Neue Regierung: Keine Liebesheirat, sondern eine Schicksalsgemeinschaft
Dass sich CDU/CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben, ist eine gute Nachricht. Auch wenn das Bündnis dieser ungleichen Partner keine Wunschkoalition ist, sollten wir alles dafür tun, dass es gelingt. Denn eine demokratische Alternative gibt es nicht.
Dirk Bleicker / vorwärts
Zum Erfolg verdammt: die möglichen Koalitionär*innen von SPD und CDU/CSU bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags
Der Koalitionsvertrag, auf den sich Union und SPD geeinigt haben, ist keine heitere Zukunftsvision. Danach sind die Zeiten nicht. Die Parteien, die im Bundestagswahlkampf noch harte Konkurrenten waren, haben eine Einigung gefunden, die dafür sorgen soll und muss, dass Deutschland als starke Macht in Europa stabil und sicher durch die nächsten Jahre kommt. Dass die Sicherheit des Landes nach innen und außen gewahrt werden kann.
Ganz andere Voraussetzungen als die Ampel
Die Hoffnung der Ampel-Regierung 2021 war es, als „Fortschrittskoalition“ in die Geschichte eingehen zu können. Diese Erwartung wurde vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit einhergehende Zeitenwende brutal zerschlagen.
Seitdem hat es nicht nur eine Zeitenwende gegeben. In der Folge ist Schwarz-Rot heute von Anfang an mit anderen Notwendigkeiten konfrontiert. Alle Akteure müssen wissen, was auf dem Spiel steht. Denn unsere Welt ist aus den Fugen geraten: Es dauert nicht „nur“ der Krieg in der Ukraine mit unverminderter Härte an, sondern US-Präsident Donald Trump erschüttert mit seinem Agieren die westliche Wertegemeinschaft immer wieder auf’s Neue und stellt sie regelmäßig in Frage. Hinzu kommen der wachsende Rechtspopulismus und -extremismus in Europa, auch in Deutschland.
Die SPD hat wesentlich Punkte durchgesetzt
Deswegen ist es gut, dass es der SPD gelang, die Union noch vor den eigentlichen Koalitionsverhandlungen von dem 500 Milliarden schweren Finanzpaket für dringend notwendige Investitionen In Infrastruktur wie Brücken, Schienen, klimaneutrale und digitales Technologien zu überzeugen und davon, dass die Sicherheit unseres Landes nicht an der Schuldenbremse scheitern darf. Die Lage des Staatshaushalts bleibt dennoch schwierig, und wir werden sparen müssen. Das wird die Arbeit der Koalition nicht leichter machen.
Nichtsdestotrotz ist es der SPD gelungen, wesentliche Versprechen aus dem Wahlkampf in dem Koalitionsvertrag festzuschreiben: zum Beispiel 15 Euro Mindestlohn bis 2026, ein klar definiertes Tariftreuegesetz, das für höhere Löhne sorgt, die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent über die Legislaturperiode hinaus oder besseres Bafög und die WG-Garantie für Studierende.
Dass dies auch zu Zugeständnissen gegenüber zwei Partnern führt, die vieles mit einer ganz anderen politischen Philosophie betrachten, ist schmerzhaft, aber unvermeidlich.
Diese Regierung darf nicht scheitern
Diese Koalition ist keine Liebesheirat, sondern eine Schicksalsgemeinschaft, die dafür sorgen muss, dass Deutschland und damit auch Europa in der neuen Weltordnung ein Ort der Sicherheit und des Friedens bleiben. Diese Aufgabe ist gewaltig. Und der Vorteil dieser Regierung ist es, dass sie von Anfang an um die Klippen und Schwierigkeiten ihres Handelns weiß. Sie darf nicht scheitern.
Denn Tatsache ist: Zu Schwarz-Rot gibt es nach dem Votum der Wähler*innen keine demokratische Alternative. Deswegen sollten wir Sozialdemokrat*innen diesem Vertrag zustimmen.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.
Verpasste Chancen
"Zu Schwarz-Rot gibt es nach dem Votum der Wähler*innen keine demokratische Alternative. Deswegen sollten wir Sozialdemokrat*innen diesem Vertrag zustimmen."
Als es noch Alternativen gab hat man sie arroganter Weise abgelehnt und nun ist man von gut 40% der Wählerzustimmung auf gerade mal 16% gelandet. Aus den eigenen Fehlern zu lernen hat man (und selbstverständlich auch Frauen) konsequent abgelehnt u.a. deßwegen weil man sich an eine moralisch überhebliche Partei allzusehr angelehnt hat. Und dazu kommt dann noch der allerhöchst moralische militärische Bündnispartner.
