Warum die SPD jetzt stärker mit der türkischen CHP zusammenarbeitet
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat am Montag in Ankara mit dem Vorsitzenden der türkischen Schwesterpartei CHP, Özgür Özel, ein Memorandum zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien unterzeichnet. Die Schwesterpartei ist aus verschiedenen Gründen für die SPD wichtig.
Fionn Große
Wollen, dass SPD und CHP künftig stärker zusammenarbeiten: Parteichefs Lars Klingbeil und Özgür Özel in Ankara
Der Himmel reißt plötzlich auf, als Lars Klingbeil und CHP-Chef Özgür Özel am Montagnachmittag den Vorplatz des Atatürk-Mausoleums betreten. Nach heftigem Regen schiebt sich plötzlich die Sonne durch die Wolken, wie ein Zeichen der Hoffnung am ersten Tag von Klingbeils dreitägigem Türkeibesuch.
Der Besuch des Grabes des säkularen Staatsgründers ist ein diplomatisches Standartprogramm in Ankara. Atatürk erfreut sich in der Türkei derzeit großer Beliebtheit: Während Staatspräsident Erdogan mit einer Bildungsreform die Religion in den Schulen weiter verankert, mit einem Beitritt zu den BRICS-Staaten liebäugelt und islamistische Sekten hofiert, sehnen sich viele im Land nach der Vision Atatürks einer modernen, nach Westen ausgerichteten Türkei und legen Wert auf dessen strikte Trennung von Religion und Staat.
Die CHP hat international enorm an Bedeutung gewonnen
Die Stimmung zwischen Klingbeil und Özel ist gelöst und herzlich, man kennt sich. Im vergangenen Jahr hatten sich die beiden bereits zweimal getroffen: zuerst bei Klingbeils Türkei-Besuch im Frühjahr 2023, damals war Özel noch Fraktionsvorsitzender der CHP. Beim zweiten Mal im Dezember 2023 sprach Özel auf dem SPD-Parteitag in Berlin, kurz zuvor war er zum Parteichef der republikanischen Volkspartei CHP gewählt worden. Nun ist er auch noch Wahlsieger: Bei den türkeiweiten Kommunalwahlen im Frühjahr 2024 ging die CHP als stärkste Partei hervor, das erste Mal seit Erdogans Amtsantritt. Gute Beziehungen zur CHP haben für deutsche Politiker*innen damit enorm an Bedeutung gewonnen.
Die CHP ist schon lange Schwesterpartei der SPD, doch jahrelang waren die Beziehungen eher mau. Das zu ändern, ist schon länger Klingbeils Ziel. Beim jetzigen Besuch konnte er konkrete Fortschritte vorweisen: Am Montagabend unterschrieben er und Özel ein Memorandum zur intensiveren Zusammenarbeit zwischen SPD und CHP. „Das hätten wir schon viel früher tun sollen“, kommentierte Özel. „Das vertieft nicht nur die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parteien, sondern auch zwischen unseren beiden Ländern“, so der CHP-Chef. In dem Memorandum verständigen sich beiden Parteien auf einen Parteidialog in den Bereichen Demokratie, Außenpolitik, Frieden, EU-Beziehungen, Umwelt- und Klimapolitik. Darüber hinaus strebt man jährliche Treffen und „institutionelle Kooperationsmechanismen“ an, damit es nicht nur bei schönen Worten bleibt.
Neuaufstellung der internationalen Zusammenarbeit der SPD
Klingbeil stellte das Memorandum in einen globalen Zusammenhang: „Mitte-Links-Parteien weltweit müssen sich besser vernetzen, um den Populisten, Spaltern und Antidemokraten etwas entgegenzusetzen“, betonte er. Denn die seien global bereits sehr gut vernetzt, tauschen sich etwa darüber aus, wie sie in den sozialen Medien vorgehen und Gesellschaften destabilisieren können. „Wir als progressive Parteien müssen ihnen einen Schritt voraus sein“, erklärte Klingbeil. Das Memorandum mit der CHP reiht sich ein mehrere neue Kooperationsvereinbarungen Klingbeils mit sozialdemokratischen Parteien weltweit, etwa zwischen der SPD und der Mongolische Volkspartei MVP sowie mit der brasilianischen Arbeiterpartei PT. In diesem September fand ein Treffen mit der Kommunistischen Partei Chinas im Willy-Brandt-Haus statt, für Oktober ist eine Neuaufstellung der internationalen „Progressive Alliance“ geplant.
