Zukunft von VW: „Auch der Vorstand muss einen Beitrag leisten“
Im Tarifkonflikt bei Volkswagen stehen die Zeichen auf Eskalation. Im Interview spricht Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) über seine Erwartungen an das Management und Wege zur Sicherung der Autoindustrie in Deutschland.
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Die Wut unter den VW-Beschäftigten wächst: Am Stammsitz in Wolfsburg und an anderen Standorten gab es jetzt erste Warnstreiks.
Der Tarifstreit bei Volkswagen spitzt sich zu, es hat erste Warnstreiks gegeben. Der Betriebsrat hat eine Nullrunde bei den Gehältern für zwei Jahre vorgeschlagen, um Jobs zu sichern. Der Vorstand ist darauf nicht eingegangen. Welche Zugeständnisse erwarten Sie von der Arbeitgeberseite?
Eine Lösung kann nur gemeinsam entwickelt werden. Eigentlich hatte ich die klare Erwartung, dass der Vorstand mit einem eigenen Vorschlag den Anfang macht und dass darin Standortschließungen ausgeschlossen werden. Das ist nicht geschehen, im Gegenteil. Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass der Vorstand das konstruktive Angebot des Betriebsrates ernsthaft prüft und eine echte Diskussion beginnt. Der Vorstand hat wenig dafür getan, den Eindruck zu vermitteln, dass er dazu bereit sei.
Der erste Schritt müsste eine Verständigung auf die grundlegenden Punkte sein, die die Arbeitnehmerseite vorgeschlagen hat. Etwas vorzuschlagen, was von den Forderungen der Arbeitnehmerseite komplett entkoppelt ist, wird nicht funktionieren. In einem zweiten Schritt muss man prüfen, wie man das umsetzt.
Man muss eine Balance finden zwischen dem Beitrag, den die Mitarbeiter bereit sind zu leisten und auch realistisch leisten können, einer Strukturentscheidung, die der Vorstand erarbeiten muss, und einer Ergebnissituation, die eine Stabilität des Unternehmens am Markt sicherstellt.
Es gibt Forderungen, dass der Vorstand in naher Zukunft auf Boni verzichten und Aktionär*innen keine üppigen Dividenden erhalten sollen. Wäre das sinnvoll?
Auch der Vorstand muss einen Beitrag leisten, schon als Zeichen an die Beschäftigten. Bei den Dividenden rate ich zu Zurückhaltung. Ein Aussetzen der Ausschüttung könnte unkalkulierbare Folgen für den Aktienkurs und die Ratings haben. Das ist vielleicht nicht jedem bewusst. Vielleicht denken alle noch einmal darüber nach, ob wir so eine Diskussion wirklich führen wollen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat angekündigt, die Landesregierung werde um jeden Arbeitsplatz bei VW kämpfen. Was tun Sie, um diesen Kampf zu gewinnen?
Es geht darum, immer wieder deutlich zu machen, welchen Stellenwert die Standorte haben und gegenüber dem VW-Vorstand auch unsere Erwartung klar zu artikulieren: Wir müssen Werksschließungen vermeiden und jeder Arbeitsplatz ist wichtig. Scheindebatten darüber, ob das Elektroauto die Zukunft ist und Debatten zum Thema Technologieoffenheit als Alternative zur Elektromobilität brauchen wir nicht.
Verbrenner werden noch lange verkauft werden, sie können aktuell bis mindestens Ende 2034 auch neu zugelassen werden. Auf unseren Straßen werden Verbrenner also noch länger fahren. Ich bin mir aber mit wie fast alle in Branche sicher: Die Zukunft gehört der Elektromobilität!
Außerdem müssen tragfähige Rahmenbedingungen für den Markt geschaffen werden. Wir arbeiten hart daran, dass Strafzahlungen von deutschen Autofirmen wegen nicht erreichter Klimaziele im Jahr 2025 ausgesetzt werden. Nach derzeitigem Stand käme auf VW eine zusätzliche Belastung von einer Milliarde Euro zu.
Und außerdem?
