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Hanau-Untersuchungsausschuss: Der Frust der Angehörigen ist groß

Der Hanau-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag ist beendet. Der Abschlussbericht soll jedoch erst im Dezember veröffentlicht werden. Nicht nur deshalb ist der Frust bei den Angehörigen groß.
von Jonas Jordan · 24. Juli 2023
Drei Jahre und fünf Monate nach dem Anschlag von Hanau: Die Angehörigen fordern weiter Aufklärung.
Drei Jahre und fünf Monate nach dem Anschlag von Hanau: Die Angehörigen fordern weiter Aufklärung.

Am 19. Februar 2020 ermordete ein rechtsextremer Attentäter neun Menschen in Hanau aus rassistischen Motiven, anschließend erschoss er zunächst seine Muterr und dann sich selbst. Das ist seit mehr als drei Jahren und fünf Monaten bekannt. Doch rund um den Anschlag in der hessischen Großstadt gibt es noch immer viele Ungereimtheiten, die ein Untersuchungsausschuss (UNA) im hessischen Landtag aufklären sollte. Vor kurzem ist er zuende gegangen. „Wir sind alles, aber nicht zufrieden damit, wie es gelaufen ist“, sagt Said Etris Hashemi im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Am Abend des Anschlages besuchte er mit seinem Bruder Said Nesar Hashemi die „Arena Bar“ im Hanauer Stadtteil Kesselstadt. Sein Bruder starb, Said Etris Hashemi überlebte schwer verletzt. Seine Kritik richtet er nun vor allem an die Adresse der hessischen Landesregierung. Schon die Einrichtung des Untersuchungsausschusses sei kein einfacher Weg gewesen. „Wir mussten regelrecht dafür kämpfen. Nancy Faeser hat uns sehr unterstützt, dass er kommt“, berichtet er. Zwischenzeitlich sei das Argument gewesen, dass ein weiterer Untersuchungsausschuss aus Kapazitätsgründen nicht machbar sei. Denn parallel lief noch der zur Aufklärung der Begleitumstände zum Mord am früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Kritik an Innenminister Beuth

„Das haben wir nicht akzeptiert und auch viel gesellschaftlichen Druck ausgeübt. Dabei war die SPD mit an Bord, auch die Linke und die FDP. Irgendwann war auch CDU und Grünen klar, dass sie dafür stimmen müssen“, sagt Hashemi. Nachdem klar, war dass der UNA kommen würde, formulierten die Angehörigen der neun Opfer zehn Leitfragen an den Ausschuss, recherchierten selbst mit Hilfe der internationalen Recherchegruppe Forensic Architecture und gaben ihre Erkenntnisse an die Behörden weiter.

Nun ist die Enttäuschung groß, vor allem nach dem Auftritt des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU), der als letzter Zeuge im Ausschuss aussagte: „Er wurde gefragt, wer die politische Verantwortung für das trägt, was passiert ist. Da hat Beuth angefangen, von sich in der dritten Person zu sprechen.“ Said Etris Hashemi ist überzeugt: „Man muss erst mal aufarbeiten, was passiert ist und dafür Verantwortung übernehmen, um es in Zukunft besser zu machen. Doch beim Innenminister gibt es nicht einmal einen Funken Eingeständnis, zuzugeben, dass etwas schief gelaufen ist. Diese Erkenntnis gibt es nicht bei der Regierung in Hessen.“ Solange jedoch keine politische Verantwortung übernommen werde, sei dies ein deutliches Signal an Menschen mit Migrationshintergrund, „dass wir Menschen zweiter Klasse in diesem Land sind“.

Abschlussbericht erst im Dezember

Besonders ärgerlich aus Sicht der Angehörigen ist auch, dass sie nach der letzten Sitzung des Ausschusses noch fast ein halbes Jahr warten müssen, ehe der Abschlussbericht veröffentlicht werden soll. „Das kam sehr, sehr überraschend. Wir haben das nicht verstanden. Es gibt keinen Grund, diesen Abschlussbericht auf die Zeit nach der Landtagswahl zu verschieben. Was haben sie denn zu befürchten?“, sagt Said Etris Hashemi zu dieser Entscheidung. Insbesondere die Begründung der Grünen, die Familien der Opfer dadurch aus dem Landtagswahlkampf heraushalten und nicht instrumentalisieren zu wollen, habe ihn geärgert. „Ich weiß nicht, ob es ihnen aufgefallen ist, aber wir werden schon seit drei Jahren instrumentalisiert“, sagt er.

Seine Schwester Saida Hashemi begann nach dem Anschlag, sich kommunalpolitisch in ihrer Heimatstadt zu engagieren. Inzwischen ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in der Hanauer Stadtverordnetenversammlung. „Das, was im Untersuchungsausschuss passiert, macht auch was mit den Menschen in Hanau. Denn wir fordern Aufklärung und Konsequenzen. Wir wollen uns in Zukunft sicher fühlen“, fordert sie. 

Die Angst bleibt

Die SPD-Kommunalpolitikerin kritisiert: „Warum wird so getan, als ob alles in Ordnung wäre um zum Beispiel von der CDU im Land immer von exzellenter Polizeiarbeit gesprochen? Exzellente Polizeiarbeit endet nicht mit neun Toten. Natürlich sind da die Menschen vor Ort auch verunsichert.“ Wann immer beispielsweise ein Hubschrauber über Hanau kreise, hätten die Menschen nun Angst. „Es kommt wieder der 19. Februar hoch in den Menschen“, sagt Saida Hashemi. Auch sie selbst habe manchmal Angst, wenn sie zu öffentlichen Sitzungen des Stadtparlamentes gehe. Die Familie ist inzwischen aus dem Stadtteil Kesselstadt weggezogen.

Auch Said Etris Hashemi ist der Meinung: „Man merkt, dass viele Menschen unsicherer sind als früher. Dass sowas gerade in einer Stadt wie Hanau, in der Menschen aus 180 verschiedenen Nationen zusammenleben, passiert ist, zeigt, dass es in jeder anderen deutschen Stadt passieren könnte. Durch Hanau haben viele Menschen verstanden, dass es ernst ist.“ Gleichzeitig hätten sich insbesondere viele junge Menschen mit Migrationshintergrund aus ganz Deutschland mit Hanau und den betroffenen Familien identifizieren können.

Neue Erinnerungskultur geschaffen

Deswegen blickt er auch mit Stolz darauf, dass es gelungen sei, eine neue Erinnerungskultur zu schaffen. „Sonst stand nach Anschlägen immer der Täter im Vordergrund. Jeder kannte die Biographie und den Namen. Bei Hanau ist es komplett anders. Die wenigsten kennen den Täter, sie kennen die Opfer, die Namen und die Geschichten, die dahinter stehen.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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