Heinrich Ströbel: Mahner für Frieden, Sozialismus und Völkerverständigung
Er trat dreimal in die SPD ein und zweimal wieder aus. Rosa Luxemburg holte ihn in die Redaktion des „Vorwärts“, deren Chefredakteur er wurde. Vor 155 Jahren wurde Heinrich Ströbel im hessischen Bad Nauheim geboren.
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Ein linkes journalistisches Schwergewicht: Heinrich Ströbel prägte die SPD und den „vorwärts“.
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts hängt der Haussegen in der Vorwärts-Redaktion gelegentlich schief. Nomineller Chefredakteur im Auftrag des Parteivorstands ist „der Alte“, Wilhelm Liebknecht. Der hat für die häufigen Phasen seiner Abwesenheit Stellvertreter engagiert, die jedoch nicht immer nach seiner Pfeife tanzen wollen, wie etwa Bruno Schönlank, der 1892 frustriert aufgibt, und Adolf Braun, der sich dem Alten zuwider als „Reformer“ entpuppt. Liebknecht möchte Braun am liebsten feuern, kann dies aber dem Parteivorstand und der „Presskommission“ gegenüber nicht durchsetzen. Der preussische Staat kommt zu Hilfe und weist den unliebsamen Österreicher Braun 1898 aus.
Auf Empfehlung von Rosa Luxemburg in die Vorwärts-Redaktion
Die faktische Leitung des „Vorwärts“ übernehmen hinfort Kurt Eisner und Georg Gradnauer, die als „Revisionisten“ jedoch auch nicht die Gnade des Alten finden. Der Parteivorstand teilt die Meinung des Alten und bringt als redaktionelles Gegengewicht die wortmächtige Rosa Luxemburg ins Spiel. Nach anfänglicher Begeisterung rät August Bebel ihr, das Angebot abzulehnen, weil er es für sehr notwendig hält, „wenn wir befähigte Leute haben, die unabhängig sind und jederzeit Kritik über können.“ Am 29. November 1899 schreibt Rosa Luxemburg einen Brief an Adolph Hoffmann, den Vorsitzenden der „Presskommission“, und empfiehlt den Genossen Ströbel, einen „Menschen mit Rückgrat, mit einer ausgeprägten politischen Physiognomie (ganz auf unserer Seite) und auch mit einer guten Feder.“
Heinrich Ströbel wird als politischer Redakteur angestellt und beginnt seine journalistische Reise, während der er sich zwischen alle Stühle der sozialistischen Bewegung setzen wird. Den Revisionisten ist er zu links und den Linken zu sozialpazifistisch. Ströbel ist ein Individualist ohne „Stallgeruch“. Geboren wird er am 7. Juni 1869 im hessischen Bad Nauheim in eine Kaufmannsfamilie. Nach dem Abschluss der Realschule beginnt er zunächst — ganz im elterlichen Sinne — eine kaufmännische Lehre, die er jedoch nach kurzer Zeit gelangweilt abbricht. Im Selbststudium erarbeitet sich Heinrich Ströbel fundierte Kenntnisse in Literaturgeschichte und Ökonomie. In der Endphase der Sozialistengesetzgebung schließt er sich 1889 der noch illegalen Sozialdemokratie an. Ströbels erste berufliche Station nach der Aufhebung der Sozialistengesetze ist die Redaktion des Kasseler „Volksblatts“.
Ein linkes journalistisches Schwergewicht
Die nordhessische Industriestadt wird für Heinrich Ströbel zum Ausgangspunkt für die politische und private Karriere. Er lernt den Partei-Granden Wilhelm Pfannkuch kennen, heiratet dessen Tochter und findet in seinem Schwiegervater den Mentor für die angestrebte Parteilaufbahn. 1893 übernimmt Heinrich Ströbel die Leitung der „Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung“ in Kiel und schreibt Leitartikel und Kritiken, die auch der Parteivorstand im fernen Berlin wohlwollend zur Kenntnis nimmt. Vor allem ein Verriss der Bernstein’schen Revisionismus-Thesen begründet Ströbels Ruf als linkes journalistisches Schwergewicht und öffnet ihm den Weg aus der Provinz auf den Vorwärts-Redakteurssessel in der Hauptstadt.