Wir müssen an die Flottenemissionsziele ran. Statt einer massiven Klippe nach unten, wie sie 2025 anstünde, haben wir aus Niedersachsen ein Flat-Curve-Modell in die Diskussion eingebracht. Die grundsätzlichen Emissionsziele bleiben erhalten, wir machen den Weg dorthin aber für die europäischen Autobauer machbar. Das schaffen wir, indem wir die massiven Sprünge alle fünf Jahre zu realistischen jährlichen Stufen abflachen. Da haben wir mittlerweile gute Signale aus Brüssel, das sich hier etwas bewegt.
Wir brauchen jetzt Marktimpulse, damit sich die Leute für eine neue Mobilität entscheiden. Lasst uns da jetzt diskutieren, wie wir beispielsweise das für die E-Mobilität so wichtige Leasing für Geschäftskunden genauso wie für Privatleute noch attraktiver machen. Auf all diesen Ebenen sind wir intensiv unterwegs.
Neben Volkswagen steckt auch Ford in einer echten Krise. Werden wir in einigen Jahren noch die Autoindustrielandschaft haben, wie wir sie heute kennen?
Ja. Im Moment spielt sich allerdings etwas Grundlegendes ab: die Entwicklung hin zu einer anderen, neuen Mobilität. Und wir haben eine enorme Zurückhaltung auf dem Markt sowohl für Autos mit Verbrennungsmotoren als auch für Elektro-Modelle. Das ist kein Thema allein von Volkswagen, das ist auch kein rein deutsches Thema, das ist europaweit ein Riesenproblem.
Wir müssen jetzt die richtigen Schlüsse ziehen. So wie es die Sozialdemokratie in Regierungsverantwortung während der Finanzmarktkrise 2008/2009 getan hat. Damals gab es Impulse, die uns durch eine schwierige Zeit gebracht haben. Wir brauchen Anreize, damit konsumiert und produziert wird und die Wirtschaft wieder wächst. Mit einer neuen, aktiven Industriepolitik werden wir auch 2030 erfolgreich sein – dann mit einer ganz neuen Generation von guten Fahrzeugen für einen weltweiten Markt.
Bei der Volkswagen-Kernmarke VW wie auch bei Ford wird die Krise vor allem mit der Flaute auf dem E-Auto-Markt begründet. Was kann die Politik tun, um der Transformation der E-Mobilität mehr Schwung zu verleihen?
Es geht um ein Paket verschiedener Maßnahmen. Es fängt damit an, die besagte Technologiedebatte wieder zu versachlichen. Alles andere befeuert nur die Verunsicherung in unserer Gesellschaft und hilft den Falschen. Zudem brauchen wir eine funktionierende Infrastruktur, also vor allem mehr Ladestationen mit starker Leistung.
Wir müssen Energie- und Stromkosten so gestalten, dass Elektroautos attraktiver werden. Die Frage zwischen Benzin oder Ladestrom muss ganz klar zugunsten von Strom ausgehen, ohne dass man groß rechnen muss. Im Bundesrat setzt sich Niedersachsen deshalb dafür ein, die Energiekosten in der öffentlichen Ladeinfrastruktur deutlich zu senken.
China überschwemmt mit preisgünstigen Modellen den weltweiten E-Auto-Markt. Wie sollte Deutschland dieser Billigkonkurrenz begegnen?
Es ist eine Herausforderung, denn es gibt keinen fairen Wettbewerb. So sieht das auch die Europäische Kommission und setzt auf Zölle. Ob das der der richtige Weg ist, daran habe ich Zweifel. Es besteht die Gefahr von Gegenmaßnahmen, die neue Belastungen für unserer Hersteller und damit auch die Zulieferer bringen können. Wir sollten Wertschöpfung in Europa belohnen.
Man muss sich die Preise für E-Autos aus deutscher Produktion genau anschauen. Nehmen wir das Beispiel VW: Der Elektro-Golf, also der ID3.Pure, wird zum gleichen Preis angeboten wie das gleichwertige Verbrenner-Modell. Das ist noch nicht in den Köpfen angekommen, aber Benziner und E-Autos spielen da schon jetzt auf Augenhöhe.
Nur: Es kann sich nicht jeder einen Golf leisten. Deswegen sollte VW günstige E-Autos auch in den preiswerten Klassen anbieten. Wir brauchen elektrische Einstiegsmodelle ab 20.000 Euro.
