Nach der Wahlniederlage: Welche Botschaft die SPD jetzt braucht
Nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl muss sich die SPD fragen, wie sie die Menschen, die sie einst gewählt haben, wieder erreicht. Ein Vorschlag
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Der Lack ist ab: Um die Menschen wieder zu erreichen, braucht die SPD eine neue Botschaft.
Wie soll die SPD auch eine Wahl gewinnen, wenn Migration oder Sicherheit die beherrschenden Themen sind? Als führende Partei einer eben gescheiterten Regierung. Dann die Anschläge dazu, die auch dem Wohlmeinendsten als Serie erscheinen müssen und das Sicherheitsgefühl erschüttern. Und „mit den sozialen Themen sind wir auch nicht durchgedrungen“.
Selbst wenn es angesichts der relativen Unbeliebtheit aller Kanzlerkandidaten und der Kanzlerkandidatin eine Chance gegeben hätte, im Bundestagswahlkamp mehr Inhalte in den Fokus zu rücken, sie wurde jedenfalls nicht genutzt. Oder sie zog einfach nicht. Aber warum eigentlich? Für eine Antwort reicht kein oberflächlicher Blick auf eine Wahlkampagne. Die Gründe liegen weit tiefer.
Wie begeistert man Menschen für die Demokratie?
Seit langem erodiert der Glaube an die Problemlösungskompetenz der Parteien. Auf die Frage „Wem trauen Sie zu, die Probleme Deutschlands am besten in den Griff zu bekommen“ antwortet fast eine absolute Mehrheit stetig mit: niemandem. Der Vertrauensverlust ist verfestigt und er ist massiv. Ganz offensichtlich muss sich die Art Politik zu machen und zu vermitteln ziemlich radikal verändern. Wir hängen Menschen ab. Menschen hängen sich ab. Seit Jahren. Achtzig Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur stellt sich bei uns und weltweit wieder die Frage: Wie begeistert man Menschen für die Demokratie? Wie erreicht man die, die sich einfach dran gewöhnt, wie die, die sich abgewendet und wie die, die sich niemals zugewendet haben?
Die Menschen bekommen keine Antworten auf ihre Fragen. Selbst auf Fragen, die dauernd gestellt wurden. Sicher ist über Migration viel gesprochen worden. Aber ist irgendjemand schlauer nach all den Diskussionen? Die Diskutant*innen zielen darauf, einen Punkt zu gewinnen, statt etwas zu erklären. Und die Zuschauer*innen hören in ihrer Not lieber das heraus, was sie ohnehin schon denken und fühlen. Kurz bevor etwas klarer werden könnte, geht es zum nächsten Thema, so scheint es die Aufgabenstellung für die Moderation zu sein.
Ergebnis: Viele schalten schon gar nicht mehr ein – auch weil sie all das Negative nicht ertragen. Die Lösung dafür ist nicht einfach das Positive – nach dem Motto für jeden Attentäter ein gut integrierter Arzt – sondern konstruktiver, lösungsorientierter Journalismus, oder allgemeiner: Kommunikation, die den Menschen etwas zutraut und Wege aufzeigt. Nicht zuletzt solche, die sie selbst beschreiten können, um an den Lösungen mitzuwirken.
„Was ist aus unserem Land geworden?“
Vor Jahren, in meiner ersten Wahlperiode im Bundestag, habe ich eine Begegnung in meinem Wahlkreis beschrieben, als mir ein älterer Herr in einem der kleinen Dörfer, wo die Zufahrtsstraßen schon einspurig werden, entgegenkam und meinte: „Herr Castellucci, was wollen Sie eigentlich, uns geht es doch gut.“ Und dabei trotzdem irgendwie traurig wirkte. Heute würde er vielleicht sagen: „Herr Castellucci, was wollen Sie eigentlich, uns hier geht es doch gut, aber was ist aus unserem Land geworden?“
Diese Anekdote steht für Studienergebnisse, wonach die Menschen mit ihrem persönlichen Leben oder dem Zusammenhalt vor Ort doch relativ zufrieden sind, aber zunehmend voller Sorgen, was die allgemeine Entwicklung angeht. Für diese Sorgen gibt es eine Menge realer Gründe. Das verbreitete Grundgefühl unserer Zeit ist: Mit uns geht es eher bergab. Und die Menschen ahnen, dass es nicht einfach so weitergehen kann. Zugleich misstrauen sie der etablierten Politik, ob sie ihnen reinen Wein darüber einschenkt. Und befürchten, eines Tages die Kosten heutiger Versäumnisse tragen zu müssen.