Die Aufstellung der Vorwärts-Redaktion ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig zukunftsträchtig. Karl Kautsky sieht in ihr eine „ethisch-ästhetische“ Mehrheitsfraktion um Kurt Eisner und eine „historisch-ökonomische“ Minderheitsfraktion um Heinrich Ströbel, deren Einfluss sich auch nicht bessert, nachdem 1905 mit Heinrich Cunow ein weiterer politischer Redakteur hinzustößt. Die gegenseitige Abneigung ist schließlich so groß, dass es zu Handgreiflichkeiten auf den Redaktionsfluren kommt. Im Oktober 1905 hat August Bebel die Nase voll von dem „gegenwärtig unhaltbaren Zustand“ und überzeugt Rosa Luxemburg, in die Redaktion einzutreten mit dem Versprechen, zwei kleinere Redakteure zu feuern.
Kündigung auf der Vorwärts-Titelseite
Daraufhin kündigt die gesamte revisionistische Fraktion und teilt dies am 22. Oktober 1905 auf der Titelseite des Vorwärts mit. Das jedoch beeindruckt Bebel nicht, und er lässt ebenfalls im Vorwärts verkünden, dass die Kündigung angenommen sei. Damit hat der Parteivorstand endlich die gewünschte linke Redaktionsmehrheit. Zur Befriedung trägt dies nur kurzzeitig bei, denn mit Heinrich Ströbel als Chefredakteur und Rosa Luxemburg als politischer Edelfeder stehen sich zwei „Alpha-Tiere“ gegenüber. Nach acht Wochen reicht es der streitbaren Genossin. „Die Redaktion besteht aus Ochsen, und überheblichen dazu“, schreibt sie und wirft vor allem dem ehemaligen Günstling Heinrich Ströbel „furchtbares Geschnatter“ vor. Erst als mit Rudolf Hilferding ein ausgewiesener Marxist in die Vorwärts-Redaktion eintritt, beruhigt sich die Lage.
Heinrich Ströbel geht aus dem Vorwärts-Streit unbeschadet hervor. Er hat genug politische Unterstützung und kann 1908 an der Seite von Karl Liebknecht als einer von acht sozialdemokratischen Abgeordneten in den Preussischen Landtag einziehen. Liebknecht und Ströbel werden Freunde und bleiben dies auch, als sich die politischen Wege trennen. 1914 allerdings ziehen sie noch an einem Strang in ihrem Eintreten gegen die Bewilligung der Kriegskredite durch die Mehrheit der SPD-Reichstagsfraktion.
Die Mehrheit der Vorwärts-Redaktion schreibt am 4. August einen geharnischten, aber disziplinierten Protestbrief an den Parteivorstand und erklärt: „Ausschließlich die Rücksicht auf die jetzige gefährliche Lage unserer Partei und die Erhaltung unserer Presse hindert uns, diese Bewilligung der Kriegskreditforderungen im ‚Vorwärts‘ einer öffentlichen Kritik zu unterziehen; doch können wir nicht darauf verzichten, den Parteivorstand und der Presskommission wissen zu lassen, dass wir die Haltung der Fraktion für inkonsequent und in ihren Folgen für parteischädigend halten.“
Rausschmiss beim „Vorwärts“, Eintritt in die USPD
Angesichts der aufkommenden „Burgfriedens-Politik“ der SPD-Mehrheit sind Konflikte mit dem Zentralorgan der Partei unausweichlich — und spätestens seit der Gründung der „Spartakus-Gruppe“ 1916 ist die Spaltung der Partei offenkundig. Heinrich Ströbel hegt durchaus Sympathien für die friedenspolitischen Ideen der „Spartakisten“, lehnt aber deren spalterisches Verhalten grundsätzlich ab; immerhin bleibt er in Opposition zur Mehrheitsmeinung. Im November 1916 handelt der Parteivorstand, feuert Heinrich Ströbel und setzt Friedrich Stampfer als Chefredakteur ein.
