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Tim Klüssendorf: „Ziel muss sein, dass jeder versteht, was die SPD will“

In einer Woche beginnt der SPD-Parteitag in Berlin. Tim Klüssendorf will dann zum Generalsekretär gewählt werden. Im Interview sagt der 33-Jährige, wie er die SPD wieder erfolgreich machen will und warum er die Debatte über den Umgang mit Russland richtig findet.

von Kai Doering · 20. Juni 2025
Porträt von Tim Klüssendorf, designierter SPD-Generalseketär, in schwarzem Hemd und grauem Sakko

Designierter SPD-Generalskretär Tim Klüssendorf: Uns fehlt zurzeit die Klammer

Seit dem 12. Mai sind Sie designierter Generalsekretär der SPD. Wie war der erste Monat im Amt?

Im Moment bin ich in einer Zwischenphase: Ich habe die Arbeit des Generalsekretärs in großen Teilen schon übernommen und war in den ersten Wochen viel im Willy-Brandt-Haus unterwegs, um die Strukturen und die Menschen kennenzulernen. Auch nach außen konnte ich bereits ein paar Punkte setzen, die mir wichtig sind. Gleichzeitig gilt es, den Bundesparteitag, der nun unmittelbar vor uns liegt, an führender Stelle zu organisieren. Das ist eine Menge Arbeit, bringt aber auch viel Freude.

Wie unterscheidet sich das Leben als Generalsekretär von dem eines Bundestagsabgeordneten?

Ich bin ja jetzt beides. Der größte Unterschied ist sicher die Arbeitsintensität. Auch als Abgeordneter arbeitet man sehr viele Stunden in der Woche, aber als Generalsekretär, auch schon als designierter, ist man jeden Tag von sehr früh morgens bis sehr spät abends unterwegs, unter der Woche sowieso und meistens auch am Wochenende.

Tim
Klüssendorf

Ich finde es gut, dass wir es uns in der SPD in der Frage von Krieg und Frieden nicht leicht machen, sondern intensiv diskutieren.

Für großes Aufsehen innerhalb und außerhalb der SPD sorgt zurzeit ein „Manifest“, das einen anderen Umgang gegenüber Russland fordert und das namhafte Sozialdemokrat*innen unterzeichnet haben. Was halten Sie von dem Papier?

Grundsätzlich finde ich es erst mal wichtig, dass wir in der SPD solche Debatten sehr offen führen und da auch nicht vor großen Themen zurückschrecken, sondern unsere Entscheidungen immer wieder hinterfragen. Dennoch bleiben für mich drei Dinge klar: erstens, dass wir ganz klar an der Seite der Ukraine gegen den Aggressor Russland stehen; zweitens, dass wir an unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit arbeiten müssen und drittens, dass wir diplomatische Wege immer suchen werden und jederzeit zu Gesprächen bereit sind. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch gut daran, wie Olaf Scholz auch öffentlich dafür kritisiert worden ist, dass er immer noch mit Putin gesprochen hat, zuletzt im November vergangenen Jahres.

Ich verstehe auch die Forderung, dass Diplomatie in unserer Debatte mindestens einen genauso hohen Stellenwert haben sollte wie Themen der Aufrüstung und der Verteidigungsfähigkeit. Darin, dass die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des „Manifests“ diesen Debattenraum sehr konkret von der Parteispitze einfordern, sehe ich deshalb auch keine Kehrwende zur bisherigen Ausrichtung der SPD oder der von ihr geführten Bundesregierung. Wichtig ist mir dabei jedoch: Frieden wird nur dann möglich, wenn die Ukraine aus einer Position der Stärke heraus auf Augenhöhe mit Russland verhandeln kann – und dafür braucht es sowohl unsere militärische Unterstützung als auch ernsthafte Gesprächsbereitschaft auf russischer Seite.

Wird die Debatte über den Umgang mit Russland auch Thema auf dem bevorstehenden Parteitag sein?

Davon gehe ich aus, denn es gibt einen Diskussionsbedarf in dieser Sache. Das haben die letzten Tage deutlich gezeigt. Ich finde das auch legitim, weil vieles, was wir seit Beginn des Kriegs in der Ukraine beschlossen haben, wie etwa das Sondervermögen für die Bundeswehr und die Grundgesetzänderung für ein weiteres Sondervermögen, von grundlegender Bedeutung für unser Land und für unsere Gesellschaft ist. Deshalb finde ich es gut, dass wir es uns in der SPD in der Frage von Krieg und Frieden nicht leicht machen, sondern intensiv diskutieren. Das ist etwas, was die SPD aus meiner Sicht ausmacht. Am Ende bin ich mir sicher, dass der bisherige Kurs, die Ukraine zu unterstützen, unsere Verteidigungsfähigkeit herzustellen, den NATO-Verpflichtungen nachzukommen und gleichzeitig diplomatische Gesprächskanäle aufrecht zu halten nicht im Widerspruch zueinander steht und von der Mehrheit getragen wird.

Tim
Klüssendorf

Als Partei sollten wir deutlich klarer in unserer Ansprache werden und transparenterüber Zusammenhänge sprechen, statt uns in Floskeln zu verlieren.

Eigentlich soll es auf dem Parteitag um die Neuaufstellung der SPD nach der verlorenen Bundestagswahl gehen. Im Leitantrag ist von einem „tiefen Vertrauensverlust“ gegenüber der SPD die Rede. Woher kommt der?

Wenn es auf diese Frage eine einfache Antwort gäbe, stünde die SPD nicht da, wo sie steht. Der Vertrauensverlust hat nicht erst bei der jüngsten Bundestagswahl eingesetzt, sondern geht deutlich tiefer. Deshalb haben wir bereits in der Ampel-Koalition mit konkret für die Bevölkerung wirksamer Politik versucht, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich erinnere zum Beispiel an die Erhöhung des Mindestlohns oder an die Stabilisierung des Rentenniveaus, womit wir Wahlversprechen sichtbar eingelöst haben. Das hat aber ganz offensichtlich nicht gereicht, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Die Streitereien in der Ampelregierung haben uns im Gegenteil sehr viel Vertrauen gekostet. Das ist nicht allein die Schuld der SPD, aber wir haben diese Bundesregierung angeführt und der Streit wurde deshalb auch vor allem uns angelastet. Wir haben uns als Partei insgesamt zu sehr darauf verlassen, dass unsere Politik für einzelne Zielgruppen in der Summe auch in der breiten Gesellschaft Rückhalt findet. Dabei haben wir vielleicht ein bisschen den übergeordneten Gedanken vernachlässigt, worauf diese Einzelmaßnahmen eigentlich am Ende hinwirken sollen. Was ist unser Entwurf für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft der Zukunft in dieser sich so fundamental verändernden Welt? Uns fehlt zurzeit die Klammer, um all die einzelnen – sicher richtigen – Vorhaben unter einer Überschrift zusammenzubinden.

Im Antrag wird auch gefordert, die SPD müsse ihre Sprache ändern. Was stört Sie da?

Das ist tatsächlich etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. In den vergangenen Jahren hat sich die SPD in eine Richtung entwickelt, dass wir uns einer Sprache bedienen, die wir zwar selbst gut verstehen, die sich aber sehr stark entkoppelt hat von der öffentlichen Diskussion und von denen, die wir damit erreichen wollen. Als Partei sollten wir deutlich klarer in unserer Ansprache werden und transparenterüber Zusammenhänge sprechen, statt uns in Floskeln zu verlieren. Unser Ziel muss sein, dass jede und jeder versteht, was die SPD will. Letztlich hat es auch mit Wertschätzung zu tun, sich klar und deutlich auszudrücken.

Wie muss sich die Partei organisatorisch für die Zukunft aufstellen?

