Inland

Industriestrompreis: Warum Unternehmen billigeren Strom brauchen

Politik und Wirtschaft fordern günstigeren Strom für Unternehmen. Ansonsten drohten Abwanderung und ein Scheitern der Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft. Gibt es Alternativen?
von Kai Doering · 26. Mai 2023
Unter Strom: Wirtschaft und Politik fordern einen Industriestrompreis für Unternehmen.
Unter Strom: Wirtschaft und Politik fordern einen Industriestrompreis für Unternehmen.

Der Stromverbrauch geht in Deutschland seit Jahren zurück. Nach einem Höhepunkt von 624 Terawattstunden (TWh) 2007 sank er im vergangenen Jahr mit 484 TWh auf den niedrigsten Wert seit 1996. Doch das wird nicht so bleiben, im Gegenteil. Anstelle fossiler Brenn- und Treibstoffe wie Gas und Öl soll Strom in den kommenden Jahren zum zentralen Energieträger für die Erzeugung von Wärme und für Mobilität werden.

Laut Umweltbundesamt verursacht die Industrie zurzeit rund 24 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland. Der Umstieg auf Strom aus regenerativen Quellen soll das ändern. Statt mit Kokskohle sollen Hochöfen zur Stahlgewinnung mit Strom betrieben werden. Auch die chemische Industrie stellt ihre Produktionsverfahren um. Noch ist die Produktion von Ammoniak eine der größten Quellen für CO2-Emissionen im Industrie-Sektor.

Strompreis als Bremse für die Wirtschaft

„Strom spielt in einer dekarbonisierten Energieversorgung eine zentrale Rolle“, ist Andreas Kemmler vom Wirtschaftsforschungsinstitut „prognos“ überzeugt. Der Strombedarf wird damit in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Für Unternehmen ist das ein Problem, denn Öl und Gas sind trotz der zuletzt gestiegenen Preise in Deutschland noch immer günstiger als Strom. Hinzu kommen hohe Investitionskosten für die Umrüstung von Anlagen und die Elektrifizierung der Produktionsprozesse.

„Der hohe Strompreis ist zur Transformationsbremse geworden, die wir uns weder ökonomisch, sozial noch ökologisch leisten können“, warnt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernd Westphal. Die AG Wirtschaft der Fraktion will deshalb einen staatlich subventionierten „Transformationsstrompreis“ einführen. Dieser soll eine „Brücke“ sein, „bis ausreichend günstiger Strom aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung steht“, schreiben die SPD-Abgeordneten in einem Papier.

Die Wettbewerbsfähigkeit sichern

Nach ihrer Vorstellung soll der Transformationsstrompreis einmalig für zwei Jahre auf 5 Cent pro Kilowattstunde festgesetzt werden. Während dieser Zeit soll der künftige Preis in Relation zu Preisen in Wettbewerbsregionen ermittelt und angepasst werden. Die geförderte Strommenge soll auf 70 Prozent des Verbrauchs begrenzt werden, kann aber um zusätzliche Strommehrbedarfe, die aufgrund der Transformationen anfallen, erweitert werden. Profitieren sollen Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von mehr als 30.000 Kilowattstunden. Als weitere Voraussetzung nennen die SPD-Abgeordneten in ihrem Papier, dass die Unternehmen tarifgebunden sind und einen Transformationsplan vorlegen.

„Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im internationalen Wettbewerb sichern“, sagt auch die Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger. In ihrem Bundesland ist die Stahlindustrie stark, ein Bereich mit sehr hohem Energiebedarf. „Bezahlbare, Erneuerbare Energie ist ein Schlüsselfaktor für die Industrie, deshalb brauchen wir einen befristeten, subventionierten Industriestrompreis. Das schafft Planungssicherheit und hält Industriearbeitsplätze bei uns im Land“, sagt Rehlinger.

Gibt es Alternativen?

Bei Ines Zenke rennen Rehlinger und Westphal offene Türen ein. „Wenn wir Wirtschaft und Wohlstand im Land behalten wollen, müssen wir für gute Rahmenbedingungen sorgen, unter denen die Wirtschaft sich zur Treibhausgasneutralität transformieren kann. Dazu gehört ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis, der branchenoffen ist, energieintensive Mittelständler ebenso entlastet wie große Industriekonzerne“, sagt die Präsidentin des parteiunabhängigen SPD-Wirtschaftsforums.

„Seit vergangenem Jahr haben Unternehmen in energieintensiven Sektoren ihre Produktion zum Teil massiv zurückgefahren. Andere haben ihre Produktionsstätten gleich ganz verlagert“, hat Zenke beobachtet. Wenn die Politik nicht schnell handle, drohten weitreichende Konsequenzen. „Mit den hohen Energiepreisen gerät Deutschland beim Standortwettbewerb ins Hintertreffen“, fürchtet Ines Zenke. Anfang Mai hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Eckpunkte für einen „Brückenstrompreis“ vorgelegt: Für 80 Prozent ihres Stromverbrauchs sollen Unternehmen zeitlich begrenzt nicht mehr als 6 Cent pro Kilowattstunde zahlen müssen.

Der Ökonom Gustav Horn ist jedoch skeptisch. Der Vorsitzende des wirtschaftspolitischen Beirats der SPD sieht zwar den Bedarf, Unternehmen die Transformation zu erleichtern, aber „eigentlich sind die Instrumente hierzu bereits am Platz. Sie heißen Gas- und Strompreisbremse.“ Aus Horns Sicht müssten sie nur über das Ende dieses Jahres hinaus verlängert werden. Nach aktuellem Stand sollen sie zum 31. Dezember auslaufen.

Der Text stammt aus dem aktuellen vorwärts-E-Paper, das Sie hier abonnieren können.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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