Fachkräftezuwanderung: Wie ein Anreiz zu Ungleichbehandlung führt
Fachkräfte, die aus Drittstaaten nach Deutschland einwandern, dürfen ihre Eltern nachholen, Deutsche mit ausländischen Eltern dürfen das nicht. Eine Betroffene findet das unfair und kämpft gegen diese Ungleichbehandlung.
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Fachkräfte aus Drittstaaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen auch ihre Eltern nach Deutschland nachholen. Möglich macht es das Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Aktuell stellt sich die Frage gar nicht. Dorieta Gjuras Schwester hat gerade bei der Parlamentswahl im Kosovo kandidiert und dort den Einzug ins Parlament trotz des Wahlsieges der Partei von Ministerpräsident Albin Kurti nur knapp verfehlt. Wollte sie als Fachkraft nach Deutschland einwandern und hier arbeiten, dürfte sie nach einer gewissen Zeit auch ihre in Albanien lebenden Eltern nachholen, theoretisch sogar die Schwiegereltern. Dorieta Gjura hingegen darf das nicht, dabei lebt sie sogar schon seit vielen Jahren in Deutschland, arbeitet im hessischen Wirtschaftsministerium in einer Führungsposition und besitzt seit einigen Jahren den deutschen Pass.
Regelung im Fachkräfteeinwanderungsgesetz
„Häufig werde ich, wenn ich in Albanien bin, gefragt, wann ich denn endlich meine Eltern nach Deutschland hole. Die Menschen verstehen nicht, dass ich das nicht darf“, erzählt sie im Gespräch mit dem „vorwärts“. Dass ihre Schwester das dürfte, hängt mit einer Regelung im Fachkräfteeinwanderungsgesetz zusammen, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf „vorwärts"-Anfrage bestätigt.
Demnach können Eltern einer „drittstaatsangehörigen Fachkraft“ – so werden Menschen aus Staaten bezeichnet, die nicht der EU angehören – eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug bekommen. Gleiches gelte für die Schwiegereltern der Person, wenn der oder die Ehepartner*in sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhält. Dies gilt laut Bundesinnenministerium für Ausländer*innen, denen am oder nach dem 1. März 2024 erstmals ein Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken erteilt wurde. Der Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes muss durchgehend gesichert sein.
Die Regelung ist bis zum 31. Dezember 2028 befristet und wird evaluiert. Eine generelle Ausweitung des Elternnachzugs ist nicht vorgesehen. „Diese Regelung ist gut gemeint, verfehlt aber ihr eigentliches Ziel. Leider schafft man somit eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Migrant*innen“, kritisiert Gjura.
Internationaler Wettbewerb um Fachkräfte
Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung auf den Nachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen ist laut Bundesinnenministerium nicht möglich. Der Sprecher bestätigt, dass es vor diesem Hintergrund zu einer Ungleichbehandlung zwischen deutschen und drittstaatsangehörigen Fachkräften kommen könne. „Diese Ungleichbehandlung kann jedoch durch das Interesse der Bundesrepublik an der Fachkräftegewinnung gerechtfertigt werden“, heißt es seitens des Bundesinnenministeriums. So werde bei ausländischen Fachkräften – im Vergleich zu deutschen Fachkräften – ein deutlich stärkerer Anreiz für eine Tätigkeit in Deutschland – auch im Vergleich zu anderen Staaten – durch eine solche Privilegierung gesetzt.
Denn Deutschland steht bei der Gewinnung von Fachkräften im internationalen Wettbewerb. Für viele Fachkräfte aus Drittstaaten könne die Möglichkeit, nicht nur ihre Ehe-/Lebenspartner*innen und minderjährigen Kinder, sondern auch etwaige pflegebedürftige Eltern nachholen zu können, ausschlaggebend sein, sich für eine langfristige Beschäftigung in Deutschland zu entscheiden. Eine erfolgreiche Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten sei zudem erforderlich, um die bereits bestehende sowie erwartete Beschäftigungslücke zu schließen und die Wirtschaft der Bundesrepublik zu sichern.
Berliner SPD kämpft gegen Ungleichbehandlung
Dorieta Gjura will sich mit dieser Begründung nicht abfinden. „Ich werde weiter darum kämpfen, meine Eltern nach Deutschland holen zu können. Ich finde diese Regelung unfair, nicht nur, weil sie mich persönlich betrifft“, sagt sie. Unterstützung erhält sie dabei von der Berliner SPD, wo sie gemeinsam mit Kian Niroomand und Joachim Rahmann, den Vorsitzenden der SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf und in Neukölln, mehrere Anträge zu diesem Thema initiierte.
Im Mai 2024 auf ihrem Landesparteitag beschloss die Berliner SPD einen davon, um eben jene Ungleichbehandlung zu beenden. Darin heißt es: „Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats, der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags auf, sich dafür einzusetzen, dass der Elternnachzug für Deutsche mit ausländischen Eltern sowie für bereits in Deutschland lebende Arbeitnehmende analog zur erfolgten Öffnung bei neu einreisenden ausländischen Fachkräften im Paragraf 36 Absatz 3 Aufenthaltsgesetzes erleichtert wird.“
Der Antrag wurde an den Berliner Senat und die Berliner Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion überwiesen. Wie es mit dem Thema auch in Hinblick auf mögliche Koalitionsverhandlungen für eine neue Bundesregierung weitergeht, wird sich wohl in den kommenden Wochen zeigen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo