Meinung

Demos gegen Rechtsextremismus: Die Mitte ist aufgewacht!

Mehr als 1,5 Millionen Menschen haben zuletzt in Deutschland gegen Rechtsextremismus demonstriert. Die Demos sind ein Zeichen, dass die gesellschaftliche Mitte aufgewacht ist. Sie kann und muss etwas tun, im Parlament wie auf der Straße.

von Jonas Jordan · 22. Januar 2024
Wie hier in Berlin demonstrierten deutschlandweit mehr als 1,5 Millionen Menschen in der vergangenen Woche.

Wie hier in Berlin demonstrierten deutschlandweit mehr als 1,5 Millionen Menschen in der vergangenen Woche.

Was für tolle Bilder! In der vergangenen Woche sind bundesweit mehr als 1,5 Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, vor ihren Gefahren zu warnen und sich aktiv für die Demokratie einzusetzen. Wie viele Menschen sich bei Minusgraden Mitte Januar trotz Schnee und Eis versammelt haben, hat mich beeindruckt und berührt.

Besonders in den vier größten Städten des Landes waren anschließend spektakuläre Luftaufnahmen zu sehen. Nach Angaben der Veranstalter*innen waren es in Berlin am Sonntagabend bis zu 350.000 Menschen, die sich im Regierungsviertel versammelten. In München mit bis zu 250.000 Menschen und in Hamburg mit bis zu 130.000 Menschen mussten die Versammlungen aus Sicherheitsgründen vorzeitig beendet werden.

Von Düsseldorf nach Köln gegen die AfD

Viele Menschen hatten bunte Schilder gemalt mit Aufschriften wie „Nie wieder ist Jetzt!“, „Diversity, Respect, Democracy“ oder „Demokratie ist alternativlos“. Besonders humorvoll war ein Demonstrant am Sonntag in Köln. „Ich hasse die AfD so sehr, dass ich extra aus Düsseldorf nach Köln gekommen bin“, stand auf seinem Plakat. Selbst die Rivalität im Rheinland ist passé, wenn es um den Schutz der Demokratie geht.

In der Domstadt kamen bei zwei Demonstrationen in der vergangenen Woche ebenfalls mehr als 100.000 Menschen zusammen. Das weckt Erinnerungen an die großen Kölner Demonstrationen Anfang der 90er-Jahre. Kein Wunder, denn damals wie heute hat das Bündnis „Arsch huh, Zäng ussenander“ dazu aufgerufen, was man wohl auch als „Aufstehen und Mund aufmachen“ frei übersetzen könnte.

Jonas Jordan

Die Zivilgesellschaft ist aufgewacht

Tatsächlich wird dieser Tage deutlich: Die Zivilgesellschaft in diesem Land ist aufgewacht. Es versammeln sich derzeit auch viele Menschen, die sonst noch nie auf einer Demonstration waren. Menschen jeden Alters, von sechs Monaten bis 86 Jahren, Menschen unterschiedlichen Glaubens, mit unterschiedlichen politischen Anhänger*innen, Seenotretter*innen und Schützenvereine. Sie alle eint ein Ziel: die Demokratie in diesem Land zu schützen und zu verteidigen.

Denn wie sangen schon die Toten Hosen in ihrem Lied „Willkommen in Deutschland“ erstmals im Mai 1993: „Es ist auch mein Land, und ich kann nicht so tun, als ob es mich nichts angeht. Es ist auch dein Land, und du bist schuldig, wenn du deine Augen davor verschließt.“

Jonas Jordan

Wir sind nicht machtlos im Kampf gegen Rechtsextremismus

Klar ist: Die Demonstrationen führen nicht dazu, dass Akteur*innen wie die AfD und andere rechtsextreme Organisationen von heute auf morgen verschwinden. Vielleicht gewinnen sie sogar zeitweise durch die sogenannte Wagenburg-Mentalität etwas an Zustimmung. 

Doch zugleich sind die Demonstrationen eine Demonstration und Selbstermächtigung vieler Demokratinnen und Demokraten. Sie zeigen: Wir sind nicht machtlos im Kampf gegen Rechtsextremismus. Wir können und müssen etwas tun, im Parlament und auf der Straße. Denn wie stand es am Sonntag auf dem Schild einer Demonstrantin: „Jetzt können wir endlich rausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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4 Kommentare

Gespeichert von Peter Plutarch (nicht überprüft) am Di., 23.01.2024 - 11:31

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Gegen die AfD, alles klar, verstanden. Aber wofür? Glaubt denn hier wirklich jemand, es würde für die Positionierung unseres Kanzlers demonstriert, der im Spiegel im AfD-Duktus für Abschiebungen im großen Stil plädiert? Oder befinden sich die Demonstranten auf einer Linie mit den Forderungen von Innenministerin Faeser nach Abschiebungen von Clan-Mitglieder, also Sippenhaft.

Die Vergleiche der Veranstaltung in Potsdam mit der Wannseekonferenz verharmlosen die Verbrechen im Dritten Reich auf das gröblichste und werden sich bitter rächen. Sie führen ebenfalls nicht zu einer Zurückdrängung der AfD, sondern sie machen es ihr im Gegenteil noch leichter ihr geschichtsrevisionistisches Weltbild zu verbreiten.

Die Positionierung der SPD ist ebenso durchschaubar wie inkonsistent. Die AfD stellt eine politische Herausforderung dar. Sie gleichzeitig mit Demonstrationen und Übernahme ihrer Kernforderungen bekämpfen zu wollen scheint mir wenig Erfolg versprechend. Zumal der AfD der Raum gelassen wird, sich zur Schutzmacht der kleinen Leute zu erklären. Denn de facto verantwortet die SPD einen Bundeshaushalt 2024, in dem einerseits rund 7 Milliarden Euros aus der Rentenkasse entnommen werden, wodurch alleine die "arbeitende Mitte" belastet wird und die Vermögenden verschont bleiben, und andererseits der Ukraine weitere acht Milliarden Euro für einen verlorenen Krieg zugeschoben werden, obwohl sie die Nordstream-Pipelines zerstört haben soll.

Die Hoffnung, dass die Demonstrationen irgendwie über diese Widersprüche hinwegtäuschen könnten, ist vergebens.

Die Hoffnung, dass die AfD durch ein Parteiverbotsverfahren neutralisiert werden kann, ist ebenfalls vergebens. Solange die "etablierten" Parteien die Kernforderungen der AfD übernehmen, wird das erfolglos bleiben. Und genau das passiert seit Jahren, siehe die obigen Beispiele.

Meine SPD strahlt leider eine zunehmende Hilflosigkeit aus.

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Di., 23.01.2024 - 11:43

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Dieser Kommentar wurde gelöscht, da er gegen Punkt 2 der Netiquette verstößt. Bitte beachten Sie die Netiquette!

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 23.01.2024 - 12:16

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Wir definieren uns eine "Mitte" und fühlen uns dabei wohl. "Wir" haben die bessere "Moral", aber Moral, und schon gar nicht doppelte kann Richtlinie politischen Handelns sein. Es braucht klare Perspektiven, die Sozialdemokraten den Rechten gegenüberstellen können. Früher war das Frieden und soziale Gerechtigkeit, JA FrÜHER. Wo sind denn diese Grundpfeiler sozialdemokratischer Politik abgeblieben ??!!? "Resepkt für Dich" und "Keine Waffenexporte in Krigsgebiete", das waren vor etwas mehr als 2 Jahren noch die Wahlkampfparolen (auf die ich reinfiel) und nun ? die CDSU ist auch keine Alternative und die afd schon gar nicht.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Di., 23.01.2024 - 15:09

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, dh auf die Straße bringt. Ich denke, wir bleiben dabei, lassen nicht nach wie seinerzeit beiden Montagsdemonstrationen . Wichtig wäre auch, den Schwung, den wir hierzulande haben aufnehmen können, auch jenseits der Grenzen zu nutzen. Insbesondere den Genossen im Norden, Dänemark allen voran, muss deutlich gemacht werden, dass sie sich auf einem Irrweg befinden, und umkehren müssen, lieber heute als morgen. Was dort passiert an Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, grenzt ja schon am Abschreiben von den Rechten- Also, weiter so, und dann auch europaweit gegen Rechts