Constanze Klaue und Lukas Rietzschel über einen Film mit Ost-Perspektive
2018 veröffentliche Lukas Rietzschel seinen Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Constanze Klaue brachte die Geschichte als Film in die Kinos. Im Interview erzählen die beiden, warum sie sich nicht als Erklärer Ostdeutschlands sehen.
Dirk Bleicker
Verstanden sich auf Anhieb gut: Regisseurin Constanze Klaue und Autor Lukas Rietzschel
Die sächsische Oberlausitz Mitte der 2000er Jahre. Hier wachsen die Brüder Philipp und Tobias Zschornack auf. Sie ziehen mit ihren Eltern aus dem Plattenbau in das selbstgebaute Haus, erleben den Tod des Großvaters und die Trennung der Eltern und rutschen schließlich mehr und mehr ins rechte Milieu ab. Schriftsteller Lukas Rietzschel hat die Geschichte der Brüder 2018 im Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ aufgeschrieben. Nun hat die Regisseurin Constanze Klaue diesen verfilmt. Auf der „Berlinale“ feierte ihr Debutspielfilm unter dem gleichnamigen Titel Premiere. Seit dem 4. April läuft er bundesweit in den Kinos.
2018 hat Lukas Rietzschel seinen Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ veröffentlicht. 2020 haben Sie, Frau Klaue, mit der Verfilmung begonnen. Nun ist Ihr Film in den Kinos. Was hat Sie an dem Stoff gereizt?
Constanze Klaue: Ich habe mich damals stark mit der Nachwendezeit auseinandergesetzt und wie eine Besessene fast jedes Buch zu dem Thema gelesen. Irgendwann hatte ich dann auch das von Lukas in der Hand, das ich regelrecht verschlungen habe. Dass ich einen Film über die Wendezeit und ihre Folgen machen will, stand da schon fest – und im Gegensatz zu meinem Kurzfilm „Lychen 92“ war mir klar, dass diesmal 30 Minuten nicht reichen, um dem Thema gerecht zu werden. An Lukas‘ Buch gefällt mir, wie er das Große im Kleinen einer Familiengeschichte erzählt. Vor allem die Perspektive der Kinder fand ich wahnsinnig spannend. Schon die Baustelle am Anfang mit dem Kiesberg hat bei mir auch viele persönliche Kindheitserinnerungen geweckt. Ich habe meinen Bruder und mich da wiedergefunden.
Wie war das für Sie, Herr Rietzschel, als Constanze Klaue Sie kontaktiert und gefragt hat, ob sie Ihren Roman verfilmen darf?
Lukas Rietzschel: Zuerst war ich unsicher. Normalerweise kommt eine Produktionsfirma auf einen zu und sichert sich die Optionsrechte, also die Möglichkeit, aus der Vorlage einen Film machen zu dürfen. Erst danach fängt sie dann an, das notwendige Geld zu sammeln und ein Team zusammenzustellen. Das dauert in Deutschland oft unglaublich lange, manchmal so lange, dass es gar nicht zu einem Film kommt. Conny ist ganz anders an die Sache rangegangen. Sie hat die Rechte selbst gekauft, nachdem wir uns bei einem langen Spaziergang im Corona-Frühjahr 2020 über Filme, Bücher und vieles andere unterhalten hatten. Danach hatte ich ein sehr gutes Gefühl, und es gab auch keine bösen Überraschungen, als schließlich eine Produktionsfirma mit an Bord war.
Klaue: Für mich hatte das Thema eine große Dringlichkeit. Deshalb wollte ich mich nicht auf eine Produktionsfirma verlassen, mit der der Prozess vielleicht sehr lange dauert oder der Film am Ende gar nicht zustande komme. Deshalb habe ich mich für diesen Weg entschieden. Ich hatte aber auch großes Glück, dass sich noch niemand die Filmrechte an „Mit der Faust in die Welt schlagen“ gesichert hatte. Nachdem ich dann Lukas‘ Zustimmung hatte, hatte ich nie einen Zweifel, dass dieser Film zustande kommt. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er sich darauf eingelassen und mir alle Freiheiten gegeben hat.
Rietzschel: Mit deiner Verfilmung hast du die Region, die ich im Buch beschreibe, aber auch wahnsinnig gut getroffen. Auch die Schauspieler, besonders die Kinder, finde ich grandios. Und dass du die Szenen im und um das Haus der Familie in deinem eigenen Elternhaus gedreht hast, ist auch etwas Besonderes. Damit verbindest du deine und meine Geschichten miteinander.
Klaue: Mir war von Anfang an wichtig, dass der gesamte Cast, auch die Kinder, ostsozialisiert ist. Jede und jeder, von den Schauspielern bis zur Regie, bringt seine eigene Geschichte mit und hatte ein Bedürfnis, sie zu erzählen. Auch das macht „Mit der Faust in die Welt schlagen“ aus.
Lukas Rietzschel
Die Politik muss endlich ihren Job machen.
Die Ost-Perspektive ist im Film sehr präsent. Haben Sie Sorge, dass „Mit der Faust in die Welt schlagen“ in Westdeutschland nicht verstanden werden könnte?
