Andrea Nahles: So kann Deutschland den Fachkräftemangel bekämpfen
In Köln trotzt die Chefin der Bundesagentur für Arbeit dem Regen und bietet gleich mehrere Lösungsvorschläge an, um mehr Fachkräfte zu gewinnen.
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Andrea Nahles (SPD), Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, war zu Gast beim Sommergespräch der SPD Köln.
Die gute Nachricht vorweg: „Der Fachkräftemangel ist etwas, das wir bewältigen können. Es ist nur wie immer Arbeit notwendig, um es hinzukriegen.“ Das sagte Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, am Dienstagabend beim politischen Sommergespräch der Kölner SPD. Es stand unter dem Titel „Arbeitsmarkt für Fachkräfte – Entwicklungen, Chancen und Strategien" in Köln und im Rheinischen Revier, mit dem Zusatz: „Qualifizierung, Zuwanderung, Familienfreundlichkeit“.
„Ich halte mich heute mal richtig ans Thema. Es ist nämlich ein gutes Thema“, lobte Nahles denn auch und erklärte den rund hundert Zuhörer*innen trotz gewittrigem Wetter in eineinhalb Stunden, wie der Fachkräftemangel in der Domstadt und Umgebung, aber auch bundesweit gelingen kann.
Mehr Fachkräfte durch Zuwanderung
In ganz Deutschland konnten 2023 nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft 570.000 Stellen nicht besetzt werden. Nahles berichtete von einer „seltsamen Zweiteilung“ des deutschen Arbeitsmarktes. Zwar gebe es einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit, gleichzeitig aber auch Höchstzahlen an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Geschichte der Bundesrepublik. „Dieses Plus wird ausschließlich durch Menschen ohne deutschen Pass befeuert“, sagte die frühere SPD-Vorsitzende.
Allerdings habe es in den vergangenen Jahren kein geordnetes Einwanderungsverfahren gegeben. Zwar sei durch das von der Ampel-Regierung eingeführte Fachkräfte-Einwanderungsgesetz vieles verbessert worden, für viele Menschen gleiche der Weg, um Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu bekommen, immer noch einem Hindernisparcours. „Das ist eine Katastrophe und für die Leute echt demotivierend. Da müssen wir uns bessere Strategien überlegen“, sagte Nahles. Positiv hob sie hervor: „Wir haben bei den Ukrainern aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und machen es jetzt mit Blick auf den Arbeitsmarkt besser.“
Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit wehrte sich auch gegen Kritik, die Integration der Ukrainer*innen in den Arbeitsmarkt gelinge in den Niederlanden oder in Dänemark besser als hierzulande. „Bei uns dauert es länger, aber wir sind nachhaltiger“, sagte sie dazu. Mittelfristig läge Deutschland vor den Niederlanden und Dänemark.
Vollzeitarbeit für Frauen attraktiver machen
Kritisch merkte Nahles an, dass zwar 86 Prozent der Männer aus Syrien, die 2015/16 nach Deutschland kamen, arbeiteten, jedoch nur 29 Prozent der Frauen, was auch kulturelle Gründe habe. „Was uns damals an Integration nicht gelungen ist, sehen wir heute auf dem Arbeitsmarkt“, sagte sie. Grundsätzlich sprach sie von einer Bringschuld gegenüber Frauen mit Migrationsgeschichte.
Doch auch generell gelte es, mehr Frauen in Vollzeitarbeit zu bringen. „Ich finde es ja cool, dass die Bundesregierung mit Lohngruppe V zumindest ein Kernproblem angepackt hat“, lobte sie. Perspektivisch gehöre jedoch auch das Ehegattensplitting abgeschafft, um Vollzeitarbeit für Frauen attraktiver zu machen.
Qualifizierung und Weiterbeschäftigung
Nahles sprach in ihrem Vortrag von einem „Qualifizierungs-Gap“ in Deutschland. Demnach entscheide das Qualifizierungsniveau maßgeblich darüber, inwieweit Menschen, die arbeitslos werden, unmittelbar einen neuen Job finden können. Entscheidend sei deswegen, dass Unternehmen kommunizieren, wenn sie Entlassungen planen, damit die entsprechenden Fachkräfte unmittelbar weitervermittelt werden können. Nahles nannte das Prinzip „Drehscheibe“. Sie lobte: „Das ist der neue Spirit!“ In einem Fall habe das jedoch nicht funktioniert: „Wenn wir nur über die Medien erfahren, welche Filialen Herr Benko zu schließen plant, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als eine Transfergesellschaft zu gründen", sagte sie. Die Insolvenz des österreichischen Investors René Benko hatte zuletzt die Schließung von Kaufhäusern der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof zur Folge.
Andrea
Nahles
KI küsst Demografie.
Künstliche Intelligenz und Automatisierung
Künstliche Intelligenz habe einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt, referierte Nahles – für sich genommen keine neue Erkenntnis. Doch die Chefin der Bundesagentur zog daraus interessante Schlüsse. „Es gibt genau zwei Länder weltweit, die in die Hände klatschen sollten: Japan und Deutschland“, sagte sie. Deutschland und Japan stehen bei alternder Gesellschaft mit geringer Geburtenrate vor ähnlichen demograpfischen Herausforderungen, bei denen Künstliche Intelligenz nützlich sein könne. „KI küsst Demografie", sagte Nahles. Automatisierungsprozesse seien keine Schreckensnachricht, sondern „Teil der Lösung, die wir brauchen“.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo