Meinung

Wie Deutschland mit falschen Debatten seinen Wohlstand aufs Spiel setzt

Deutschlands Wirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Doch statt die existenziellen Probleme unseres Landes anzugehen, führt die politische Rechte eine völlig fehlgeleitete Debatte über Migration. Wird die nicht durchbrochen, droht ein industrieller Niedergang wie zuletzt 1945.

von Felix Wagner · 20. Februar 2025
Hochofen von Thyssen-Krupp in Duisburg: Wenn die Politik nicht richtig gegensteuert, droht in Deutschland eine Deindustrialisierung.

Hochofen von Thyssen-Krupp in Duisburg: Wenn die Politik nicht richtig gegensteuert, droht in Deutschland eine Deindustrialisierung.

Deutschland dürfe nie wieder industrielle Kraft haben, sondern solle als Agrarland in der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit verschwinden. Diese Idee ist nicht neu – 1945 war sie so populär wie verständlich: Nazi-Deutschland hat ganz Europa verwüstet, Deutsche haben sechs Millionen jüdische Menschen industriell vernichtet – und bis zu 80 Millionen Menschen sind als Ergebnis des deutschen Vernichtungskriegs getötet worden.

Für den amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau stand deshalb 1945 fest: Zu so etwas darf Deutschland nie wieder in der Lage sein. Mit seinem Morgenthau-Plan schlug er vor, die deutsche Industrie vollständig abzubauen. Deutsche Produktionsanlagen sollten Teil der Reparationszahlungen werden. Unser Schicksal: Agrarland und Armut für die künftigen Generationen.

Eine Erfolgsgeschichte – dank Hilfe aus den USA und von Großbritannien

Mit großem Glück können wir heute zurückblicken, dass dieses Szenario nicht Wirklichkeit geworden ist. Warum? Gerade bei den USA und Großbritannien setze sich ein gegenteiliger Kurs durch: Durch „Reeducation“, also Demokratiebildung, und ein massives amerikanisches Investitionsprogramm („Marshallplan“) bekamen unsere Urgroß- und Großeltern eine neue Perspektive.

Kurzum: Mit viel westlichem Geld und der Hilfe von Millionen sogenannten Gastarbeitern, deren Kinder und Enkel heute Deutsche sind, gelang das „Wirtschaftswunder“. Flankiert über die Europäische Einigung, mit der sich unsere Nachbarländer gegen ein neues deutsches Aufrüsten absichern wollten („Montanunion“). Gerade deshalb sind wir eines der erfolgreichsten Industrieländer der Welt geworden. Doch stehen wir heute vor dem großen Fall?

Eine irrationale Debatte

Aktuell ist Deutschland noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch das fühlt sich trügerisch an: Leitindustrien (Automobil, Stahl, Chemie) schwächeln und werden global herausgefordert. Bei den „langen Linien“ drohen wir immer weiter zurückzufallen (Künstliche Intelligenz, neue Antriebs- und Energietechniken, Fachkräftemangel, globale Konfrontation). Der Umgang damit wäre das Megathema für den aktuellen Wahlkampf. Aber statt zu diskutieren, wie wir unser Wohlstandsmodell erneuern, streitet das Land über Grenzschließungen und ein „Zustrombegrenzungsgesetz“.

Natürlich muss der demokratische Rechtsstaat gegen Gewalttäter mit voller Härte durchgreifen und braucht dafür Investitionen in seine Sicherheitsbehörden. Vollkommen irrational wird es aber, wenn alle Parteien rechts der Mitte „Migration zur Mutter aller Probleme“ (Horst Seehofer) erklären – während in Südwestfalen und anderswo ganze Industrieregionen im wirtschaftlichen Umbau unter die Räder geraten. Dass seiner Heimatregion das Industriesterben droht, scheint für einen „Wirtschaftsmann“ wie Merz kein Grund für eine schnelle Rettungsinitiative. Weder ist er für die Industrie mit einem Antrag „all in“ gegangen – noch hat er mit SPD und Grünen im Schnellverfahren für günstige Strompreise gesorgt, obwohl es die Bereitschaft dazu gab (z.B. durch eine Teilstreichung der Netzentgelte). 

Droht von rechts der Morgenthau-Plan durch die Hintertür?

Bei der Bundestagswahl haben die Menschen jetzt die Wahl, wem sie die Rettung der deutschen Industrie und die Erneuerung des deutschen Wohlstandsmodells zutrauen. Der entscheidendste Punkt dafür: Wie stark sind die Parteien bereit, für einen handlungsfähigen, investierenden Staat zu sorgen? Und das misst sich in einer massiven Erhöhung der öffentlichen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit (Infrastruktur, Bildung, Innovation, gut ausgestattete, schnelle Behörden). Selbst das marktgetriebene, arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft zeigt hier die rein positive Wirkung von 60 Milliarden Euro zusätzlichen Staatsinvestitionen auf.

Es rechnet sogar vor, dass sich diese Investitionen auszahlen würden. Weil sich sich die neuen Stromleitungen, Speicher, Schienen und Schulen so stark rechnen, dass die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung langfristig kaum steigt. Umso unverantwortlicher ist es, dass sich nicht einmal die demokratischen Kräfte rechts der Mitte hiervon beeindrucken lassen. In ihrem Handeln geben sich Union und FDP gerade einer vergifteten Migrationsdebatte hin, wie Merz‘ „All in“ im Bundestag verdeutlicht. Dies auch noch in dem Wissen, was aus dem Bevölkerungsrückgang unseres Landes folgt: Wir müssen mindestens 400.000 Immigrant*innen gewinnen, damit wir unseren Wohlstand verteidigen können – pro Jahr!

