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Maja Wallstein: Warum die Abgeordnete 600 Kilometer durch die Lausitz läuft

Maja Wallstein vertritt den Wahlkreis Cottbus – Spree-Neiße im Bundestag. Im Sommer läuft sie mit einem Bollerwagen von Dorf zu Dorf, in diesem Jahr bereits zum vierten Mal. Für die SPD-Abgeordnete ist das Teil einer gelebten Demokratie.

von Kai Doering · 23. Juli 2024
Knapp 600 Kilometer rund um Cottbus: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein ist auf „Zuhör-Tour“ in ihrem Wahlkreis.

Knapp 600 Kilometer rund um Cottbus: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein ist auf „Zuhör-Tour“ in ihrem Wahlkreis.

Maja Wallstein hat schon Menschen weinen sehen. Das passiere öfter, wenn es um deren Erlebnis im Zweiten Weltkrieg gehe, erzählt die Bundestagsabgeordnete auf dem Weg zwischen Preilack und Tauer. Die beiden Dörfer liegen etwa 20 Kilometer entfernt von Cottbus und mitten im Landkreis Spree-Neiße. Beide bilden zusammen den Wahlkreis Cottbus – Spree-Neiße von Maja Wallstein. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde sie hier direkt gewählt, mit zwei Prozentpunkten Vorsprung auf den Kandidaten der AfD.

„Meinungsdiktatur“ und Heizungsgesetz

Im Wahlkampf ist Wallstein mit einem roten Bollerwagen von Dorf zu Dorf gezogen, um für sich und ihre Positionen zu werben. Das lief so gut, dass sie es nach der Wahl beibehalten hat. Jedes Jahr im Sommer ist die 38-Jährige mehrere Wochen auf „ZuhörTour“. An diesem Montagvormittag steht sie am Ortseingang von Tauer, einem Dorf mit knapp 700 Einwohner*innen, dessen Häuser sich mehrere Kilometer an der Landesstraße 50 entlangziehen. Die Straßenschilder tragen hier zwei Namen, einmal auf deutsch, einmal auf sorbisch. Unter „Lausitzer Straße“ steht hier in weißer Schrift auf blauem Grund „Łužyska droga“. Vor einem gelben Haus will ein Mann gerade den Rasen mähen, als ihn Maja Wallstein anspricht.

Die Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein im Gespräch mit einer Bürgerin in ihrem Wahlkreis

„Ich bin Ihre Bundestagsabgeordnete und wollte mich mal vorstellen. Und das ist für die gute Laune“, sagt sie zur Begrüßung und reicht einen Flyer über den Gartenzaun, an den eine kleine Tüte Gummibärchen getackert ist. Der Mann guckt skeptisch, dann kommt seine Frau dazu. „Die SPD ist 200 Jahre alt und eine stolze Partei, aber sie lässt sich am Nasenring durch die Arena ziehen“, schimpft der Mann. Seit der Corona-Pandemie gebe es in Deutschland eine „Meinungsdiktatur“ und dass die Regierung ihnen jetzt auch noch vorschreiben wolle, wie sie zu heizen hätten, sei das Allerletzte, sagt er mit Blick auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesregierung. „Da bringen auch Gummibärchen nichts“, ergänzt die Frau.

„Ich brauche Leute, die mein Korrektiv sind.“

Maja Wallstein hört geduldig zu und macht sich Notizen in einem kleinen Buch, während die Sonne erbarmungslos vom Himmel brennt. Das Thermometer ist bereits auf 30 Grad gestiegen. „Es tut mir leid, was Sie fühlen“, sagt die Abgeordnete schließlich, stellt aber gleichzeitig auch ein paar Dinge richtig, etwa die Behauptung, die alte Gasheizung des Paares müsse „über Nacht“ ausgetauscht werden. Am Ende lädt Wallstein die beiden zu einem Besuch im Bundestag nach Berlin ein. Sie wollen darüber nachdenken. „Ich lasse mich aber nicht einlullen“, sagt die Frau zum Abschied. „Das will ich auch nicht“, erwidert Maja Wallstein. „Ich brauche aber Leute, die mein Korrektiv sind.“

Wo sie niemanden antrifft, hinterlässt Wallstein einen Flyer im Briefkasten.

Ein Korrektiv der anderen Art hat Wallstein eine halbe Stunde zuvor in Preilack erlebt. Auch hier hatte sie über den Gartenzaun einen Mann angesprochen, einen Jäger wie sich schnell herausstellte. Im Gespräch über Schonzeiten, die Jagd von Füchsen und den Schutz junger Bäume lud der Mann die Bundestagsabgeordnete ein, ihn mal zur Jagd zu begleiten, „aber nicht vor der zweiten Augusthälfte“. Begeistert willigte Wallstein ein – und das, obwohl sie seit Jahren Vegetarierin ist. „Solche Begegnungen helfen mir, die eigene Blase zu verlassen“, sagt Wallstein auf dem Weg aus dem Ort.

