Geschichte

Diese vier Bundeskanzler stellten schon die Vertrauensfrage

An diesem Montag stimmt der Bundestag über die Vertrauensfrage von Olaf Scholz ab. Es ist bereits das sechste Mal, dass ein Bundeskanzler dieses Instrument nutzt. Einer griff sogar zweimal dazu.

von Kai Doering · 16. Dezember 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) ist der fünfte Bundeskanzler, der die Vertrauensfrage stellt. Vor ihm nutzten u.a. schon Willy Brandt und Helmut Schmidt das Instrument.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) ist der fünfte Bundeskanzler, der die Vertrauensfrage stellt. Vor ihm nutzten u.a. schon Willy Brandt und Helmut Schmidt das Instrument.

Willy Brandt war der Erste. Am 20. September 1972 brachte er als erster Bundeskanzler einen Antrag auf Vertrauensfrage in den Bundestag ein. Das Ziel war damals klar. „Dies ist der Weg, der mir zur Verfügung steht, um zu Neuwahlen zu kommen“, erklärte Brandt damals sein Vorgehen. Vorausgegangen waren quälende Monate der Unsicherheit. Wegen Differenzen über die Ostpolitik hatten mehrere SPD- und FDP-Abgeordnete ihre Fraktionen verlassen. Die sozialliberale Bundesregierung verfügte nur noch über 248 Mandate, ebenso viele wie die oppositionelle CDU/CSU.

Willy Brandts Kalkül geht auf

Nachdem er am 27. April ein konstruktives Misstrauensvotum der CDU/CSU überstanden hatte, entschied sich Brandt am 24. Juni 1972, klare politische Verhältnisse zu schaffen. Die Bürger*innen hätten „Anspruch darauf, dass auch weiterhin in der Gesetzgebung kein Stillstand eintritt“, sagte der Kanzler in einer Regierungserklärung. „Deshalb teile ich mit, dass wir Neuwahlen anstreben.“ Nicht nur der politische Gegner kritisierte Brandts Vorhaben, die Vertrauensfrage vorsätzlich zu verlieren, um die Neuwahl des Bundestags zu erreichen. Auch Verfassungsrechtler äußerten Bedenken.

Trotzdem machte der Bundestag am 20. September 1972 den Weg zur Neuwahl frei. 248 stimmten gegen Brandt, 233 für ihn. Bis auf Bundesarbeitsminister Walter Arendt (SPD) enthielten sich alle Kabinettsmitglieder der Stimme. Zwei Monate später, am 19. November 1972, fuhr die SPD mit 45,8 Prozent ihr bis heute bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein. Am 14. Dezember wurde Brandt im Bundestag zum zweiten Mal zum Bundeskanzler gewählt.

Schmidt erhält „Signal der Klarheit“

Auch die zweite Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik stellte ein sozialdemokratischer Kanzler. Vorausgegangen waren heftige Debatten über den Nato-Doppelbeschluss, mit dem mit Atomsprengköpfen bestückte Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden sollten. Auch Schmidts arbeitsmarktpolitisches Programm war in der Koalition zwischen SPD und FDP umstritten. Um sich seiner Mehrheit zu vergewissern, brachte der Kanzler am 3. Februar 1982 den Antrag ein, der Bundestag möge ihm das Vertrauen aussprechen.

Zur Abstimmung kam es am 5. Februar. Er wolle ein „Signal der Klarheit“ geben, begründete Schmidt seinen Schritt. Außerdem kündigte er eine „Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität“ an. Das wirkte. Mit 269 zu 226 Stimmen gewann Helmut Schmidt die Vertrauensfrage deutlich. Doch der Zustand währte nicht lange: Im September 1982 verließen die FDP-Minister Schmidts Kabinett. Am 1. Oktober stürzte der Bundestag Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum. Bundeskanzler wurde in einer Koalition mit der FDP der CDU-Politiker Helmut Kohl.

