Geschichte

Kapp-Lüttwitz-Putsch: Als ein Generalstreik die Demokratie rettete

Vor 100 Jahren begann der rechtsextreme Kapp-Lüttwitz-Putsch, der die Weimarer Republik beseitigen wollte. Er scheiterte am zivilen Widerstand eines Großteils der Bevölkerung. Den Niedergang der Demokratie konnte das allerdings nur kurz aufhalten.
von Klaus Wettig · 12. März 2020
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Vor 100 Jahren bewährte sich der zivile Widerstand gegen einen Putsch-Versuch, der die junge Weimarer Republik beseitigen wollte. Sicher ist nicht, was die Putschistenführer – der General Walther von Lüttwitz und der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp – als Regierungsform präzise anstrebten, auf jeden Fall wäre die demokratische Regierungsform mit ihren Freiheitsrechten auf längere Zeit durch eine Militärdiktatur ersetzt worden. Dass dieser Angriff auf die Republik scheiterte, verdankte sie dem entschlossenen Handeln der sozialdemokratischen Gewerkschaften – dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und der Angestelltengewerkschaft (AfA), deren Aufruf zum Generalstreik sich die meisten christlichen Gewerkschaften sowie die liberalen Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine bald anschlossen.

Auch in der Beamtenschaft der Reichs- und Landesbehörden blieb die Unterstützung für Kapp-Lüttwitz verhalten, viele kommunale Verwaltungen bekannten sich zur Weimarer Reichsverfassung. Überraschend verweigerte die Reichsbank die Unterstützung für Kapp-Lüttwitz. Obwohl in der Unternehmerschaft die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung mit Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Otto Bauer wenig Zustimmung fand, erklärte sich der „Reichsverband der Deutschen Industrie“ gegen die Putschisten. Die Kirchen schwiegen. Sie haderten nach wie vor mit der neuen Verfassung, die das Staatskirchensystem beendete. Ihre Einstellung zur Republik von Weimar war deshalb zwiespältig. Ein Aufruf an die Gläubigen zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Regierung unterblieb.

Noskes Rücktritt beendete den Generalstreik

Der am 13. März gestartete Putsch endete am 17. März mit der Flucht Kapps nach Schweden, nicht jedoch der Generalstreik, da die Gewerkschaften ihre Forderungen nicht erfüllt sahen. Erst am 22. März erklärten die streikleitenden Gewerkschaften das Streik-Ende. Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen über ein Reformprogramm zwischen den Gewerkschaften, Vertretern der Reichsregierung und bevollmächtigten Vertretern der Reichstagsparteien, die am 20. März zu einer Einigung auf neun Punkte geführt hatten. Der Streik erfuhr eine Fortsetzung, als bekannt wurde, dass Reichspräsident Ebert den für sein Versagen kritisierten Reichswehrminister Gustav Noske im Amt halten wollte. Erst Noskes Rücktritt am 22. März beendete den Generalstreik.

Das am 20. März vereinbarte Programm blieb weitgehend Papier. Weder gelangen die Entwaffnung und Bestrafung aller am Putsch Beteiligten, noch konnte die mit dem Putsch sympathisierende Beamtenschaft entlassen werden. Es gab auch keine Verwaltungsreform und die versprochene Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeiter, Angestellten und Beamten unterblieb ebenfalls. Auf die zugesagte Sozialisierung der „reifen“ Wirtschaftszweige wurde verzichtet. Die notwendige Umorganisation der Reichswehr fand nicht statt, die konterrevolutionären Verbände wurden zwar zurückgedrängt, aber als „schwarze Reichswehr“ lebten Teile im Untergrund weiter.

Das Kräfteverhältnis verschiebt sich

Der Generalstreik hatten den Kapp-Lüttwitz-Putsch besiegt, doch die Zahl der Todesopfer betrug einige Hundert und sie erhöhte sich durch die Fortsetzung in regionalen Kämpfen weiterhin. Hier ist der Ruhrkampf 1920 zu nennen, in dem die neue Reichswehr-Führung unter General v. Seeckt bedenkenlos Verbände einsetzte, die auf Seiten der Putschisten gekämpft hatten.

