben SPD und Union zur Wehrpflicht beschlossen?
Im Koalitionsvertrag heißt es auf Seite 130: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Das bedeutet, es wird keine Wiederaufnahme der allgemeinen Wehrpflicht geben. Was mit „zunächst“ gemeint ist, wird nicht weiter ausgeführt. „Wir orientieren uns am schwedischen Wehrdienstmodell“, heißt es an anderer Stelle im Vertrag. Diese Modell setzt ebenfalls auf Freiwilligkeit.
Hat sich die SPD damit gegenüber der Union durchgesetzt?
Ja. Die SPD wollte nach ihrem Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2025 „die Einführung eines neuen, flexiblen Wehrdienstes“. Für sie war dabei klar: „Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit basieren.“ Genauso steht es nun im Koalitionsvertrag. Der Wehrdienst sollte sich darüber hinaus am Bedarf der Bundeswehr orientieren. Deshalb wollte die SPD „zügig die Grundlagen für eine Wehrerfassung“ schaffen. Auch das steht nun genauso im Koalitionsvertrag.
Was wollte die Union ursprünglich?
Die Union setzte in ihrem Wahlprogramm nicht auf Freiwilligkeit, sondern auf die Einführung einer so genannten „aufwachsenden Wehrpflicht“. Aus dem Kreis der Gemusterten sollten diejenigen zum Grundwehrdienst einberufen werden, die ihre Bereitschaft zum Wehrdienst signalisiert haben. Die Bundeswehr sollte dabei „nur so viele Einberufungen vornehmen, wie es die Streitkräfteplanung erfordert“. Das Konzept folgte in weiten Teilen der klassischen Wehrpflicht. Die kommt nun laut Koalitionsvertrag aber nicht.
Worin sind Rot und Schwarz noch einig?
SPD und Union stimmen darin überein, dass sich die Bedrohung der Sicherheit Deutschlands dramatisch erhöht hat. Erstens durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und zweitens durch die Abkehr der Trump-Administration von der atlantischen Allianz und den europäischen Verbündeten. Daraus ziehen SPD und Union dieselbe Konsequenz: Deutschland soll stärker und unabhängiger in seiner Verteidigung werden. Dazu halten beide deutlich mehr Soldat*innen der Bundeswehr für zwingend erforderlich. Aktuell haben die Streitkräfte einen Personalbestand von rund 180.000. Aktuelle Zielgröße sind 203.000 aktive Soldat*innen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr sieht den „Bedarf bei über 400.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie Reservisten“. Der Koalitionsvertrag nennt keine konkrete Zahl.
Welche Rolle spielte die Wehrpflicht in den Koalitionsverhandlungen?
Auch wenn die drängendsten Finanzprobleme der Bundeswehr durch den Beschluss zur Schuldenbremse erst einmal gelöst sind: Die Wehrpflicht blieb ein zentraler Gegenstand in den Verhandlungen zur Bildung einer möglichen künftigen Bundesregierung von SPD und Union. Laut den aus der Arbeitsgruppe für Verteidigung öffentlich gewordenen Papieren war die Frage der Wehrpflicht zwischen beiden lange noch „nicht geeint“, also weiter umstritten. Erst ganz am Ende schafften die Beteiligten eine Einigung.
Was hat die Ampel zur Wehrpflicht beschlossen?
Im November 2024 hatte die damalige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP auf Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Einführung eines „neuen Wehrdienstes“ beschlossen. Der Bundestag hat darüber aber noch nicht entschieden. Nach dem Kabinettsbeschluss sollen alle wehrfähigen Männer und Frauen mit 18 Jahren einen Fragebogen der Bundeswehr bekommen. Nur Männer wären verpflichtet, ihn auszufüllen, Frauen nicht. Gefragt werden sollen die 18-Jährigen nach ihrer grundsätzlichen Bereitschaft zum Wehrdienst, aber auch nach ihrer Fitness. Danach würde die Bundeswehr geeignete Bewerber*innen zur Musterung einladen. Im ersten Jahr sollen so 5.000 neue Soldat*innen gewonnen werden, für mehr reichen die Ausbildungskapazitäten der Streitkräfte aktuell nicht aus. In den Folgejahren soll diese Zahl schrittweise erhöht werden.