Anfang Januar 1917 trennt sich die Parteimehrheit nach einem Beschluss des SPD-Parteiausschusses von der Minderheit, deren prominenteste Mitglieder, Karl Liebknecht und Heinrich Ströbel, daraufhin die SPD-Fraktion im Preussischen Landtag verlassen. Ströbel schließt sich im April 1917 der neu gegründeten „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei“ (USPD) an. Nach der November-Revolution wird Ströbel am 11. November 1918 neben dem Sozialdemokraten Paul Hirsch zum preussischen Ministerpräsidenten ernannt. Die Zweckgemeinschaft endet schon am 3. Januar des folgenden Jahres mit dem Auszug der Unabhängigen aus der preussischen Regierung.
Als „Linker“ Rückkehr in die SPD
Nach wie vor ist Heinrich Ströbel vom Groll gegen die alte Partei geleitet, der er eine „Kriegsschuld“ zuweist. „Vier Jahre lang hatten die Mehrheitssozialisten alle Kriegskredite gebilligt, die Legende des Verteidigungskrieges verbreitet, jede deutsche Kriegsbarbarei beschönigt und nur da zielbewusste Rücksichtslosigkeit betätigt, wo es galt, den Burgfrieden gegen die Auflehnung unabhängiger Parlamentarier, Redakteure und streikender Arbeitermassen zu schützen. Noch in den letzten Tagen vor der Berliner Revolution, als sich bereits die gesamte Marine erhoben und ganz Nordwestdeutschland die Republik proklamiert hatte, warnte das Zentralorgan der Mehrheitler die Berliner Proletarier noch immer vor jeder Straßendemonstration.“
Aber auch in der USPD gerät Heinrich Ströbel schnell ins Abseits. Die unübersehbare „Bolschewisierung“ der Partei lehnt er ab und befindet: „Die Rätediktatur und die sofortige Vollsozialisierung waren in Deutschland völlig ausgeschlossen, und es war eine verhängnisvolle Verkennung der ökonomischen und politischen Möglichkeiten, dass die äußerste proletarische Linke sich einbildete, das russische Vorbild ohne weiteres in Deutschland nachahmen zu können.“ Nachdem bereits 1919 Eduard Bernstein und Karl Kautsky die USPD der bolschewistischen Tendenzen wegen verlassen hatten, folgt Heinrich Ströbel im Jahr darauf: nicht ganz freiwillig, denn die USPD feuert ihren nunmehr als rechts eingestuften Kritiker. Als „Linker“ kehrt er 1920 in die SPD zurück.
Kein ‚Taktiker‘ und kein ‚Paktierer‘
Publizistisch betätigt sich Heinrich Ströbel von März 1919 bis November 1920 als politischer Leitartikler der „Weltbühne“ und berichtet über den Kapp-Putsch und den Ruhrkampf vom März 1920. Weitsichtig notiert er nach beiden Ereignissen: „Der erste reaktionäre Putsch ist missglückt. Aber die Gefahr ist noch lange nicht vorüber. Bleibt das Proletariat samt den Angestellten und Beamten nicht einig, so kann über Nacht ein zweiter, vielleicht verhängnisvollerer Schlag folgen. Der Feind steht nicht links, sondern rechts!“ Kurt Tucholsky attestiert dem widerborstigen Sozialisten: „Heinrich Ströbel ist einer der wenigen Führer der SPD, die niemals umgekippt sind; einer, der immer nur die Wahrheit gesagt hat, kein ‚Taktiker‘ und kein ‚Paktierer‘“.
Heinrich Ströbels letzter Versuch, politischen Einfluss auszuüben, beginnt, als er 1924 ein Reichstagsmandat erringt. Mit seiner pazifistisch-sozialistischen Position bleibt er ein Außenseiter. Im März 1931 stimmt er gegen die sozialdemokratische „Tolerierungspolitik“ gegenüber der Brüning-Regierung und damit gegen die Billigung des Wehretats. Noch einmal tritt er aus der SPD aus und wird Mitglied der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAPD).
Gemeinsam mit den SPD-Renegaten Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld fungiert er kurzzeitig als gleichberechtigter Parteivorsitzender, aber schon im Dezember 1931 kapituliert der entschiedene Pazifist vor der marxistischen Mehrheit und kehrt in die SPD zurück. Seinen Lebensabend verbringt der Unbeugsame im Exil in Zürich, wo er ein Quartier im „Alkoholfreien Kurhaus Zürichberg“ besitzt. Dort stirbt der Mahner für Frieden, Sozialismus und Völkerverständigung am 1. September 1944.
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