Klaue: Nein. Meine Erfahrung ist, dass der Film überall sehr gut verstanden wird. Mir war beim Dreh nur wichtig, dass er eine geschlossene Welt ist, denn dadurch erhält er seine Authentizität. Genauso wichtig ist mir aber, dass „Mit der Faust in die Welt schlagen“ auch eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt, obwohl er klar in der Oberlausitz in Sachsen verortet ist. Ich habe schon einige Reaktionen von Zuschauern aus dem Westen bekommen, die gesagt haben: Das ist auch meine Geschichte.
Rietzschel: Camille Moltzen, der in Connys Film den jüngeren Bruder Tobias spielt, stand ja auch schon in „Ein Mann seiner Klasse“ von Christian Baron vor der Kamera. Und der Film spielt in Kaiserslautern. Ich finde, das zeigt ja schon, dass es überhaupt nicht entscheidend ist, wo der Film spielt, sondern allein, was ich als Zuschauer gezeigt bekomme. Die sozialen Probleme und die Emotionen sind dieselben, ob in Ost oder West.
Wie symptomatisch steht die Kindheit von Tobias und Philipp für eine Kindheit in Ostdeutschland Anfang der 90er Jahre?
Rietzschel: Ich habe „Mit der Faust in die Welt schlagen“ geschrieben, um erst mal meine eigene Geschichte zu erzählen. Insofern ist es zwar kein rein autobiografisches Buch, aber es steckt schon sehr viel eigenes Erleben darin. Erst als mir nach dem Erscheinen immer mehr Menschen gesagt haben: „Das ist auch meine Geschichte. Genau so bin ich auch aufgewachsen“, ist mir bewusst geworden, dass das alles sehr viel größer und auch typischer ist, als ich dachte.
Klaue: Genau diese Erfahrung habe ich mit meinem Essay „Unsere Heimat“, den ich 2015 geschrieben habe, auch gemacht. Auch ich dachte damals, die Probleme, die ich beschreibe, wären individuell, bis ich gemerkt habe, dass es ganz vielen sehr ähnlich ergangen ist. Insofern stehen die Erfahrungen, die Lukas in „Mit der Faust in die Welt schlagen“ verarbeitet hat, für etwas Größeres, für eine Generation.
Constanze Klaue
Für mich hatte das Thema eine große Dringlichkeit
Nach dem starken Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland im vergangenen Jahr und bei der Bundestagswahl im Februar gilt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ vielen als „Film der Stunde“. War das geplant?
Klaue: Mit Bezeichnungen wie „Film der Stunde“ habe ich aber meine Probleme. Die Entwicklung in Ostdeutschland, wie Lukas sie in seinem Roman und jetzt ich in meinem Film beschreibe, ist ja nichts Neues. Das alles findet seit vielen Jahren statt und äußert sich auch auf drastische Weise, nicht nur bei Wahlen.
Rietzschel: Das sehe ich genauso. Als 2018 mein Roman erschien, wurde er auch als „Buch der Stunde“ bezeichnet. Insofern dauert diese Stunde schon sehr, sehr lange.
Gäbe es Tobias und Philipp wirklich, wären Sie heute erwachsen. Inwieweit kann „Mit der Faust in die Welt schlagen“ die Situation und die Menschen in Ostdeutschland heute erklären?
Rietzschel: Ich halte es für ein ganz schlimmes Missverständnis, dass die Darstellung einzelner Geschichten zur Erklärung einer ganzen Gesellschaft taugt. Das ist aus meiner Sicht auch nicht die Aufgabe von Kunst. Wir sprechen inzwischen seit zehn Jahren darüber, warum die Menschen in Ostdeutschland die AfD wählen. Das hat überhaupt nichts gebracht, im Gegenteil. Die Zustimmung ist in dieser Zeit noch deutlich gewachsen, auch in Westdeutschland. Wenn wir glauben, die Umbruchserfahrungen in Ostdeutschland wären der Schlüssel, um rechtes Wahlverhalten zu verstehen, sind wir auf dem Holzweg. Ansonsten gäbe es ja keine Marine Le Pen in Frankreich, keine Giorgia Meloni in Italien und keinen Donald Trump in den USA. Ich plädiere deshalb sehr dafür, endlich davon wegzukommen, ostdeutsche Kunst soziologisch-psychologisch zu lesen und zu glauben, wir könnten daraus politisch etwas ableiten. Wer das tut, wird der Kunst nicht gerecht. Uns mangelt es nicht an einer Analysekompetenz, sondern an Handlungskompetenz. Die Politik muss endlich ihren Job machen – nicht mehr und nicht weniger.
Klaue: Kunst ist nicht dazu da, die Welt zu verändern. Sobald ein Buch oder ein Film einen didaktischen Ansatz hat, haben sie für mich keinen künstlerischen Wert mehr. Ich stimme Lukas vollkommen zu, dass die Analyse, warum die Dinge so sind, wie sie sind, offen daliegt. Nun müssen aber auch die Politiker handeln. Leider stürzen sich die meisten aber eher auf die Symptome, statt sich mit den Ursachen und damit auch mit den eigenen Versäumnissen zu beschäftigen. Solange es keinen Willen gibt, sich mit den wirklichen Problemen auseinanderzusetzen, wird sich aber nichts ändern. Und das gilt nicht nur für Ostdeutschland.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.