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Frankreich: So abhängig ist der neue Premier Barnier von Le Pens Rechten

Michel Barnier ist der neue Premierminister Frankreichs. Über eine Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt er jedoch nicht. Das macht ihn abhängig vom rechtsradikalen „Rassemblement National“ um Marine Le Pen. Und die stellt klare Forderungen.

von Kay Walter · 11. September 2024
Premier ohne Mehrheit: Michel Barnier ist von der Unterstützung durch Marine Le Pens rechtsextremes Rassemblement National abhängig.

Premier ohne Mehrheit: Michel Barnier ist von der Unterstützung durch Marine Le Pens rechtsextremes Rassemblement National abhängig.

So lange hatte es in Frankreich noch nie gedauert, einen Premierminister zu finden. Genau 51 Tage hat Macron nach der Parlamentswahl gebraucht, um gemäß der Verfassung der Fünften Republik seinen neuen Regierungs-Chef zu bestimmen. Der muss nicht nur die Regierungsgeschäfte im Sinne des Präsidenten führen, sondern vor allem auch die Chance bieten, parlamentarische Mehrheiten zu erreichen, um Gesetze, vor allem einen Haushalt verabschieden zu können. 

Macron handelt legal, aber nicht klug

Die Kandidatin der „Linken Volksfront“ Lucie Castets hatte Macron direkt zurückgewiesen. Sie werde ein von Marine Le Pens rechtsradikalem „Rassemblement National“ (RN) angekündigtes Misstrauensvotum nicht überstehen, begründete der Präsident seine Entscheidung. Eine ziemlich fadenscheinige Erklärung. Denn keine Parteienfamilie verfügt in der Nationalversammlung über eine ausreichende Mehrheit. Mit 193 Sitzen ist die Linke Volksfront allerdings die stärkste Gruppe, klar vor den vereinigten Parteien aus Macrons Lager mit 166 Abgeordneten und dem RN mit 126. 

Es war die Aufgabe Macrons in dieser komplizierten Konstellation – die er allerdings selbst durch die Ausrufung von Neuwahlen provoziert hat – eine Person zu finden, die über die Lagergrenzen hinweg Mehrheiten aushandeln könnte. Aus deutscher Sicht, hätte der Respekt vor dem Wählerwillen nahegelegt, zunächst eine*n Kandidat*in der Linken mit Sondierungen zu beauftragen. In Frankreich ist qua Verfassung der Präsident aufgerufen nach eigenem Gutdünken einen Premier zu bestimmen, der ihm geeignet scheint, eine Regierung zu führen. Macrons Handeln ist also völlig legal, nur nicht sonderlich klug.

Auf den jüngsten Premier folgt der älteste

Viele honorige Namen wurden öffentlich diskutiert: Newcomer wie der sozialistische Bürgermeister von Saint-Ouen-sur-Seine Karim Bouamrane und altgediente Politikgrößen wie Bernard Cazeneuve (Premier unter Francois Hollande) oder der einflussreiche Konservative Xavier Bertrand, um nur einige zu nennen.

Am Ende entschied sich Macron für den 73-jährigen Michel Barnier, einen sehr konservativen Republikaner aus Savoyen. Somit folgt auf den jüngsten Premier aller Zeiten, den 35-jährigen Gabriel Attal, nun der älteste. Barnier ist langgedient. Er war insgesamt viermal Minister, sowohl unter Francois Mitterand wie auch unter Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, zweimal EU-Kommissar und schließlich Chefunterhändler der EU für die Brexit-Verhandlungen. Erfahrung kann ihm sicher niemand absprechen.

Barnier fehlen mindestens 76 Stimmen in der Nationalversammlung

Allein, wie Barnier Mehrheiten erreichen können soll ist, ganz vorsichtig formuliert, mehr als zweifelhaft. „Seine“ Republikaner sind mit 47 Parlamentarier*innen nur die fünftgrößte Fraktion in der Nationalversammlung – und nicht einmal die steht geschlossen hinter Barnier. Zählt man alle Republicains und das gesamte Macron-Lager zusammen, verfügt der neue Premier über 213 Stimmen. Zur notwendigen Mehrheit von 289 fehlen ihm mithin mindestens weitere 76 Voten. 