„Mit mir redet ja sonst keiner.“

Die Berliner Blase verlassen und mitbekommen, was die Menschen in ihrem Wahlkreis bewegt, das ist das Ziel von Maja Wallsteins Tour. Ihr Versprechen: Ich besuche jedes Jahr jeden Ort im Wahlkreis. Wieviele Dörfer das genau sind, kann die Abgeordnete gar nicht sagen. Am Ende wird sie aber knapp 600 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben. Im roten Bollerwagen zieht sie nicht nur Informationsmaterial über ihre politische Arbeit hinter sich her, sondern auch Kugelschreiber, Flaschenöffner, Umschläge mit Radieschen-Samen, Sonnenbrillen und für Kinder Buntstifte und Malbücher. Ab und an kommt auch eine Polaroid-Kamera zum Einsatz. Wie bei einem Mann im gestreiften T-Shirt am Ortsausgang von Tauer.

Er sitzt im Schatten vor seinem Haus als Maja Wallstein mit ihrem Bollerwagen vorbeiläuft. „Darf ich kurz zu Ihnen kommen?“, ruft sie ihm von der Straße aus zu. Als sie bei ihm im Schatten steht, dauert es nicht lange, bis er ihr sein Herz ausschüttet. Er erzählt über den Erbschaftsstreit mit seinem Bruder, dann machen die beiden zusammen ein Foto mit der Sofortbild-Kamera. Maja Wallstein schreibt eine kurze Widmung darunter und überreicht es dem Mann zum Abschied. Als sie schon wieder mit ihrem Bollerwagen auf der Straße weitergezogen ist, nähert sich von hinten ein Auto. Der Mann im gestreiften T-Shirt hält neben ihr an, kurbelt die Scheibe runter und wedelt mit dem Foto. „Es war so schön, dass Sie mich besucht haben. Mit mir redet ja sonst keiner“, sagt er sichtlich gerührt.

Ein Dienst an der Demokratie

Auf dem Weg nach Drewitz kommt Maja Wallstein an einer Stelle vorbei, die sie schon von ihren vorherigen Touren kennt. „Beim ersten Mal waren hier noch jede Menge Schlaglöcher“, sagt sie. Inzwischen ist die Fahrbahn glatt. „Es ist schön, bei der Tour zu sehen, wie sich die Dinge zum Guten verändern“, sagt die Abgeordnete. „Am großen Rad der Weltgeschichte kann ich zwar nicht drehen, aber was vor Ort passiert, kann ich mit beeinflussen.“ Maja Wallstein versteht ihre „ZuhörTour“ auch als einen Dienst an der Demokratie.

Auf ihrem Weg mit dem Bollerwagen hinterlässt Maja Wallstein Grüße.

 

Als sie das 400-Einwohner*innen-Dorf Drewitz erreicht, steht die Sonne schon etwas tiefer, aber es ist immer noch sehr heiß. Im Hof ihres Hauses sitzt eine ältere Frau im Schatten, neben ihr steht ein Elektrofahrrad. „Ich treffe mich gleich mit ein paar Freundinnen für eine kleine Tour“, entschuldigt sie sich dafür, dass sie Maja Wallstein nicht auf einen Kaffee einlädt. „Aber möchten Sie vielleicht ein Eis?“ Schnell hat sie vier Eis am Stiel für Wallstein und ihre Begleiter aus dem Haus geholt. „Diese Abkühlung kommt genau richtig“, freut sich die Abgeordnete.

Während sie beginnt, ihr Eis zu essen, kommen die beiden ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass die Frau schon 83 Jahre alt ist. Fast ihr ganzes Leben hat sie in Drewitz verbracht. „Ich bin zufrieden“, sagt sie. Über Maja Wallsteins Einladung nach Berlin freut sie sich zwar. „Aber ich weiß nicht, ob das etwas für mich ist.“ Dann muss sie aber los, ihre Freundinnen warten für die Fahrradtour. Und auch Maja Wallstein muss weiter. Auf dem Bürgersteig zieht sie ihren roten Bollerwagen Richtung Ortsausgang. Dort wird sie bereits von einer Mitarbeiterin im Auto erwartet. Gemeinsam verstauen sie die übrig gebliebenen Materialien im Kofferraum und klappen den Bollerwagen zusammen. Am nächsten Tag geht es in einem anderen Ort im Wahlkreis weiter.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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