Kohl setzt auf Legitimation durch die Wähler*innen

Er begann seine Amtszeit ebenfalls mit einer Vertrauensfrage. Am 13. Dezember 1982 brachte er sie ins Parlament ein. Zwar hatte er eineinhalb Monate zuvor eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich versammeln können, doch Kohl wollte auch die Legitimation der Wähler*innen und deshalb eine Neuwahl herbeiführen. Zudem waren die Umfragen für die CDU zu diesem Zeitpunkt günstig. „Nach eingehender Prüfung aller wesentlichen Gesichtspunkte (…) bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass der von mir eingeschlagene Weg im Einklang mit dem Grundgesetz steht“, erklärte Kohl vor der Abstimmung der Vertrauensfrage im Bundestag am 17. Dezember. Bei der Abstimmung sprachen ihm nur acht Abgeordnete das Vertrauen aus, 218 stimmten gegen ihn, 248 enthielten sich.

Zwar reichten im Anschluss vier Abgeordnete Klage beim Bundesverfassungsgericht ein, doch billigte das Gericht Kohl Vorgehen. Allerdings betonten die Richter*innen, dass das Instrument der Vertrauensfrage nur in einer „echten“ Krise zulässig sei. Davon unbeeindruckt stimmten 48,8 Prozent der Wähler*innen bei der vorgezogenen Neuwahl des Bundestags am 6. März 1983 für die CDU und die CSU.

Schröder verbindet Vertrauensfrage mit Bundeswehrmandat

Kohls Nachfolger Gerhard Schröder sorgte für eine Premiere bei der Anwendung der Vertrauensfrage, indem er sie mit einer Sachfrage verband. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begann der von den Vereinten Nationen mandatierte und von den USA geführte Anti-Terror-Einsatz gegen die Taliban in Afghanistan. Bundeskanzler Schröder befürwortete eine deutsche Beteiligung, doch in seine rot-grünen Koalitionen wuchsen die Widerstände.

So hatten die Abgeordneten am 16. November 2001 nicht nur über die von Schröder gestellte Vertrauensfrage zu entscheiden, sondern auch über die Entsendung von bis zu 3.900 Bundeswehr-Soldat*innen nach Afghanistan. „Es geht mir um die Verlässlichkeit unserer Politik“, begründete Schröder in der Debatte seinen Schritt. Es sei „unabdingbar“, dass er sich als Kanzler bei einer „Entscheidung von solcher Tragweite“ auf eine Mehrheit der eigenen Koalition stützen könne. So kam es schließlich auch: 336 der 662 Abgeordneten stimmten mit „Ja“, 326 mit „Nein“

Schröder verliert seine zweite Vertrauensfrage

Ganz anders lief es dreieinhalb Jahre später für Schröder. Nachdem die SPD wegen der Hartz-IV-Reformen zahlreiche Landtagswahlen verloren hatte und sein Rückhalt in der Bundestagsfraktion bröckelte, kündigte Schröder am Abend der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 an, die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Das geschah am 27. Juni. Debatte und Abstimmung folgten am 1. Juli. „Geben wir den Menschen die Freiheit, selbst zu entscheiden, welchen Staat sie wollen“, begründete Schröder seinen Schritt, der darauf abzielte, durch eine verlorene Vertrauensfrage eine vorgezogene Neuwahl des Bundestags zu erreichen.

Ähnlich wie bei Kohl 22 Jahre zuvor gab es Kritik an dem Vorgehen, weil Schröders rot-grüne Koalition ja über eine Mehrheit verfügte. Von einer „unechten Vertrauensfrage“ war die Rede. Trotzdem endete sie wie von Schröder beabsichtigt: Von den 595 Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen, sprachen nur 151 der Kanzler ihr Vertrauen aus, 296 stimmten mit „Nein“, 148 enthielten sich. Ein weiteres Kalkül Schröders ging jedoch nicht auf: Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 landete die SPD knapp hinter CDU und CSU. Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin.

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