Eine neue Zukunftserzählung für unser Land
Wie also geht es wieder aufwärts und wohin? Genau darüber müssten wir wieder ins Gespräch kommen. Aus den Beiträgen würde eine neue Zukunftserzählung für unser Land erwachsen. Und daran mitzuwirken, wäre die Einladung und Aufforderung, die ausgesprochen werden müsste.
Erinnern wir uns an die Geschichte der SPD: Die materiellen Verbesserungen für die breite Masse der Menschen sind ohne ihren Einsatz nicht denkbar. Doch sie bot mehr. Mehr als „Wir kommen da gemeinsam durch“, wie es der Bundeskanzler in seiner letzten Rede vor der Wahl im Bundestag sagte. Sie richtete die Menschen auf, bot Anerkennung und Zugehörigkeit: Wir sind der Staat. Wir mischen uns in unsere eigenen Angelegenheiten ein. Davon lassen wir uns von niemandem abhalten. Sozialdemokratie war immer eine Einladung, gemeinsam mit vielen anderen die Veränderungen herbeizuführen, die man sich wünscht für die Welt, das Land, das persönliche Umfeld. Wieso sind wir heute nur so fürchterlich patriarchal?
Ein Land, in dem wir gerne alt werden möchten
Wie wäre es denn so: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Ja, Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Wir haben uns das nicht ausgesucht, aber manches liegt auch an uns selbst. Doch in Wahrheit hat jede Zeit ihre eigenen Herausforderungen. Die Eltern oder Großeltern mussten noch in den Luftschutzbunker. Es ist vermessen, die Probleme von heute zu überhöhen, als hätten die Generationen vor uns weniger zu bewältigen gehabt. Die gute alte Zeit, wann soll sie denn gewesen sein? Können wir uns denn heute kein besseres Land vorstellen, vielleicht auch, weil wir in der Vergangenheit so viel erreicht haben?
Doch natürlich: Unseren Wohlstand erhalten, aber so, dass unser Wohlstand nicht auf Kosten des Planeten oder entfernter Weltregionen geht. An der Alterung unseres Landes nicht depressiv werden, sondern den Auftrag annehmen: Werden wir zu einem Land, in dem wir gerne alt werden möchten. Viele tun schon etwas dafür. Vor allem, lösen wir uns von der Angst, uns könnte etwas genommen werden, werden wir nicht neidisch und misstrauisch, sondern arbeiten wir für ein Land, das allen genug bietet. In dem wir solidarisch sind und uns unterhaken. Jede Flut, jedes Unwetter, jeder Einsatz der freiwilligen Feuerwehr im Dorf beweisen, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie gefordert sind und gemeinsame Ziele haben. Halten wir zusammen. Packen wir an, was vor uns liegt. Gemeinsam können wir viel erreichen.“
Nicht nur über die kleinen Schritte sprechen
Das ist die Botschaft, die ich mir von meiner SPD erhoffe. Eine Partei, die nicht nur für die Menschen kämpft, sondern mit ihnen. Und die neue Zeit nicht nur in alten Liedern besingt, sondern wieder dafür sorgt, dass es den berühmten Hoffnungsüberschuss auf ein besseres Morgen gibt, ohne den die politische Linke nicht siegen kann. Es ist klar, dass es dieses bessere Morgen nicht mit der Kettensäge, sondern nur mit einer Vielzahl kleiner Schritte gibt, die zusammen den Fortschritt ergeben. Aber wir müssen aufhören, mit den Menschen nur über die kleinen Schritte zu sprechen, sondern wieder darüber, wohin sie uns führen sollen. Wer sich auf das Ziel der Reise freut, macht sich gerne auf den Weg. Auch in die neue Zeit. Und auch mit uns.
Prof. Dr. Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.