Verfassungsrichterwahl als Test für Schwarz-Rot: Warum es heute klappen muss
Scheitert die Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht an diesem Donnerstag, droht Deutschland eine beispiellose politische Krise. Ob es so oder anders kommt, hat vor allem die Union in der Hand.
IMAGO/Panama Pictures
Das Plenum des Bundestages im Blick: Heute soll das Parlament über die Wahl von drei Richter*innen zum Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Am Donnerstag, 25. September, um 16.20 Uhr ist es so weit: Der Bundestag stimmt über die drei Kandidat*innen von SPD und Union für das Bundesverfassungsgericht ab. Von besonderer Brisanz dabei die Entscheidung über die SPD-Kandidatin Sigrid Emmenegger. Sie wurde nachnominiert, nachdem die Union im Juli den ersten Vorschlag der SPD, Frauke Brosius-Gersdorf, spektakulär scheitern ließ.
Es ist gut, dass sie der Richterwahlausschuss des Bundestages am Montag mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit nominiert hat. Doch so weit waren wir im Juli schon einmal. Auch da gab es für die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf eine klare Mehrheit im Richterwahlausschuss. Bis eine beispiellose Kampagne der AfD, von christlichen Fundamentalist*innen und Teilen der CDU/CSU die Kandidatin erst mit unwahren Behauptungen verleumdete – bis sie schließlich ihre Kandidatur zurückzog.
Kampagne von AfD, Religiösen und CDU/CSU
Die SPD wird es nicht vergessen und die anderen Demokrat*innen sollten das auch nicht: Es war die christliche Fundamentalistin Beatrix von Storch, Vizechefin der AfD-Bundestagsfraktion, die Brosius-Gersdorf – wider alle Fakten – vorwarf, Schwangerschaftsabbrüche „bis zwei Minuten vor der Geburt“ zu befürworten. Der SPD unterstellte sie, mit der Kandidatin eine „linksradikale Agenda“ zu vertreten. Der Erzbischof von Bamberg geißelte ihre Nominierung durch die SPD in einer Predigt als „Skandal“. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig warf der Kandidatin schließlich angebliche Plagiate vor und forderte sie auf, ihren Lehrstuhl ruhen zu lassen.
Unionsfraktionschef Jens Spahn zog die Notbremse und ließ die geplante Wahl von der Tagesordnung des Bundestages absetzen. Die SPD war düpiert, die Unionsspitze blamiert, Schwarz-Rot in der Krise. Ein zweites Mal darf sich das nicht wiederholen, da sind sich SPD und CDU/CSU einig. So verbreiten beide Fraktionen vor der Abstimmung am Donnerstag demonstrativ Zuversicht.
Geschlossenheit von SPD und Union reicht nicht
Doch die Geschlossenheit der Koalition allein wird für eine Wahl nicht reichen: SPD und Union verfügen im Bundestag nicht über die Zwei-Drittel-Mehrheit, die es für die Wahl der Verfassungsrichter*innen braucht. Sie sind auf Unterstützung anderer Demokrat*innen angewiesen und hoffen auf Stimmen der Grünen und der Linken.
Und genau hier wird die Zwickmühle deutlich, in die sich die Union selbst gebracht hat. Mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss hat sie nicht nur – richtigerweise – die Zusammenarbeit mit der gesichert rechtsextremen AfD ausgeschlossen. Auch mit der Linken, die auf dem Boden der Verfassung steht, will sie demnach nicht kooperieren. Letzteres widerspricht nicht nur der Tradition der Bundesrepublik, dass Demokrat*innen mit allen Demokrat*innen fähig zu Kompromiss und Kooperation sein müssen. Es widerspricht auch der politischen Praxis, etwa in Ostdeutschland, wo in manchen Ländern und Kommunen ohne die Unterstützung der Linken eine politische Blockade droht.
Keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag ohne Linke
Es bedroht auch abseits der Richterwahl die Handlungsfähigkeit der Bundespolitik. Denn SPD, Union und Grüne verfügen im Bundestag über keine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das war der Grund, warum die Ausnahmen von der Schuldenbremse durch die Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur noch vom alten Bundestag beschlossen wurden, ehe sich der neue konstituierte. Im aktuellen Bundestag gibt es eine demokratische Zwei-Drittel-Mehrheit nur mit den Linken.
Die Union weigert sich, mit der Linken überhaupt nur zu sprechen, um die erforderliche Mehrheit am Donnerstag im Bundestag zu sichern. Das macht auch die Richterwahl am Donnerstag zur Zitterpartie mit ungewissem Ausgang. Genauso wie die herablassenden Attacken von Friedrich Merz am gestrigen Mittwoch im Bundestag auf die Grünen, deren Zustimmung Union und SPD ebenfalls brauchen.
Vertrauen in Schwarz-Rot steht auf dem Spiel
Mit ihrem unsäglichen Agieren im Fall Brosius-Gersdorf haben CDU und CSU nicht nur der Koalition schwer geschadet, sondern auch dem Ansehen des Bundestages und des Bundesverfassungsgerichtes – und damit unserer Demokratie. Das Versagen der Union ließ die AfD triumphieren, die mit Unterstützung aus CDU und CSU die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf verhindert und zugleich den Bundestag vorgeführt hat.
Sollte die Wahl einer der drei Kandidat*innen für das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag erneut scheitern, wären die Folgen nicht auszudenken. Das Vertrauen in der Koalition zwischen SPD und Union wäre zerstört. Der Bundesrat könnte die Wahl der Verfassungsrichter*innen zwar übernehmen. Dort wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit sicher. Aber unweigerlich stände zur Frage, ob Schwarz-Rot überhaupt noch so weitermachen kann. Zerbricht auch diese Koalition, könnte es zu einer Minderheitsregierung der Union oder erneut zu Neuwahlen kommen.
Wahl im Bundestag: Versagen CDU und CSU erneut?
Eine Neuwahl würde Schwarz-Rot allen Umfragen zufolge die Mehrheit kosten. Eine demokratische Regierungsmehrheit käme dann nur zustande, wenn sie neben SPD und Union auch die Grünen einschließt. Für viele Rechte in der Union ein Albtraum. Umgekehrt dürfte ein deutlicher Stimmenzuwachs für die AfD den Druck innerhalb von CDU und CSU erhöhen, doch noch eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen zu versuchen. Das würde die Union in die Zerreißprobe führen und unsere Demokratie in eine beispiellose Krise.
Soll dies verhindert werden, muss die Wahl der Richter*innen zum Bundesverfassungsgericht am Donnerstag klappen. Vor allem CDU und CSU stehen hier in der Verantwortung und unter Beobachtung. Ein erneutes Versagen kann sich die Union nicht leisten – und unsere Demokratie auch nicht.