Bundestag: Warum Kanzler Scholz die doppelte Vertrauensfrage stellt
Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Bundestag die Vertrauensfrage verloren und damit den Weg für die am 23. Februar geplanten Neuwahl freigemacht. Warum dann eine weitere Vertrauensfrage ansteht, skizzierte er in seiner Rede vor den Abgeordneten.
Juliane Sonntag/photothek.de
Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Montag im Parlament die Vertrauensfrage gestellt.
Zum sechsten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Bundeskanzler im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt, zum vierten Mal hat er sie verloren. Nur 207 Parlamentarier*innen sprachen Olaf Scholz am Montag in namentlicher Abstimmung das Vertrauen aus, 394 stimmten gegen ihn bei 116 Enthaltungen. Es war das erwartet deutliche Ergebnis und zugleich nur die erste von zwei Vertrauensfragen. Die zweite wird aus Sicht des Kanzlers bei der Bundestagswahl am 23. Februar entschieden. Ausgang bislang offen.
Scholz fordert mehr Investitionen
„Die Bundestagswahl vorzuziehen, ist auch mein Ziel. Die Vertrauensfrage richte ich daher heute an die Wählerinnen und Wähler. Sie lautet: Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren? Haben wir Vertrauen in uns und unser Land?“, sagte Scholz zu Beginn seiner Rede, mit der er begründete, warum er die Vertrauensfrage an diesem Tag im Parlament stelle. Denn diese von ihm skizzierte Entscheidung sei so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden müsse, also den Wähler*innen.
Der Kanzler skizzierte in den folgenden 25 Minuten die wirtschafts-, sicherheits- und außenpolitischen Herausforderungen, vor denen Deutschland stehe. „Ja, es ist höchste Zeit, kraftvoll und entschlossen in Deutschland zu investieren, das ist in den letzten Jahrzehnten zu kurz gekommen“, machte er deutlich. Es sei notwendig, mit Versäumnissen im Bereich der Infrastruktur aufzuräumen. Das sehe er als Aufgabe seiner Generation, sagte Scholz. „Wenn es ein Land gibt, das es sich leisten kann, in die Zukunft zu investieren, dann sind wir das. Wir müssen den Hebel umlegen, und zwar jetzt“, forderte er.
Stabile Rente und höherer Mindestlohn
Zugleich betonte er, welche Themen er in den Mittelpunkt des kommenden Bundestagswahlkampfes stellen will: ein stabiles Rentenniveau von 48 Prozent, die Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro, wovon sieben Millionen Menschen in Deutschland profitieren könnten, und auch die Senkung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7 auf 5 Prozent. „Ja, das ist ein Brot- und Butter-Thema im wahrsten Sinne des Wortes. Deswegen kämpfe ich für diejenigen, die mit 10 oder 20 Euro genau rechnen müssen“, machte der Sozialdemokrat klar.
Olaf
Scholz
Schlechtreden, meckern oder aufgeben hat noch nie etwas besser gemacht. In Deutschland brauchen wir nicht mehr Missmut und Verzagtheit, sondern mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten.
Scholz appellierte an die Abgeordneten: „Lassen Sie uns die Errungenschaften bewahren, die Deutschland stark und wohlhabend gemacht haben! Haben Sie Vertrauen in unser Land! Schlechtreden, meckern oder aufgeben hat noch nie etwas besser gemacht. In Deutschland brauchen wir nicht mehr Missmut und Verzagtheit, sondern mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten, mehr Vertrauen auch in unsere Demokratie.“
Scholz wirbt um Vertrauen
Danach wandte er sich gegen Ende seiner Rede direkt an die Bürger*innen: „In unserem Land steckt so viel Gutes. Wir sind ein Land, das jeden Tag anpackt. Ein Land, das Zusammenhalt über Spaltung stellt. Ein Land, das seine besten Tage nicht hinter sich, sondern vor sich hat. Für unser Land, für Deutschland, werde ich jeden Tag weiter alles geben. Dafür bitte ich Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, um Ihr Vertrauen.“
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der wenig später in der Debatte sprach, scheint klar, dass Scholz dieses Vertrauen verdient: „Der Bundeskanzler hat unser Land trotz der innen- und außenpolitischen Turbulenzen gut durch die Krisen geführt. Wir werben und wir arbeiten dafür, dass das so bleibt. Integrität und Konzentration, das ist der Markenkern von Olaf Scholz.“ Unklarheit und die schnelle Meinung könne er anderen überlassen, sagte Mützenich und meinte damit Friedrich Merz und dessen schnelle Meinungswechsel.
Rolf
Mützenich
Bei mir im Wahlkreis, in Köln-Chorweiler, wissen die Menschen nicht mal, wo sie Froschschenkel kaufen können, aber sie wissen, wo es die Butter gibt und sie wären froh, wenn sie ein paar Cent günstiger ist.
Merz hatte während der Debatte versucht, Scholz‘ Vorschlag nach einer Senkung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes, mit dem Argument ins Lächerliche zu ziehen, dass dadurch auch Froschschenkel, Wachteleier und Kaviar günstiger würden. Dem entgegnete Mützenich: „Bei mir im Wahlkreis, in Köln-Chorweiler, wissen die Menschen nicht mal, wo sie Froschschenkel kaufen können, aber sie wissen, wo es die Butter gibt und sie wären froh, wenn sie ein paar Cent günstiger ist. Das ist der Unterschied zu Ihnen.“
Zugleich nutzte der SPD-Fraktionsvorsitzende die Debatte zur Abrechnung mit dem bisherigen Koalitionspartner FDP. Schwer erarbeitetes Vertrauen sei im Handstreich zerstört worden. Das sogenannte D-Day-Papier der Liberalen bezeichnete Mützenich als Tiefpunkt deutscher Innenpolitik. „Sich aus einer Regierung herauszustehlen, ist das das eine, aber die Befreiung vom deutschen Faschismus damit in Verbindung zu bringen, schämen Sie sich eigentlich nicht dafür, Herr Kollege Lindner?“ Dem FDP-Vorsitzenden fehle die sittliche Reife, um das Land anständig zu regieren. „Das ist die bittere Wahrheit. Andere sollten sich das gut merken“, sagte Mützenich.
Rehlinger appelliert an Union
Auch die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger bemerkte in ihrer Rede im Bundestag, die Entscheidung des Bundeskanzlers, Lindner als Bundesfinanzminister zu entlassen, sei richtig gewesen und verdiene Respekt. „Die Bürgerinnen und Bürger können jetzt entscheiden, in welche Richtung es künftig in unserem Land gehen soll“, sagte sie. Zugleich appellierte sie an die CDU/CSU, gemeinsam noch vor der Bundestagswahl schnelle Beschlüsse zur Zukunft der Industrie in Deutschland zu fassen. „Es gibt keinen Grund, das jetzt nicht zu tun, wenn es dafür eine Einigkeit gibt“, sagte Rehlinger.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo