Nach der Parlamentswahl: Was jetzt im Kosovo auf dem Spiel steht
Bei der Parlamentswahl im Kosovo ist die sozialdemokratische Regierungspartei LVV von Albin Kurti mit knapp 41 Prozent erneut stärkste Kraft geworden. Die Regierungsbildung dürfte aber schwierig werden. Dem Land stehen unruhige Zeiten bevor, auch wegen Donald Trump.
IMAGO / Metodi Popow
Albin Kurti, Premierminister von Kosovo, hat mit seiner Partei die Parlamentswahlen als stärkste Kraft gewonnen.
Vor vier Jahren war das Ergebnis mehr als deutlich. Bei der Parlamentswahl 2021 erhielt die sozialdemokratische Lëvizja Vetëvendosje! (LVV - „Bewegung Selbstbestimmung!“) von Ministerpräsident Albin Kurti mehr als 50 Prozent der Stimmen. Dieses Jahr hat Kurti weit weniger Zustimmung der Bevölkerung bekommen. Mit 41,2 Prozent der Stimmen geht er dennoch als Sieger aus der Parlamentswahl hervor.
In diesem Jahr stand die Wahlkampagne von Kurti und der LVV unter dem Motto „Cep-me-Cep“ (etwa: „in jeder Ecke“) – ein Ausdruck des Ziels, die staatliche Souveränität auf alle Gemeinden und Volksgruppen ausweiten zu wollen. Nicht die Verbesserung des Lebensalltags der Kosovar*innen und des Rechtsstaats stand im Fokus, sondern die Person Albin Kurti als Beschützer der kosovarischen Staatlichkeit.
Umgang mit Serbien war wahlentscheidend
Der Ministerpräsident hat durchaus Erfolge vorzuweisen. Auf der Erfolgsseite der Kurti-Regierung stehen die Erhöhung des Mindestlohns, neue soziale Unterstützungsmaßnahmen und Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption, nicht zuletzt im Norden des Landes. Im Gesundheitssektor wurde ein Rechtsrahmen geschaffen, dessen Umsetzung allerdings noch aussteht: Kosovo hat weiterhin keine gesetzliche Krankenversicherung. Von den meisten Reformvorhaben, zum Beispiel bei Justiz und Medien, hat sich die LVV im Laufe der letzten vier Jahre jedoch weitgehend abgewendet, weil Kurtis klare Haltung in den Fragen des „Kosovo-Serbiens-Dialogs“ mehr Zustimmung garantiert.
Zum Hintergrund: Dabei handelt es sich um von der EU Gespräche zwischen Kosovo und seinem Nachbarland Serbien, das Kosovo nicht anerkennt und weiterhin als serbische Provinz betrachtet. Ziel dieses „Dialogs“ ist seit 2011 die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern, die beide perspektivisch der EU beitreten möchten. Wegen der Spannungen zwischen ihnen wurden die Gespräche aber immer wieder unterbrochen.
Brüssel übt Druck auf Kurti aus
Kosovo war ehemals eine Teilregion Serbiens, proklamierte jedoch 2008 seine Unabhängigkeit. Heute wird das Land von 115 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen als unabhängige Repubik anerkannt. Serbien gehört nicht dazu. Die Rolle der EU wird aber im Kosovo – zurecht – sehr kritisch gesehen: Brüssel übt massiven Druck auf den immerhin demokratisch gewählten Albin Kurti aus, nicht aber auf den serbischen Autokraten Vučić. Für den Norden des Kosovo hat Kurti serbische Parallelstrukturen (unter anderem serbischer Denar als Parallelwährung zum Euro, serbische Banken oder Postfilialen) aufgelöst, um Korruption, Schmuggel und die Unterhöhlung der gesamtstaatlichen Autorität zu beenden. Auch dafür wird er von der EU, die Ähnliches in den eigenen Ländern niemals akzeptieren würde, stark kritisiert.
Kurtis Auftreten wird in der EU als unnachgiebig empfunden, war aber sowohl parteipolitisch als auch rechtstaatlich motiviert – und ist der Unglaubwürdigkeit seines Gegenübers, Serbiens Ministerpräsident Vučić, geschuldet. Aber auch die Rolle der EU als unparteiische Konfliktlöserin schwindet. Dennoch hat sich die Lage im Norden in sicherheitspolitischer und rechtsstaatlicher Hinsicht verbessert. Hier liegt der Grund für den erneuten Wahlsieg.