Gemeinsam mit vier weiteren Wirtschaftsministern aus Bundesländern mit VW-Standorten haben Sie ein Positionspapier veröffentlicht. Darin werden Maßnahmen zur Sicherung der Fabriken aufgelistet. Worauf sollten sich Bund und Länder jetzt konzentrieren?
Wir brauchen Klarheit über die Zukunft der E-Mobilität. Momentan herrscht große Verunsicherung und viele halten sich beim Kauf zurück. Wir müssen das Thema Flottenemissionswerte in den Griff kriegen. Es braucht Marktimpulse. Die Transformation ist noch nicht abgeschlossen, beginnt teilweise erst. Im kommenden Jahr laufen die vom Bund geförderten regionalen Transformationsnetzwerke und andere Instrumente, die diesen Prozess begleiten, aus. Sie müssen dringend fortgesetzt werden.
Gerade jetzt, in der schwierigsten Phase der Transformation, brauchen wir auch einen sozialpartnerschaftlichen Ansatz. Der hat uns als Volkswirtschaft stark gemacht und mit ihm gehen wir in eine gute Zukunft. Die Transformationsagentur Niedersachen GmbH ist da ein gutes Beispiel für gelebte Sozialpartnerschaft.
Olaf Lies, niedersächsischer Wirtschaftsminister
Wir brauchen jetzt den Industriekanzler Scholz
Wie könnte ein politischer Gesamtentwurf aussehen, um Deutschlands Autoindustrie als Ganze zu retten?
Den gab es ja schon. Doch CDU und CSU stellen immer wieder das Erreichte infrage. Nehmen wir die Flottengrenzwerte für Neuwagen. Das ist ein wichtiges Instrument, um den Bau innovativer Fahrzeuge voranzutreiben. Auch für den Ausbau der Ladeinfrastruktur gab es deutliche Signale.
Wir müssen die zuletzt entstandene Unklarheit in Klarheit verwandeln. Damit aus der Konjunkturdelle kein Graben wird und damit die Produktionskapazitäten wieder hochgefahren werden, braucht es verschiedene Impulse. Mit einem neuen Anreizsystem müssen wir die Nachfrage für E-Autos ankurbeln. Wir müssen aber auch das Thema Flottenemissionen in den Griff bekommen. Das alles gehört zusammen und ist ein Gesamtkonzept.
Sie haben mehrfach die Verunsicherung angesprochen, die den Automarkt erfasst hat. Von welcher Seite geht diese ganz besonders aus?
Im Moment überwiegt auf zwei zentralen Gebieten der Zweifel. Viele Menschen fragen sich: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um ein Auto anzuschaffen? Und: Steht das Elektroauto überhaupt für die Mobilität der Zukunft? Zudem macht die Union mit aus der Luft gegriffenen Behauptungen Stimmung, Verbrennermotoren würden in Kürze verboten.
Die Sozialdemokratie hat das Ziel, eine klimaneutrale individuelle Mobilität nicht nur möglich, sondern auch für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar zu machen. Bleiben wir einseitig beim Verbrenner oder wecken wir mit den E-Fuels falsche, weil zu große Hoffnungen, wird Mobilität für viele bald unerschwinglich.
Wir haben in Kürze eine Bundestagswahl. Wie fällt die Bilanz der jetzigen Bundesregierung hinsichtlich der Maßnahmen in Sachen Autoindustrie aus? Welche Erwartungen haben Sie an die künftige Regierung?
Auf Betreiben der FDP ist die Förderung für den Kauf von E-Autos im Zuge der Haushaltskrise auf Eis gelegt worden. Was der Ampel am Anfang ihrer Regierungszeit gelungen ist, muss auch einer neuen Bundesregierung gelingen: Orientierung und Verlässlichkeit zu geben. Das ist die Leitlinie der Sozialdemokratie.
Und da setze ich auch voll auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hat das Thema Industrie, Wirtschaft und gute Arbeit in den letzten Wochen zu seinem Thema gemacht. Das ist Chefsache und das ist richtig so. Wir brauchen jetzt den Industriekanzler Scholz. Dass er das kann, hat er vielfach bewiesen, sei es bei der Rettung der Meyer Werft oder bei der Sicherung unserer Energieversorgung.