Das Urteil über die Folgen des Kapp-Putsches führt zu dem Ergebnis, dass die mühsam gegenüber der Obersten Heeresleitung (OHL) durch den Rat der Volksbeauftragten durchgesetzte Zivile Gewalt in Militärfragen, die die Weimarer Reichsverfassung gegen Vorbehalte der Militärs bestätigt hatte, sich nach dem Ende des Putsches zugunsten der Reichswehrführung verschoben hatte. Ein unerwünschtes, von der erfolgreichen Streikpartei nicht erwartetes Ergebnis. Ein Sieg der Demokratie auf der ganzen Linie, wie ihn Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) in der Nationalversammlung feststellte, war die Niederlage von Kapp-Lüttwitz nicht.

Kaum einer der Putschführer wurde bestraft

Die von den Gewerkschaften geforderte Arbeiterregierung kam nicht zustande und führende Sozialdemokraten weigerten sich, das von Gustav Noske aufgegebene Reichswehrministerium zu übernehmen, sodass es an den liberalen Politiker Otto Gessler fiel. Gesslers guter Wille reichte nicht aus, die versprochene Säuberung der Reichswehr durchzusetzen. Schon die Reichstagswahl am 6. Juni 1920 schuf mit einem Rechtsruck Fakten, die eine grundsätzliche Korrektur der Militärpolitik unterliefen.

Entlassen wurden 172 Offiziere, darunter zahlreiche Generäle. Obwohl die Putschbeteiligung nach der geltenden Rechtsordnung „militärischer Aufruhr“ und der Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung „Hochverrat“ war, erhielt kaum einer der Putschführer eine Freiheitsstrafe. Die Zurückhaltung von Offizieren bei der Verteidigung der Republik wurde ebenfalls nicht geahndet. Seeckt entließ jedoch Offiziere, die sich den Putschisten widersetzt hatten.

Noske übersah die republikfeindlichen Umtriebe

Einzig die sozialdemokratische preußische Regierung entließ Unterstützer des Putsches in der Beamtenschaft. Schon als Landwirtschaftsminister hatte Otto Braun (SPD) in Preußen begonnen, die Agrarverwaltung von monarchistisch-großagrarisch eingestellten Beamten zu säubern. Diese Politik setzte er als preußischer Ministerpräsident fort, was auch Sympathisanten des Kapp-Putsches traf.

Die politische Linke hätte sich nach dem Kapp-Putsch der Analyse ihrer Militärpolitik stellen müssen, was nach dem erzwungenen Rücktritt von Noske unterblieb. Es gab keine vertiefte Diskussion darüber, warum die Militärpolitik ausschließlich Noske überlassen wurde, der seit seinem Einzug in den Reichstag 1906 zum unumstrittenen Militärpolitiker wurde, dessen Freiraum zu unabgesprochenen Akzenten in der Militärpolitik der SPD führte. Die linke Kritik schrieb schon bald:

Noske schnallt den Säbel um,
Noske geht aufs Ganze,
Noske feuert bum, bum, bum,
Noske stürmt die Schanze,
Noske schneit hurra, hurra!
Noske hält die Wachen,
Noske schießt Viktoria,
Noske wird’s schon machen!

Kontrolliert wurde Noskes Politik offensichtlich nie. Eher ist das Gegenteil festzustellen, dass sein Einfluss von Jahr zu Jahr wuchs, sich im Weltkrieg nochmals steigerte. Der Aufsteiger Noske bewegte sich unter Generälen und fühlte sich dort akzeptiert, übersah die republikfeindlichen Umtriebe. Nur so lassen sich seine Fehler bei der Umorganisation der kaisertreuen Armee erklären. Anders ist sein Vertrauen in Kaiserliche Offiziere und die Benachteiligung republiktreuer Offiziere nicht zu verstehen. Trotz massiver Kritik aus der SPD blieb er bei seinem verhängnisvollen Kurs, der alle Putschwarnungen ignorierte und putschbereiten Offizieren weiterhin vertraute.

Die Distanz der SPD zum Militär blieb

Mit dem Rücktritt Noskes verschwand die Distanz der führenden SPD-Politiker zur Militärpolitik freilich nicht. Chancen zur Korrektur unterblieben in Oppositions- wie in Regierungsjahren. Ob dieses die Machtübernahme der Nazis ausgebremst hätte, bleibt eine offene Frage. Erstaunlich ist die Fortsetzung der militärpolitischen Distanz der SPD-Führung in der Bonner und der Berliner Republik, die nur von Helmut Schmidt und Peter Struck durchbrochen wurde, ohne dass damit die heute offenen Fragen einer sozialdemokratischen Militärpolitik beantwortet wären.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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