CDU und CDU versündigen sich an unserer Zukunft

Wir sind kein englischsprachiges Land – und Konservative und Neoliberale meinen, sich ein Klima erlauben zu können, dass an Deutschland Interessierte abschreckt. Vergiftete Debatten und ignorierte Grundlagen unseres Wohlstandes: Damit versündigen sich CDU/CSU gerade an unserer gemeinsamen Zukunft! Denn sicherlich wollen sie keinen Industrieabbau für Deutschland. Aber auch das Wahlprogramm der CDU/CSU kriegt nicht einmal ein klares Bekenntnis zur Erhöhung öffentlicher Zukunftsinvestitionen hin. Die Union nennt keine Zahlen und versteift sich auf die „heilende Wirkung“ von Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen. Was die Spaltung vertiefen wird und zukünftiges Wachstum eher bremst.

Durch solch ein unverantwortliches Handeln – in Theorie und Praxis – droht erstmals wieder ein Industrieabbau wie zuletzt 1945 mit dem Morgenthau-Plan. Selbstredend: Auch heute tragen Rechtsextreme, also die AFD, die Hauptschuld daran, dass dieses Land seinen Wohlstand riskiert. Denn die heutigen Herausforderungen für ein modernes Industrieland sind den Rechtsextremen zuwider. Mit der Forderung nach „Remigration“, die sich auf einen fiktiven „reinen Volkskörper“ bezieht – und zum Beispiel der absurden Idee „Windkraftanlagen niederzureißen“, statt alles daran zu setzen, dass wir diesen günstigsten aller existierenden Energieträger schnell und massenhaft hochgezogen bekommen.

Das Programm der SPD als Alternative

„Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“, schrieb der junge Karl Marx. Eine „Tragödie“ wäre der Morgenthau-Plan gewesen – und jetzt hat als „Farce“ wieder so ein Szenario an Bedeutung gewonnen – quasi als drohende rechtsextreme Selbstverwirklichung.

Zum Glück kennt der aktuelle Wahlkampf Alternativen. Das Wahlprogramm der SPD sieht 50 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen vor und ist solide durchgerechnet. Und die IG Metall macht mobil gegen den Industrieabbau Deutschlands: Mit ihrem Aufruf zu einem bundesweiten Aktionstag am 15. März, parallel zu den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen.

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl 2025 gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Autor*in
Felix Wagner
Felix Wagner

arbeitet als Gewerkschaftssekretär und ist Soziologe. Ehrenamtlich engagiert er sich in der SPD vor Ort. In Bielefeld bringt er sich in die Arbeits- und Ausbildungspolitik der Partei und Ratsfraktion ein.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 21.02.2025 - 13:39

Permalink

„Auch heute tragen Rechtsextreme, also die AFD, …“ - dieses „auch“ bezieht den Rest des Satzes auf den US Finanzminister Henry Morgenthau und seinen Plan, das Deutsche Reich nach Kriegsende dauerhaft so zu schwächen, dass es zu einem Krieg nicht mehr fähig sein würde. (US-Verteidigungsminister Lloyd Austin versprach 2022 mit Russland Gleiches anzustellen.) Den prominenten jüdischen US-Bürger deshalb als Rechtsextremen zu charakterisieren, ist vielleicht etwas überzogen. Und ob der Bogen vom Morgenthau-Plan über den Marshall-Plan zu neuen Perspektiven „unserer Urgroß- und Großeltern“ heute zielführend ist, will ich nicht beurteilen. Um aber eine Ausnahme der Schuldenbremse für Investitionen zu begründen, ist jedenfalls ein Rückgriff auf die Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts nicht notwendig (Gustav Horn im Vorwärts (26. November 2024 )).
Das Problem dieses Textes ist ein anders.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 21.02.2025 - 13:44

Permalink

Habeck überraschte in den letzten Tagen mit der unabweisbar sachgerechten Analyse, dass unsere aktuellen wirtschaftlichen Probleme struktureller Natur seien. Ein – er kennt drei - strukturelles Problem, so Habeck, ist der Wegfall des „billigen“ russischen Gases. (Er könnte auch noch Öl und Kohlen und andere Rohstoffe nennen.) Diese Aussage ist so richtig, wie der von Habeck genannte Grund für den Wegfall falsch ist. Der Tausch billiger Energie aus Russland gegen teure und besonders schmutzige (vor allem) aus den USA bewahrte uns zwar vor einem Winter ohne Gas, er zerstörte aber gleichzeitig unser volkswirtschaftliches, Wohlstand mehrendes Geschäftsmodell: günstig Energie und Rohstoffe einkaufen – hochwertige Produkte verkaufen.

„Heute tragen Rechtsextreme, also die AFD“, auch „ demokratischen Kräfte rechts der Mitte“ bekommen noch ihr Fett weg, „die Hauptschuld daran, dass dieses Land seinen Wohlstand riskiert“ - das ist etwas unterkomplex.

Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.