Nicht alle diese Parteien haben dasselbe Verständnis von Demokratie und Transparenz wie die SPD, nicht alle sind einfach Partner. Die CHP etwa war jahrelang eine eher nationalistisch geprägte Partei, galt in der Türkei als abgehobene und verkrustete Vertreterin der säkularen Eliten. Erst in den vergangenen Jahren hat sie ihr sozialdemokratisches Profil wiederentdeckt und ist Schritte auf religiöse und kurdische Wähler*innen zugegangen.
Die Wahl Özgür Özels ging einher mit Hoffnung auf innerparteiische Reformen; die kommendenJahre werden zeigen, ob er die einlösen kann. Schon jetzt kann Özel zwei sehr aussichtsreiche Kandidaten für die kommende Präsidentschaftswahl vorweisen: Masur Yavas und Ekrem Imamoglu, die Bürgermeister von Ankara und Istanbul. Imamoglu trifft Klingbeil am Mittwoch in Istanbul, zu ihm pflegt er ein freundschaftliches Verhältnis. Am Dienstag traf Klingbeil außerdem die Parteispitze der prokurdischen DEM (zuvor HDP), ebenfalls Schwesterpartei der SPD.
Umgang mit Geflüchteten ist großes Thema
Ohnehin sind Türkeireisen in der deutschen Politik gerade stark in Mode. In dieser Woche ist der Europa-Ausschuss des Bundestages in Istanbul zu Gast. CDU-Chef Friedrich Merz hatte schon vor Wochen seinen Besuch angekündigt, Kanzler Scholz traf sich kürzlich mit Erdogan in New York. Dabei steht meist das heikle Thema Geflüchtete auf dem Programm. Das hat im vergangenen Jahr eine neue Dimension erreicht: Türk*innen gehörten 2023 zu den größten Asylbewerbergruppen in Deutschland. Während jahrelang vor allem politisch Verfolgte aus der Türkei nach Deutschland kamen, hat die jüngste Fluchtwelle vor allem wirtschaftlichen Gründe. Hyperinflation, Erdbeben und mangelnde Perspektivlosigkeit nach Erdogans erneutem Wahlsieg 2023 haben viele in die Flucht getrieben, die meisten von ihnen sind Kurd*innen.
Doch nur die wenigsten haben Chancen auf Asyl, mehr als 13.500 Türk*innen in Deutschland sind derzeit ausreisepflichtig. Laut Berichten der FAZ sollen nun wöchentlich bis zu 500 Menschen in die Türkei abgeschoben werden, im Gegenzug kann die Türkei wohl auf Visaerleichterungen hoffen. Zu diesem Thema befragt, antworten Özel und Klingbeil auf ihrer Pressekonferenz nur verhalten. Man müsse die Details dieser Vereinbarung kennen, so Özel. Wenn die Abschiebungen rechtens seien und die Türkei dafür endlich Visaerleichterungen erhalte, sei das begrüßenswert.
Einen neuen EU-Türkei-Flüchtlingsdeal, wie ihn einst die frühere Kanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan abgeschlossen hatten, würde seine Partei aber „auf keinen Fall“ befürworten, betonte Özel. Wichtiger sei es, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Deutsche Politiker*innen, die sich von einem Türkeibesuch einfach Lösungen für die europäische Flüchtlingsfrage erhoffen, dürften die zumindest bei der CHP kaum finden. Für eine langfristige Zusammenarbeit mit der Hoffnung auf eine demokratischere Türkei hingegen stehen bei der CHP offenbar die Türen offen.
arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.
CHP
Das nationalistische getöne dieser Partei stört mich, aber Hauptsache sie ist im Gegensatz zu Erdowan prowestlich.