Von der brüskierten Linken Volksfront wird er sie nicht bekommen. Das ist völlig klar. „Wie können Sie glauben, dass linke Männer und Frauen eine Regierung stützen oder sich gar an ihr beteiligen, wenn diese Regierung rechts sein wird, rechte Ziele verfolgt von der extremen Rechten unterstützt wird?", fragte Ex-Präsident Francois Hollande, jetzt sozialistischer Abgeordneter für Corrèze in einer Fernseh-Diskussion. Der Mann gewinnt gerade wieder an Statur und Einfluss. Andere führende Vertreter*innen der Linken folgen exakt dieser Linie.

Premier von Marine Le Pens Gnaden

Bleibt am Ende nur Marine Le Pens Rassemblement National. Und ganz offenbar schielen Macron und Barnier auf eine Tolerierung durch die Rechtsextremen. Denn siehe da, Marine Le Pen erklärte nahezu unmittelbar nach Bekanntgabe der Ernennung Barniers, sie werde erst einmal dessen Regierungserklärung abwarten, bevor sie sich äußere. Der neue Premier habe den Willen ihrer Klientel zu berücksichtigen und Barniers Forderung nach einem strikten Einwanderungsmoratorium „entspricht diesem Kriterium“. 

Das ist mehr als ein Fingerzeig. Bis Ende Oktober muss der Premier einen Haushalt mit drastischen Einsparungen vorlegen und durchs Parlament bringen, wenn er den Vorgaben der EU entsprechen soll. Und die hat Frankreich ob seines gigantischen Haushaltsdefizits bereits einen „Blauen Brief“ zugeschickt. Praktisch kann Barnier – wenn überhaupt - die Zustimmung des RN nur erreichen, wenn er den Rechtsradikalen in der Innen-, Sicherheits- und Migrationspolitik weit, weit entgegenkommt.

Das bedeutet konkret: Michel Barnier wird ein Premier von Marine Le Pens Gnaden. Ohne Stimmen aus ihrem Lager kann er nichts durchsetzen. Alle Beteuerungen überparteilich agieren zu wollen und auch Persönlichkeiten aus den Reihen der Linken ins Kabinett berufen zu wollen, sind Augenwischerei. Die Regierung Barnier schaut und zielt nach rechts.

Welche Ziele verfolgt Macron?

Zehntausende Menschen gingen daher am Wochenende in Frankreich auf die Straße, um gegen die Ernennung Barniers zu protestieren. Viele forderten zugleich den Rücktritts Macrons. Doch während die Organisator*innen etwa 300.000 Menschen in ganz Frankreich zählten, darunter rund 160.000 allein in Paris, sprach die Polizei für Paris von 26.000 Protestierenden. Die Zahl ist sicher deutlich zu gering angesetzt. Aber: Wirklich machtvolle Demonstrationen sehen anders aus.

Auf den ersten Blick scheint sich der alte Vorwurf des linksextremen Jean-Luc Mélenchon und seiner Anhängerschaft zu bewahrheiten, Macron sei schon immer „Knecht der Großkapitals“ gewesen, der nur die Interessen der Reichen und der Rechten verfolge.

Ein genauerer Blick zeigt, dass Macron mit Barniers Ernennung vor allem das selbstsüchtige Ziel verfolgt, seine eigene Präsidentschaft nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Barnier wird weder Macrons Rentenreform antasten, noch plant er Steuererhöhungen oder ein Umsteuern in der Wirtschaftspolitik. Davon kann man ausgehen. Er ist zudem ausgewiesen proeuropäisch, in Frankreich nicht eben selbstverständlich. Das, so macht es den Anschein, ist Macron wichtiger als der ultrarechte Populismus, von dem sich sein neuer Premier ansonsten oft steuern lässt.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 12.09.2024 - 09:50

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Der Neoliberalismus ist heilig und und um den zu versteidigen schließen sich eben die ach so smarten "Liberalen" auch mit Rechten zusammen.
Barnier mag ja Anhänger der übergriffigen und kapitalabhängigen EU sein, aber das macht ihn nicht zum Proeuropäer.