Ich bemühe mich, gar mit Sehhilfen, aber an der derzeitigen SPD kann ich kaum noch sozialdemokratische finden.
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wesentliche Punkte durchgesetzt“, nämlich den, „dass die Sicherheit unseres Landes nicht an der Schuldenbremse scheitern darf“. Besonders weitsichtig war dabei, das sogar noch mit dem alten Bundestag durchzusetzen, denn im neuen Bundestag besteht dafür keine notwendige Mehrheit mehr. Die Schuldenbremse gilt, das ist die clevere Idee, nur für Militärausgaben bis 1% vom BIP. Da wir als angemahnte und selbstgewollte Führungsmacht wohl spätestens im nächsten Jahr mindestens 3% vom BIP in unsere Aufrüstung stecken wollen und müssen, werden 2% vom BIP nicht mehr im Bundeshaushalt ausgewiesen, sondern verschwinden im Topf „Investitionen in Sicherheit“, oder wie er sonst irreführend genannt werden mag. Das sind bei einem BIP von 4.185,6 Mrd. € (2023) 83,7 Mrd. €. Aber selbst der bewusst geschönte, im Haushalt ausgewiesene Betrag, 41,9 Mrd. € (1% vom BIP), wird von der Konsolidierung des Haushalts durch Priorisierung ausgenommen.
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Falls der Bundeshaushalt etwas sein soll, das die Regierungspolitik monetär abbildet, dann ist er ab sofort nicht mehr transparent. (Wen kümmert schon Transparenz?) Ob zudem ein so bewusst verfälschter, vom Bundestags verabschiedeter Haushalt des nächsten Jahres rechtens ist, ist hoffentlich von der SPD geprüft worden.
Die Schuldenbremse ist volkswirtschaftlich unsinnig bei Investitionen, weil „die sich durch ein höheres Wachstumspotenzial zumindest teilweise selbst finanzieren“ (Gustav Horn, 5.3.25), also die Zukunft nicht belasten. Genau umgekehrt ist es bei „Militärausgaben (- fremdfinanziert -), (weil sie) konsumtive Ausgaben sind, die sich also nicht durch ein höheres Wachstumspotenzial zumindest teilweise selbst finanzieren und damit eine steigende Schuldenbelastung nach sich ziehen“ (Gustav Horn, 5.3.25). Da massive Aufrüstung „Ressourcen“ bindet, die dem zivilen Sektor dann fehlen - man kann einen Pfannkuchen nur einmal essen -,
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führt das (bei Vollbeschäftigung) zwangsläufig zeitnah zu einer Senkung des Lebensstandards. Zudem belasten sie die Zukunft. Die Umgehung der Schuldenbremse für Aufrüstung wird der SPD schon bald als Inflation auf die Füße fallen.
Der entscheidende Fehler der durchsetzungsfähigen SPD ist, dass massive Aufrüstung nicht zwingend zu mehr Sicherheit führt. Wir, die EU, könnten, vermute ich, die Russische Föderation totrüsten – konventionell. Da wir aber so viel von Abschreckung verstehen und halten, sollten wir uns fragen, wie die Russische Föderation auf unsere Aufrüstung gezwungen ist zu reagieren, denn sie wird ihr Abschreckungspotential auch vergrößern wollen. Wirtschaftlich kann sie konventionell nicht mithalten. Also wird sie ihre atomare Abschreckung vergrößern. Wollen wir das? Wir müssen schnell wieder zur Vernunft zurückkehren.
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Einer der Hauptgründe im Konfliktfeld, das zum Krieg um die Ukraine geführt hat, und der ist der Grund für unsere Kriegshysterie, ist die Nato-Osterweiterung vor allem um die Ukraine (und Georgien). Wertebasierte Politik muss sich doch die Frage stellen, ob unsere strategische Forderung, „eine starke, unabhängige Ukraine ist für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich“ (Nato-Sicherheitsstretegie von 2022), moralisch gerechtfertigt ist, wissend, dass die Russische Föderation die Bedeutung der Ukraine für sich ähnlich sieht und darum sogar zu einem Krieg bereit ist. Verantwortungsethik würde es nicht auf eine Krieg ankommen lassen.
Den Krieg haben wir nicht verhindert. Wie sollten jetzt einen Frieden herbeiführen, der auch für die Russische Föderation eine akzeptable europäische Friedensordnung ist.
Massive Aufrüstung ist nicht der richtige Weg.