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Vier Jahre Hanau: „Die Wunden des Anschlags sind tiefgreifend.“

Am 19. Februar 2020 tötete ein Rechtsextremist in Hanau neun Menschen. Vier Jahre danach sind Schmerz und Trauer noch immer sehr präsent, sagt die Vorsitzende der Hanauer SPD, Sevgi Idil Dağdelen. Hoffnung machen ihr die bundesweiten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.

von Kai Doering · 19. Februar 2024
Demonstration mit 5000 Menschen in Hanau am 17. Februar 2024: Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus spielen eine wichtige Rolle.

Demonstration mit 5000 Menschen in Hanau am 17. Februar 2024: Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus spielen eine wichtige Rolle.

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu ,Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Namen hören? 

Ich empfinde Trauer und Empörung.  Es sind Namen der Opfer des rassischtischen Anschlages am 19. Februar 2020 in unserer Stadt Hanau. Danach waren das Entsetzen und die Bestürzung im gesamten Deutschland groß. Es ist aber wichtig, die Opfer und die Tat nicht zu vergessen, und weiterhin gegen Hass und Diskriminierung in all ihren Facetten vorzugehen.

Sevgi Dagdelen, Vorsitzende der SPD Hanau, Foto: privatDer Anschlag, bei dem die neun ihre Leben verloren haben, liegt nun vier Jahre zurück. Wie tief sind die Wunden in Hanau noch? 

Die Wunden des Anschlags in Hanau sind tiefgreifend. Vor allem für die Familien und Angehörigen der Opfer sind der Schmerz und die Trauer noch sehr präsent. So schildert uns unsere Genossin Saida Hashemi vor Kurzem, dass beim täglichen Abendessen ein Platz am Tisch leer bleibt und keiner diese Lücke füllen kann. Aber auch in der Bevölkerung ist zu spüren, dass der Opfer nicht nur an einem Jahrestag gedacht wird.

Dass so viele Mitbürgerinnen und Mitbürger auch nach vier Jahren Seite an Seite für die Opfer und die Familien auf die Straße gehen, ist eine sehr große Stütze, die wir auch zukünftig aufrechterhalten sollten! Ziel muss sein, solche tragische Ereignisse in Zukunft zu verhindern.

Oberbürgermeister Claus Kaminsky hat vor einigen Tagen kritisiert: „Wir stehen im Kampf gegen rechts eher schlechter da als am 19. Februar 2020.“ Sehen Sie das auch so? 

Ich schließe mich Oberbürgermeister Kaminsky an. Trotz der Bildungsinitiatven des 19. Februars, der organisierten Gedenkveranstaltungen und auch der Gespräche mit den Angehörigen, erhalten wir vermehrt beispielsweise Berichte über eine Zunahme rechtsextremer Aktivitäten, Hasskriminalität und extremistischer Propaganda.

Wir haben vergangenes Jahr erst bei der Landtagswahl in Hessen gesehen, wie Parteien, die gegen unseren Rechtsstaat und unsere funktionierende Demokratie sind, erstarken konnten.

Es ist aber eine gute Nachricht, wie Oberbürgermeister Kaminsky sagt, dass bei den bundesweiten Demonstrationen hunderttausende Menschen dagegen aufstehen. Dieses aktive Verhalten aller Demokratinnen und Demokraten gegen jegliche Form von Rassismus und Hass muss aufrechterhalten bleiben.


Nach den Correctiv-Recherchen über ein Treffen von Rechtsextremen in Potsdam gehen seit Wochen hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße, gerade jetzt auch am Wochenende auch in Hanau. Enttäuscht es Sie, dass es diese Demonstrationen nicht nach dem 19. Februar gab? 

Es mag sein, dass viele enttäuscht waren, dass die Mobilisierung gegen Rechtsextremismus unmittelbar nach dem Anschlag in Hanau nicht so stark war wie jetzt. Der Anschlag ereignete sich an einem Mittwochabend und bereits am folgenden Donnerstag gab es eine Mahnwache mit Vertretern des Hessischen Landtages sowie des Bundestages auf unserem Hanauer Markplatz. Ich habe hohe Achtung davor, dass es mehr als nur eine Mahnwache in Hanau gab, bei denen zahlreiche Teilnehmer und Teilnehmerinnen immer wieder zu sehen waren und zu sehen sind. 

Die Corona Pandemie dürfen wir nicht vergessen, sie hat dazu beigetragen, dass wir nicht, wie in den vergangenen Wochen, zu tausenden auf die Straße konnten. Aber viele Schulen, Vereine, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien sind das Problem Rassismus angegangen und haben versucht, zu sensibilisieren. 

Die Gründung von Initiativen wie die des 19. Februars oder der Bildungsinitiative Ferhat Unvar haben gezeigt, dass die Menschen motiviert sind, sich stärker gegen Hass und Extremismus einzusetzen. Dass sich die Angehörigen trotz ihrer Trauer mit aller Energie für ein aufgeklärtes Miteinander in unserer Gesellschaft einsetzen, ist beispielslos. Ihnen ist zu verdanken, dass ganz Deutschland die Namen der Opfer kennt und ihr Leid aus Hanau teilt. Es fanden und finden unzählige Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet statt. Eigentlich bin ich eher dankbar dafür.

Was muss aus den Demonstrationen folgen?

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus spielen eine wichtige Rolle, das Bewusstsein über die Bedrohung durch Hass und Extremismus zu schärfen und den Druck auf politische Entscheidungsträger zu erhöhen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. 

Sie stoßen eine breite gesellschaftliche Debatte über Fragen der Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Menschenrechte an und tragen dazu bei, eine Kultur der Akzeptanz und des Respekts zu fördern. Unsere Gesellschaft muss auf den Prinzipien der Toleranz, Vielfalt und Gleichberechtigung basieren. Ein Miteinander, statt eines Gegeneinanders. 

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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5 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 19.02.2024 - 14:53

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des 10 Opfers gewollt oder ein versehen ist. Es gab ja in Summe 11 tote Menschen, neben den 9, derer hier gedacht wird, auch der Mutter, und letztendlich auch der Täter selbst.
Was mach den Unterschied aus, dass 9 der Toten Menschen waren, zwei weitere nicht? Ich weiß es nicht, man sollte dies hier klarstellen

Bei den neun namentlich genannten Opfern ist klar, dass sie aus rassistischen Motiven ermordet wurden. Darum geht es in diesem Interview. Der Mord an der Mutter soll damit nicht relativiert werden.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Di., 20.02.2024 - 06:37

Antwort auf von Kai Doering

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der Täter tot ist und sich keiner Untersuchung in Bezug auf seine Schuldfähigkeit stellen kann bzw stellen muss. Es soll ja Hinweise auf psychische Defizite geben. Kann ein "Wahnsinniger" ein Motiv haben?