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10 Jahre „Progressive Alliance“: Wie sich die Plattform enwickelt hat

Am 22. Mai 2013 wurde in Leipzig die „Progressive Alliance“ als Alternative zur „Sozialistischen Internationale“ gegründet. Wie sich das Parteiennetzwerk entwickelt hat und wie er sich dessen Zukunft vorstellt, sagt Koordinator Conny Reuter.
von Kai Doering · 22. Mai 2023
Gründung in Leipzig: Vor zehn Jahren schlossen sich sozialdemokratische, sozialistische und progressive Parteien zur „Progressive Alliance“ zusammen.
Gründung in Leipzig: Vor zehn Jahren schlossen sich sozialdemokratische, sozialistische und progressive Parteien zur „Progressive Alliance“ zusammen.

Am 22. Mai 2013 wurde in Leipzig mit der „Progressive Alliance“ ein internationales Netzwerk von sozialdemokratischen, sozialistischen und progressiven Parteien gegründet. Was war damals das Ziel?

Bevor es zur Gründung der PA kam, hatte sich über Jahre in vielen Parteien Ärger über die „Sozialistische Internationale“ aufgestaut. Ein Kritikpunkt war die Persönlichkeit des Generalsekretärs Ayala, der noch von Willy Brandt eingesetzt worden war. Mangelnde Transparenz war ein zweiter Kritikpunkt. Ebenso wurde die Mitgliedschaft korrupter Parteien in der SI kritisiert. Die SPD und viele andere Parteien wollten sich mit ihnen nicht mehr zeigen. Kulminiert ist das Ganze im „Arabischen Frühling“ durch die Mitgliedschaft von Diktatoren in der SI und die fehlende Bereitschaft, diese auszuschließen. Der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat deshalb gemeinsam mit anderen die Initiative zur Gründung der „Progressive Alliance“ ergriffen. Das Ziel war eine neue Struktur der internationalen Zusammenarbeit zu schaffen. Am Vorabend des 150. Geburtstags der SPD wurde dann die PA aus der Taufe gehoben. Es ging um eine glaubwürdige Alternative zur Sozialistischen Internationale.

Zur PA gehörten mittlerweile 120 Parteien auf allen Kontinenten. Wo liegt ihr politischer Schwerpunkt?

Als ich die Progressive Alliance 2020 als Koordinator übernommen habe, waren wir mit den Folgen der Covid-19-Pandemie konfrontiert. Das hat u.a. dazu geführt, dass wir Arbeitsformen überdenken mussten. Ich habe deshalb vorgeschlagen, programmatische Schwerpunkte zu setzen. 2020 haben wir zu einem erneuerten und inklusiven Multilateralismus gearbeitet. Hintergrund war das 75-jährige Gründungsjubiläum der UNO und der dort laufende Reformprozess. Während der Pandemie haben wir eine Kampagne zum Thema Impfgerechtigkeit gemacht und zum Zugang zu Impfstoffen. Die Hälfte unserer Mitgliedsparteien hat sich daran beteiligt. Danach haben wir uns der Demokratie und ihrer weltweiten Bedrohung zugewendet. Noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine haben wir uns entschlossen, zu den Themen Frieden und Sicherheit zu arbeiten. Das hat das letzte Jahr bestimmt. Dabei haben wir den Blick deutlich über die Frage von Krieg und Frieden hinaus geweitet. Mein Anspruch war dabei immer, die Themen erst kontinentweise zu diskutieren und dann die wesentlichen Punkte in einer globalen Konferenz zu erörtern. Das hat sich bewährt, auch wenn ich mir manchmal wünsche, dass unsere Mitgliedsparteien noch mehr aus dem Erarbeiteten machen.

Inwiefern?

Internationalistisch zu denken und international zu handeln, sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Aus meiner Sicht werden Entscheidungen noch immer viel zu sehr mit der nationalen Brille getroffen. Die SPD hat ja den Anspruch, Deutschland solle eine Führungsmacht sein. So geht es Parteien aus anderen Ländern auch. Das bedeutet aber, dass wir Internationalismus meist aus einer nationalen Perspektive heraus diskutieren. Ich denke aber, es wäre sinnvoll und notwendig, Internationalismus auch international zu denken. Der Anspruch der Progressive Alliance ist, eine Plattform nicht für Partikularinteressen zu sein, sondern für einen wirklich internationalen Ansatz.

Was muss sich ändern, damit die PA diesem Anspruch auch wirklich gerecht wird?

Die Strukturen haben wir, aber solange es niemanden gibt, der das Marketing übernimmt und mit der PA identifiziert wird, haben wir ein Problem in der Wahrnehmung. Manche Parteien nutzen die Strukturen mehr als andere, aber für die wenigsten ist die PA der eine klare Bezugspunkt. Uns fehlt schlicht das Alleinstellungsmerkmal. Wie es anders gehen kann, zeigt gerade die Sozialistische Internationale: Mit dem neuen Präsidenten Pedro Sanchez findet dort die Personalisierung einer Struktur statt. Für die Zukunft der PA ist es deshalb wichtig, aus den Mitgliedsparteien ein hochrangig besetztes Exekutivgremium zu wählen, das der PA Stimme, Gesicht und Gewicht gibt.

Mit Pedro Sanchez hat sich die SI nicht nur ein neues Gesicht gegeben. Er will auch umfangreiche Reformen einleiten. Stehen die Signale langfristig auf Vereinigung von PA und SI?

Beide Seiten gehen seit der Wahl von Pedro Sanchez aufeinander zu, haben aber unterschiedliche Strukturen und Herangehensweisen an viele Dinge. Eine Fusion steht im Moment nicht an. Der Reformprozess innerhalb der SI hat gerade erst begonnen und es gibt noch einige offene Fragen, die nicht geklärt sind. Hinzu kommt, dass es einige Parteien in der Progressive Alliance gibt, die niemals der SI beitreten werden, weil sie sich dem demokratischen Sozialismus nicht verbunden fühlen. Ich plädiere deshalb für eine Fortführung der PA, um ihr Profil weiter zu schärfen und dann aus einer Position der Stärke heraus auf die Sozialistische Internationale zugehen zu können, um zu überlegen, wie eine Zusammenarbeit künftig aussehen kann. Die Entscheidung, in die SI zurückzukehren, müssten ohnehin die Mitgliedsparteien selbst treffen.

Russlands Krieg in der Ukraine wird international höchst unterschiedlich bewertet. Das haben die Abstimmungen in der UN-Vollversammlung gezeigt. Wie wird er in der Progressive Alliance diskutiert?

Erstmal muss man festhalten, dass der Begriff der „Zeitenwende“, der ja in Deutschland sehr präsent ist, international kaum eine Rolle spielt. Auch Russland wird höchst unterschiedlich gesehen. Für viele politische Befreiungsbewegungen war das Land Lieferant von Waffen und Infrastruktur und hat dadurch hier ein ganz anderes Standing als etwa in Westeuropa. Hinzu kommt, dass Russland in vielen Ländern massiv militärisch präsent ist, etwa in Staaten Afrikas. Aufgrund ihrer historischen Erfahrungen sind viele Länder nicht davon überzeugt, dass sich Demokratie und Freiheit mit den USA erreichen lassen. Auch diese Perspektive muss man in die Bewertung der aktuellen Situation mit einbeziehen. Möglicherweise erleben wir eine Renaissance der Idee der blockfreien Staaten – vor allem wenn die USA auf einen Konflikt mit China zuzusteuern scheinen. Auch deshalb ist der Austausch auf Plattformen wie der Progressive Alliance so wichtig.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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