Meinung

CO2-frei: Wie Europas Industriepolitik fit für die Zukunft wird

Krieg, Klimakrise und Konflikt der Systeme stellen die deutsche und europäische Wirtschaft vor eine historische Herausforderung. All das macht eine industriepolitische Offensive Europas dringend notwendig. Die richtigen Grundlagen gibt es bereits.
von Valentin Wieser · 6. Juli 2023
Hochofen zur Stahlproduktion in Duisburg: Zur Verwirklichung der grünen Transformation brauchen wir eine wahrhaft europäische Industriepolitik
Hochofen zur Stahlproduktion in Duisburg: Zur Verwirklichung der grünen Transformation brauchen wir eine wahrhaft europäische Industriepolitik

Die Kommission Internationale Politik (KIP) der SPD fordert in ihrem Positionspapier zur Zeitenwende eine aktive Wirtschafts-, Handels- und Industriepolitik. Richtigerweise, denn sie dient dem Erhalt europäischer Wettbewerbsfähigkeit, dem Abbau kritischer Abhängigkeiten sowie der Verwirklichung der sozial-ökologischen Transformation. Sie ist eine wichtige Antwort auf den disruptiven Strukturwandel und letztlich essenziell für die Abmilderung der Folgen der Klimakrise für die Menschen weltweit.

Eine Deglobalisierungsentwicklung ist nicht erstrebenswert

An China kann niemand in Fragen der Produktion von Computerchips, Halbleitern sowie kritischen Energiewende-Technologien wie Batterien und Solarpaneelen vorbeikommen. China hat längst Industrie-Ökosysteme mit einer „cut-throat-Konkurrenz“ etabliert, deren Massenproduktion Europa wenig entgegenzusetzen hat. Zeitgleich sieht sich die EU mit Blick auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA einem „Subventionswettlauf“ im Kampf um die Ansiedlung von transformationskritischen Unternehmen ausgesetzt.

Für die Verwirklichung der strategischen Souveränität Europas müssen wir „ausfallträchtige“ Lieferketten von kritischen Rohstoffen angehen. Es ergibt Sinn, hierauf mit einer Ausweitung der heimischen Rohstoffförderung zu antworten, um den langfristigen Verbleib der Rohstoffe in einer echten EU-Kreislaufwirtschaft zu gewährleisten. Reshoring darf dabei aber nicht die einzige Säule der Strategie sein ­– eine Deglobalisierungsentwicklung ist nicht erstrebenswert.

Stattdessen muss sie, wie im KIP-Papier gefordert, zwangsläufig mit dem Auf- und Ausbau strategischer Partnerschaften mit ressourcenreichen Ländern einhergehen. Bei der Aushandlung solcher Handelspartnerschaften müssen Nachhaltigkeitsstandards im Zentrum stehen, wie es gerade im Kontext der Freihandelsabkommen der EU mit Australien und Neuseeland geschieht. Diversifizierung trägt ein Preisschild, wie die jüngsten Entwicklungen um das Intel-Werk in Magdeburg zeigen. Kosten, die wir uns aber leisten müssen!

Europa ist China nicht ausgeliefert

Der europäische Markt ist für eine Vielzahl an Akteur*innen ein verlässlicher und attraktiver Absatzmarkt. Hierin liegt eine große Stärke Europas. Der „Brussels-Effect“, also die handelsregulatorische Wirkmacht der EU, ist ein wesentlicher Hebel, um eine sozial verträgliche Entwicklung in ein postfossiles digitalisiertes Zeitalter vorantreiben. Die Welt blickt beispielsweise auf die EU, wenn es um die Umsetzung einer marktbasierten CO2-Bepreisung geht. Außerdem ist Europa den „halsabschneiderischen“ Wettbewerbsverhältnissen Chinas nicht gänzlich ausgeliefert: die zur Chipproduktion erforderlichen Maschinen werden noch immer größtenteils von europäischen Unternehmen bereitgestellt.

Zur Verwirklichung der grünen Transformation brauchen wir eine wahrhaft europäische Industriepolitik, die die nationalen Industrien innerhalb des Binnenmarktes der EU nicht aufgrund von unterschiedlichen Rahmenbedingungen gegeneinander ausspielt. Der EU Green Deal Industrial Plan ist hierfür eine aussichtsreiche Grundlage. Er vereinfacht unter anderem den rechtlichen Rahmen für die Herstellung von Netto-Null-Technologien und unterstützt gezielt strategische Technologien, die zur Dekarbonisierung beitragen (z.B. das HALRIC).

Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens müssen zeitnah schlagkräftige öffentliche Investitionen getätigt werden. Nicht nur als europäische Antwort auf den IRA der USA, sondern auch um allen wirtschaftlichen Akteur*innen zu verdeutlichen: Der beste Zeitpunkt zur Abkehr von Geschäften auf Grundlage fossiler Produktionsabläufe ist jetzt! Diese Erkenntnis muss sich auch im Umgang mit den hohen Exportgarantien gegenüber China in der Automobilbranche bemerkbar machen.

Transformation mit sozialdemokratischer Handschrift

Deutschland sollte seiner Verantwortung nachkommen und mit grünen Investitionen vorangehen, auch, um Zusagen in internationalen Abkommen gerecht zu werden. Die Sozialdemokratie muss sich dafür starkmachen, dass diese öffentlichen Investitionen nicht als Mega-Dividenden in den Taschen von Großkonzernen versanden, sondern stattdessen dem Ziel eines gesellschaftlich breit verteilten Wohlstands dienen. Sie kennzeichnet vor allem das Bewusstsein, dass die zügige Dekarbonisierung aller Wirtschaftssektoren, der massive Umbau von Infrastrukturen, kurzum die Bewerkstelligung der sozial-ökologischen Transformation mit den Menschen vollzogen werden muss.

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Autor*in
Valentin Wieser
Valentin Wieser

ist Student der Internationalen Beziehungen und engagiert sich u.a. bei FiscalFuture e.V.

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