Welche Rolle spielt das „schwedische Modell“?
Der freiwillige Wehrdienst der Ampel-Koalition orientiert sich am „schwedischen Modell“. Hier erhalten junge Männer und – anders als in Deutschland – auch Frauen zum 18. Geburtstag einen Fragebogen der Streitkräfte. Danach werden rund 63 Prozent der Befragten gar nicht mehr zur Musterung eingeladen. Und auch von den 25.000 Gemusterten werden am Ende nur weniger als 30 Prozent eingezogen. Am „schwedischen Modell“ orientiert sich auch ausdrücklich der Koalitionsvertrag von SPD und Union.
Was sagt das Grundgesetz zur Wehrpflicht?
Die Verfassung sieht laut Artikel 12 a des Grundgesetzes vor: „Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“. Der Bund macht von dieser Möglichkeit aktuell aber keinen Gebrauch, da die praktische Anwendung der Wehrpflicht 2011 „ausgesetzt“ wurde.
Gibt es eine Pflicht zum Dienst an der Waffe?
Nein, die gibt es nicht. Artikel 4 des Grundgesetzes schreibt fest: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Artikel 12 a legt darüber hinaus fest, dass „wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden“ kann. Dies war früher etwa der Zivildienst. Im Verteidigungsfall können alle wehrfähigen Männer einberufen werden, dürfen jedoch nicht zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden.
Welche Rolle spielen die Frauen?
Die Wehrpflicht des Grundgesetzes gilt nur für Männer, nicht für Frauen. Artikel 12 a des Grundgesetzes legt sogar fest, dass Frauen selbst im Verteidigungsfall, also im Krieg, „auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“. Freiwillig können Frauen jedoch sehr wohl in der Bundeswehr dienen – allerdings erst seit 1975. Das tun aktuell rund 24.000. Damit sind knapp 14 Prozent der Bundeswehrangehörigen weiblich.
Warum wurde die Wehrpflicht überhaupt ausgesetzt?
2011 setzte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Wehrpflicht aus, nachdem sie zuvor 55 Jahre in Kraft war. Die Bundesregierung hielt diese nicht mehr für erforderlich, da sie keine ernsthafte militärische Bedrohung mehr für Deutschland sah. In der Folge wurden zahlreiche Kasernen und Grundstücke der Bundeswehr verkauft, die Kreiswehrersatzämter geschlossen. Heute hat die Bundeswehr daher weder die nötigen Strukturen, noch ausreichend Ausbilder*innen für eine Wehrpflicht nach altem Muster.
Bedarf
Hat denn die Bundeswehr noch genügend Kasernen um da junge Menschen zu internieren und für das Töten und Getötet werden auszubilden ?????
"Freiwillige" Wehrpflicht
Ich als SPD-Mitglied lehne jegliche Debatten und Gedankenspiele um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sehr entschieden ab. Hier scheinen doch eine gewisse Panikmache und Hysterie, das Heraufbeschwören von diversen "Bedrohungen und Lagen" Triebfeder dieses Planes zu sein ! M.E. blanker Aktionismus und der unverantwortliche Versuch einer "Militarisierung unserer Gesellschaft durch die Hintertür" ! Kriege werden im 21.Jhdt. leider nicht nur durch Soldaten geführt ! Sondern auch auf völlig neuartige Weise und durch andere Mittel (Drohnen, KI, Roboter) !
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Warum ist es wichtig, wer sich bei der Wiederaufnahme der Wehrpflicht durchgesetzt hat?
Im Koalitionsvertrag „basiert der neue Wehrdienst zunächst auf Freiwilligkeit“. Dass die SPD dazu „zügig die Grundlagen für eine Wehrerfassung“ schaffen will, deutet eher auf eine nicht so ganz ernstgemeinte Freiwilligkeit hin. Im Gegensatz dazu, so der Vorwärts, wollte „die Union … diejenigen zum Grundwehrdienst einberufen, die ihre Bereitschaft zum Wehrdienst signalisiert haben“. Der Vorwärts wird verstehen, worin sich beide Vorstellung über die Rekrutierung zum Wehrdienst unterscheiden; ich hingegen verstehe, warum die CDSU nichts dagegen hatte, dass sich die SPD hier durchgesetzt hat.