Dazu haben wir schon auf dem letzten ordentlichen Parteitag im Dezember 2023 weitreichende Beschlüsse gefasst. Vieles davon ist noch nicht oder nur in Teilen umgesetzt worden. Die Herausforderungen sind klar: Wir haben weniger Mitglieder, wir haben weniger Ressourcen. Wir müssen uns anders aufstellen bei unserer Kommunikation, insbesondere in den sozialen Medien. Wir müssen uns auch noch stärker mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinandersetzen, damit wir diese für unsere Arbeit nutzen können. Am Ende geht es immer darum, was den Mitgliedern nützt und was der Sozialdemokratie als Bewegung nützt, um unsere Politik umsetzen zu können. Wir sollten deshalb auch nicht den Fehler machen, Strukturen um ihrer selbst willen zu erhalten.

Tim
Klüssendorf

Wir müssen es als Partei aushalten, dass nicht jeder Vorschlag, den wir erarbeiten, gleich morgen ein Kabinettsbeschluss wird.

Für einiges Aufsehen hat bereits der Vorschlag gesorgt, dass die SPD bis 2027 ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten will. Was versprechen Sie sich davon?

Das „Hamburger Programm“ von 2007 wurde in einer Zeit geschrieben, die unter ganz anderen Einflüssen und Herausforderungen stand als unsere heutige. Deshalb lohnt es sich aus meiner Sicht, die Gedanken neu zu fassen. Wir müssen eine Antwort darauf finden, wie wir unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der heutigen Zeit verstehen, die für viele Menschen große Herausforderungen und Veränderungen mit sich bringt. Wir wollen deshalb innerhalb von zwei Jahren einen Vorschlag für ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten und dabei nicht nur unsere Mitglieder und Funktionäre einbinden, sondern auch Vorfeldorganisationen, Gewerkschaften, Vereine und Verbände – und auch Bürgerinnen und Bürger außerhalb unserer Partei. Das innerhalb von zwei Jahren auf die Beine zu stellen, wird eine große Herausforderung. Mehr Zeit können wir uns aus meiner Sicht allerdings nicht nehmen, weil sich die Dinge so rasant verändern. Ich hoffe, dass uns der Bundesparteitag das Mandat hierfür erteilt. Ich habe jedenfalls große Lust, diesen Prozess zu organisieren.

Kann all das gelingen, während die SPD auch in der Bundesregierung gefragt ist?

Diese Frage beschäftigt mich sehr, weil es natürlich sein kann, dass Dinge, die wir in der SPD miteinander diskutieren, dem aktuellen Regierungshandeln widersprechen. Wir müssen es als Partei aushalten, dass nicht jeder Vorschlag, den wir erarbeiten, gleich morgen ein Kabinettsbeschluss wird. Gleichzeitig muss auch klar sein, dass wir als Partei nicht das Denken über den Tag hinaus einstellen, nur weil wir in einer Koalition regieren, in der wir immer Kompromisse eingehen werden müssen. Ich bin mir sicher, dass wir diesen Spagat hinbekommen und den Menschen Unterschiede zwischen unseren Positionen als Partei und dem Handeln der Regierung auch vermitteln können werden.

2027 ist nicht nur Halbzeit für die neue Bundesregierung. 2027 findet auch der nächste ordentliche Bundesparteitag statt. Wie sollte sich die SPD dann verändert haben?

Ich hoffe, dass wir bis dahin eine gute, tiefgehende Diskussion innerhalb der Partei, aber auch darüber hinaus, geführt und ein gemeinsames Gesellschaftsbild erarbeitet haben, hinter dem wir uns versammeln und von dem wir viel ableiten können für unsere praktische Politik. Außerdem wünsche ich mir, dass die SPD 2027 eine Partei mit einer attraktiven Kommunikation ist, bei der die Menschen Lust haben, sich einzubringen und mitzumachen. Wenn wir das in den kommenden zwei Jahren schaffen, haben wir eine Menge erreicht.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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