Demokratisches Signal für notwendige Veränderungen
Die Kritik der Oppositionsparteien richtete sich im Wahlkampf primär auf die Person Kurti und nicht auf die Reformbilanz der Regierung. Stattdessen warfen sie dem Ministerpräsidenten vor, Kosovo von der internationalen Gemeinschaft entfremdet zu haben. Auch der von US-Präsident Donald Trump erneut eingesetzte Sonderbeauftragte für den Balkan, Richard Grenell, der 2020 den Sturz der ersten Kurti-Regierung orchestriert hatte, attackierte Kurti in der Woche vor der Wahl politisch und persönlich auf das Schärfste. Offenbar hat das Kurti aber nicht wie gewünscht geschwächt.
Zugleich kann dieses Wahlergebnis aber auch als Signal verstanden werden, alle anderen drängenden Probleme im Kosovo nicht länger im politischen Windschatten des Kosovo-Serbien-Themas zu verstecken. Der Wahlerfolg mit schwindender Unterstützung wäre also ein demokratisches Signal für notwendige Veränderungen.
Die Bildung einer neuen Regierung wird nach dem unversöhnlich geführten Wahlkampf nicht einfach werden. Auch Albin Kurti, ein eher feinsinniger Taktierer, ist im Wahlkampf ungewohnt aggressiv, laut und nationalpopulistisch aufgetreten. Für die LVV sollte es jetzt darum gehen, ihr sozialdemokratisches Potenzial wieder abzurufen. Dazu gehört, die innenpolitische Konsolidierung so in Angriff zu nehmen, dass alle Bevölkerungsteile politisch, ökonomisch und sozial voll integriert werden. Dies ist nicht zuletzt im Interesse auch der kosovarisch-serbischen Gemeinschaft, um deren Belange sich bislang weder Prishtina noch Belgrad ernsthaft gekümmert haben. Sie sind Spielball und Verhandlungsmasse, nicht gleichberechtigte Staatsbürger*innen mit legitimen und gleichen Interessen in sozialer, ökonomischer und rechtsstaatlicher Hinsicht.
Die EU ist jetzt gefragt
Auch aus internationaler Perspektive besteht Handlungsbedarf. Für die neue Regierung könnten durch die Trump-Administration sehr schwere Jahre bevorstehen. Wenn der „Dialog“ mit Serbien zu einer Priorität der USA werden sollte, wird die neue kosovarische Regierung enormem Druck aus Washington ausgesetzt sein: mit Blick auf den auch von der EU geforderten Verband für mehrheitlich kosovo-serbisch bewohnte Gemeinden oder gar, wie in Trumps erster Präsidentschaft, mit Blick auf einen Landtausch von Regionen, in denen verschiedene Volksgruppen leben. Berichten zufolge strebte Grenell damals einen Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien an. Kritiker*innen fürchteten mit einem derartigen Gebietstausch neue gewaltsame Konflikte.
Um den möglichen desaströsen Einfluss der Trump-Regierung in Grenzen zu halten, wäre es jetzt umso wichtiger, dass die EU eine konstruktivere Transformationsrolle spielt als in den letzten Jahren. Wer Stabilität und den Weg zu voller Rechtsstaatlichkeit fördern will, sollte die Unterstützung der kosovarischen Demokratie nicht länger durch den Einigungszwang mit dem Nachbarland Serbien unterminieren, dessen autokratische Regierung den Kosovo kompromisslos beseitigen will.
Beide Seiten müssen jetzt liefern: die nächste kosovarische Regierung, die im Inneren ernsthafte Reformen in Angriff nehmen muss – und die EU, die Kosovos Regierung an den richtigen Stellen fordern und an den falschen Stellen nicht länger unter Druck setzen sollte. Die fragile, selbst von Teilen der EU noch immer infrage gestellte Staatlichkeit des Kosovo ist nach wie vor das größte Hindernis für die Weiterentwicklung des Landes hin zu einer wirklichen EU-Perspektive.
ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Nordmazedonien und Kosovo