Hoffentlich verstehen die von CDSU und SPD ins Auge gefassten potentiellen freiwilligen Wehrdienstleistenden, dass sie gebraucht werden - lassen wir mal die Einzelheiten weg zu was -, weil „sich die Bedrohung der Sicherheit Deutschlands dramatisch erhöht hat“.
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Der Koalitionsvertrag muss es gar nicht ausdrücklich erwähnen – es ist die Russische Bedrohung. Sie war schon vor dem Ukraine-Krieg existent, sie braucht auch keinen Trump; beide haben sie aber „dramatisch erhöht“. Ihre unverrückbare, reale Basis ist die strategische Grundannahme, dass Nachbarstaaten (oder Bündnisse) – reziprok - potentielle Angreifer sind, ob sie wollen oder nicht: Potentielle Gefahr geht vom Nachbarstaat (oder einer Staatenunion aus), weil er (sie) existiert. Unser omnipräsentes Narrativ der Russischen Gefahr hat sich aber von dieser strategischen Grundannahme über Bedrohung (, man könnte auch sagen Sicherheit oder Sicherheitsinteresse,) emanzipiert: Sie gilt nur in eine Richtung. Darüber hinaus weiß unser Narrativ, dass die Russische Föderation uns angreifen will, ja, wird.
Wenn man bedenkt, dass die uns immer als furchteinflößend übermächtig eingeredete russische Armee ein Jahr brauchte, um genug Soldaten an der ukrainischen Grenze für einen Angriff anzusammeln,
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wenn sie selbst in drei Jahren Krieg die Ukraine nicht besiegen konnte, dann ist ein Angriff auf die Nato eine Erkenntnis, die einem bestimmten Interesse entspringt. Auch historisch ist die Annahme völlig unbegründet: In den großen Kriegen der letzten 200 Jahre in Europa, war Russland eher nicht deren Verursacher. Und Russland hat sich auch nicht in Richtung EU und Nato ausgedehnt. Die SPD, um die Perspektive wieder etwas zu verengen, hat „im Konflikt mit Putins Russland eines ihrer erfolgreichsten Instrumente wiederentdeckt: die Erweiterungspolitik. Sie war Motor für Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in Europa“ (Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch, Berlin, 20.01.2023). Allerdings endete sie (vorläufig) in einem nun schon drei Jahre andauernden Krieg. Wer das als Erfolg verbucht, hat nicht die richtigen Maßstäbe. Anders als unser Narrativ behauptet, geht es in dem Krieg um die Ukraine nicht zuletzt um russische Sicherheitsinteressen.
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Trump beweist das, in dem er in seinem Friedensangebot, soweit bekannt ist, die Aufnahme der Ukraine in die Nato ausschließt. Unsere Politik der letzten 30 Jahre hat insbesondere mit dem massiven Betreiben der Nato-Aufnahme der Ukraine (und Georgiens) seit 2008 gegen die strategische Grundannahme der reziproken Bedrohung verstoßen. Alle wussten und wissen das. Der Vorwärts hat es so formuliert: „Für Russland wäre der Nato-Beitritt der Ukraine ein geopolitisches Desaster von wahrhaft historischer Dimension“, weil er „sicherheitspolitisch Russland enorm schadete“ (26.2.24. Im Vorwärts geht es konkret um Schweden).
Es wäre sicher eine sehr hilfreiche Unterstützung für potentielle Wehrdienstleistende, wenn wir den dramatischen Fehler unserer Politik der letzten 20 Jahre beheben würden und mit unserem Nachbarn im Osten, der dort niemals verschwinden wird, eine europäische Friedens- und Sicherheitsordnung versuchten zu erreichen, die beide akzeptieren könnten.
Wir haben keine andere Wahl.