Erstwähler*innen mit Anfang 30: SPD-Mitglieder vor Premiere
Dorieta Gjura ist seit 2012 Mitglied der SPD. In den vergangenen Jahren war sie an Infoständen, bei Großveranstaltungen, zu Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen aktiv. Sie hat für Frans Timmermans 2019 bei der Europawahl um Stimmen geworben. Nur eines durfte sie bislang nicht: selbst wählen. „Ich habe den Menschen versucht, mit meinem Unglück Mut zu machen und oft zu ihnen gesagt: Sei meine Stimme“, erzählt die 29-Jährige im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Nach neun Jahren Parteimitgliedschaft endlich wählen
Sie stammt gebürtig aus Albanien, zum Studium zog sie nach Berlin, wo sie über ihr Studium in Politik- und Verwaltungswissenschaften den Weg zur SPD fand. „Ich habe mich mit der Partei beschäftigt und sehr schnell gemerkt, dass sie die beste Politik für Frauen, Ausländerinnen und ärmere Menschen macht“, erzählt Gjura. Seit zwei Jahren ist sie deutsche Staatsbürgerin und darf am 26. September nun endlich das erste Mal wählen. Sogar dreifach, da in Berlin an diesem Tag neben dem Bundestag auch das Abgeordnetenhaus und die kommunalen Parlamente neu bestimmt werden. „Als ich damals meine Staatsbürgerurkunde bekommen habe, war mein erster Gedanke: Jetzt darf ich wählen“, sagt Gjura.
Für sie ist es der letzte Schritt, um endgültig in Deutschland anzukommen. „Ich konnte mich integrieren, aber nicht zu 100 Prozent.“ Im Wahlkampf erlebt sie nun häufiger interessante Begegnungen mit jugendlichen Erstwähler*innen. „Wir stehen vor den gleichen Herausforderungen“, sagt Gjura, wobei sie ihre Entscheidung schon längst getroffen hat, welcher Partei sie am 26. September ihre Stimme geben wird. Und eines steht auch fest: Gjura will keine Briefwahl beantragen, sondern vor Ort ihr Kreuz machen: „Ich freue mich, endlich mal in diese Wahlkabine zu gehen.“
Bei der ersten Wahl selbst Kandidat
Möglicherweise trifft sie an diesem Tag im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auch Timur Sarić. Auch für ihn ist es die erste Bundestagswahl. Der 32-Jährige lebt seit 1992 in Berlin. Infolge des Bosnienkrieges kam er damals aus Sarajevo nach Deutschland. „Ich bin seit dem dritten Lebensjahr in dieser Stadt, aber durfte bislang nicht partizipieren. Das Wahlrecht ist für mich eine ganz wichtige Integrationsvoraussetzung und der entscheidende Schritt, um anzukommen“, sagt er. Auch er wurde vor zwei Jahren eingebürgert.
Sarić ist seit 2017 in der SPD aktiv. Sein Wahlrecht nutzt er am 26. September nicht nur aktiv in der Wahlkabine, sondern auch passiv. Der Jurist will sich in Charlottenburg-Wilmersdorf künftig gerne kommunalpolitisch engagieren und kandidiert auf der Liste der Sozialdemokrat*innen für die dortige Bezirksverordnetenversammlung.
Saad: „Ein wichtiges Puzzleteil für die Freiheit“
Für Tarek Saad steht der Wahlkampf in eigener Sache erst im kommenden Jahr bevor. Dann tritt der gebürtige Syrer im Wahlkreis Segeberg-Ost bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein als SPD-Kandidat an. Doch schon in vier Wochen kann der im September 2020 eingebürgerte Student zum ersten Mal wählen gehen: „Es ist ein wichtiges Puzzleteil für die Freiheit, für das ich echt lange gekämpft habe“, sagt Saad, der seit diesem Jahr auch dem Landesvorstand der SPD in Schleswig-Holstein angehört.
Im Wahlkampf begleitet er den SPD-Direktkandidaten Bengt Berg, der laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstitutes INSA gute Chancen besitzt, seinen Wahlkreis zu gewinnen. Saad sagt: „Hoffentlich gibt es einen Wechsel bei der Bundesregierung. Wir mobilisieren alles dafür. Die Gesellschaft hat Bock auf Veränderung.“
Zeit für den Wechsel
In Syrien habe er einmal wählen dürfen, aber das sei keine wirkliche Wahl gewesen, berichtet er. Umso mehr freut er sich nun, diesen demokratischen Prozess aktiv zu begleiten: „Die Bundestagswahl in diesem Jahr wird so spannend wie noch nie. Es ist ein großes Glück, 2021 miterleben zu dürfen.“ 32 Tage sind es noch bis zum 26. September. Saad kann es kaum erwarten: „Ich will am liebsten sofort zum Wahllokal gehen. Schon 2017 habe ich für eine SPD-geführte Regierung gekämpft, aber damals durfte ich noch nicht wählen.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo