Inland

Gleichstellung: „Männer müssen für Frauen Platz machen“

Zum Internationalen Frauentag am 8. März berichten die Vereinten Nationen von einem Rückgang der Frauenrechte in fast jedem vierten Land der Welt. Wie die Situation in Deutschland ist und wo sie Verbesserungsbedarf sieht, sagt Elke Ferner vom Deutschen Frauenrat im Interview.

von Lea Hensen · 8. März 2025
Am 8. März wird weltweit der Internationale Frauentag gefeiert.

Am 8. März wird weltweit der Internationale Frauentag gefeiert.

Mit der Bundestagswahl ist Deutschland weiter nach rechts gerückt: Die AfD hat das beste Ergebnis seit ihrer Gründung eingefahren, der neue Bundestag wird konservativer und männlicher. Wie steht es jetzt um Frauenrechte in Deutschland?

Wir machen uns schon länger Sorgen, weil wir weltweit einen Rollback beobachten, also eine Rückwärtsbewegung bei Frauenrechten. Durch Konflikte und Krisen sind die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sichtbarer geworden und gewachsen. Wie es sich in Deutschland entwickelt, hängt jetzt davon ab, ob die Union zu einer modernen Gesellschaftspolitik bereit ist. Ich halte das nicht für ausgeschlossen, die SPD hat 2015 in der großen Koalition auch mit der Union das Entgelttransparenzgesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern und das Führungspositionengesetz umgesetzt, wenn auch mit Kompromissen. Es ist jedenfalls wichtig, jetzt Gas zu geben.

Welche Vorhaben drängen am meisten?

Zunächst einmal ist es völlig inakzeptabel, dass der Frauenanteil durch das Wahlergebnis von Union und AfD im Deutschen Bundestag erneut abgesunken ist, und zwar von 35,7 Prozent auf rund 32,4 Prozent. Sollte die neue Regierung die Wahlrechtsreform noch einmal angehen, muss im neuen Wahlrecht Parität verankert werden. Zudem hat sich Deutschland mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen verpflichtet, bis 2030 Geschlechter-Gleichheit zu erreichen. Der heutige Equal-Pay-Day, der auf die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen aufmerksam macht, zeigt: Davon sind wir noch weit entfernt. Laut Statistischem Bundesamt lag die Lohnlücke 2024 bei 16 Prozent. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, schließen wir sie also erst 2057. Insofern kann ich sagen: Es gibt viel zu tun, die Zeit wird knapp. 

Welche Frauenrechte sehen Sie am meisten bedroht?

Das grundsätzliche Problem ist doch: Wenn wir Gleichstellung erreichen wollen, müssen Männer, die heute überrepräsentiert sind, für Frauen Platz machen. Frauen sind heute in ihrem Recht auf freie Selbstentfaltung eingeschränkt, von gleichen Verwirklichungschancen sind wir weit entfernt. Auf dem Papier haben sie vielleicht die gleichen Chancen wie Männer, aber die meisten jungen Frauen spüren die Benachteiligung zum ersten Mal, wenn sie eine Familie gründen. Dann müssen sie häufig zurückstecken und die Männer ziehen an ihnen vorbei. Teilweise wird schon die potenzielle Mutterschaft als Nachteil ausgelegt. Während der Pandemie haben wir gesehen, wie schnell wir auf alte Rollenmuster zurückfallen, denn im Wesentlichen waren es Frauen, die vom Home-Office aus auch ihre Kinder beim digitalen Unterricht betreuten, oder als Verkäuferin oder Krankenschwester den Betrieb am Laufen hielten.

Derzeit steht Wirtschaftspolitik ganz oben auf der Agenda. Ein milliardenschweres Sondervermögen für die Infrastruktur soll bessere Anreize für Investitionen in die Wirtschaft schaffen. Ist derzeit überhaupt noch Platz für Frauenpolitik?

Mehrere Studien haben gezeigt, dass es enorme Wachstumspotenziale freisetzen würde, wenn wir den Erwerbsumfang von Frauen auf das Niveau der Männer heben würden. Laut einer Prognose der Weltbank aus dem vergangenen Jahr stiege das weltweite Bruttosozialprodukt dann innerhalb von zehn Jahren im Durchschnitt um zwei Prozent jährlich. Also wenn das kein Argument ist, die strukturellen Benachteiligungen abzubauen, dann weiß ich nicht, was noch ein Argument sein soll. Es geht eben nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um eine ökonomischen Erfolg. 

Elke Ferner

war von 2013 bis 2018 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie und Frauen. Davor saß sie viele Jahre lang für die SPD im Deutschen Bundestag. Seit 2022 ist sie im Deutschen Frauenrat für Strukturen der nationalen Gleichstellungspolitik verantwortlich. Seit 2021 ist sie Vorstandsvorsitzende von UN Women Deutschland.

Elker Ferner ist Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat.

Das gilt auch für Parität in Führungs- und Entscheidungspositionen, denn Vielfalt führt zu mehr und zu nachhaltigerem Erfolg. Deswegen müssen wir das Führungspositionengesetz auf mehr Unternehmen ausdehnen und den Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten vom Mindestanteil von 30 Prozent auf 50 Prozent erhöhen. Wer Frauen ausgrenzt, hat auch zu verantworten, wenn die ökonomischen Potenziale nicht in dem Umfang genutzt werden können, wie es möglich wäre. Wir brauchen auch mehr Investitionen in Gleichstellung –auch das sind Zukunftsinvestitionen.

Jede fünfte Person in Deutschland hat mit der AfD eine antifeministische Partei gewählt, die frauenpolitische Errungenschaften zurückdrehen möchte. Gleichzeitig soll es immer mehr Jugendliche geben, die sich für konservative Rollenverteilung aussprechen. Wie erklären Sie sich diese Tendenzen?

Ich denke, viele AfD-Wähler*innen haben nicht einmal in das Wahlprogramm geguckt, und genauso wenig gesehen, dass die AfD nur Politik für Besserverdienende macht. Was die Jugendlichen angeht: Wenn man sieht, wie viele Frauen sich Tag für Tag abrackern, um Familie und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, ist das nicht unbedingt etwas, was man sich für sich selbst wünscht. Deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen so verändern, dass Familie und Karriere miteinander vereinbar sind und es eine faire Verteilung der Sorgearbeit gibt. 

In den USA hat Donald Trump die Wahl mit offener Frauenfeindlichkeit gewonnen und propagiert die Rückkehr zur traditionellen Männlichkeit. Gibt es diese Entwicklung auch in Deutschland? 

Wenn man sich die frauenfeindlichen Kommentare im Internet anschaut oder auch die Äußerungen von manchen Politikern, würde ich schon sagen, dass es das hierzulande gibt. Männer haben offenbar weniger Respekt gegenüber Frauen, und trauen sich im Netz, Dinge zu sagen, die sie sich im richtigen Leben nicht trauen würden. Das versaut das Klima in allen Bereichen.

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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