Kultur

Kinofilm „Zikaden“: Zwei Frauen träumen vom Neuanfang

Die Sehnsucht nach einem anderen, gar besseren Leben ist nicht unbedingt eine Frage der sozialen Schicht. Das zeigt das Kinodrama „Zikaden“ anhand der Annäherung von zwei Frauen aus scheinbar konträren Milieus. Herausragend: die Hauptdarstellerinnen Nina Hoss und Saskia Rosendahl.

von Nils Michaelis · 20. Juni 2025
Film "Zikaden". Szene mit Nina Hoss und Saskia Rosendahl

Zwei Frauen und zwei Lebenswelten: Isabell (Nina Hoss) und Anja (Saskia Rosendahl, von links).

Für gewöhnlich verbinden Brücken die Ufer eines Gewässers miteinander. Manchmal gelingt das auch mit zwei Menschen. So wie bei Isabell und Anja. An einem drückend heißen Sommertag begegnen sich die beiden Frauen auf einer Brücke am Rande eines Dorfes im Brandenburgischen. Blicke treffen aufeinander, sie wechseln ein paar Worte und rauchen gemeinsam eine Zigarette. Anjas eindringliche, fast schon gierige Mimik in Richtung der anderen sagt unmissverständlich: Hier bahnt sich eine besondere Beziehung an. Doch welcher Art wird diese sein? Ehe sich der Gedanke vertiefen lässt, folgt ein unvermittelter Bruch. „Danke“, sagt Isabell nach ein paar Zügen. Und zieht von dannen. 

Am Ende der Szene bleibt alles offen

Diese Szene sagt viel über das Grundwesen von „Zikaden“ aus. Es ist eine von vielen Szenen, insbesondere mit Isabell und Anja, die mehr durch eindringliche Bilder als ausufernde Dialoge eine intensive Atmosphäre entstehen lässt, aber abrupt endet und deutlich macht: Die Emotionen mögen noch so stark sein, am Ende der Einstellung bleibt alles offen. Und nach dem Schnitt ist womöglich alles anders. Anstelle eines stringenten Handlungsfadens werden wir mit fragmentarischen Häppchen konfrontiert, die den Anspruch der Regisseurin und Drehbuchautorin Ina Weisse erkennen lassen, einem lebensnahen Realismus möglichst viel Raum zu geben, ohne dabei die erzählerische Tiefe zu vernachlässigen.

„Zikaden“ erzählt von zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch viel gemeinsam haben: Sie suchen nach Halt, müssen sich behaupten und hängen ihren Sehnsüchten nach. Isabell (Nina Hoss) ist Ende 40 und Immobilienmaklerin in Berlin. Materiell bestens begütert, zehren dennoch viele Sorgen an der gescheiterten Architektin: Für ihren pflegebedürftigen Vater sucht sie händeringend nach Hilfe. Und auch ihre hochbetagte Mutter braucht Unterstützung. Obendrein liegt ihre ungewollt kinderlose Ehe mit dem französischen Architekten Philipp in Trümmern. Regelmäßig pendelt sie zwischen dem Landhaus der Eltern und der Hauptstadt, um alles zu regeln.

Anja (Saskia Rosendahl), Anfang 30,  scheint all dies zunächst als Luxusprobleme zu betrachten. Die alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter hangelt sich von einem schlechtbezahlten Job zum nächsten. Beide wohnen bei einem älteren Ehepaar in dem Dorf, wo Isabells Vater einst das modernistische Wochenendhaus für die Familie hat bauen lassen. Anjas Lage könnte prekärer kaum sein, doch immer wieder nimmt die wortkarge Frau ihren Mut zusammen und bietet ihren ausbeuterischen Macho-Chefs Paroli.

Eine Reihe von existenziellen Fragen

Reichlich Chuzpe ist auch im Spiel, als sie sich Isabell annähert und immer mehr Teil ihres Lebens wird. Was treibt diese derb auftretende Frau an? Und warum öffnet sich Isabell für diese unverhoffte Art der Annäherung? Sucht die eine bei der anderen genau das, was sie nie gehabt hat? Bevor sich der Schleier nur ansatzweise lüftet, kommt auch schon wieder die nächste Szene, in der es mit Isabells Vater, einem patriarchalischen Architekten, weiter abwärts geht oder neuer Stress mit Ehemann Philipp droht. Doch die besondere Verbindung zwischen Anja und Isabell wird bleiben. 

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Ina Weisse, auch bekannt als Schauspielerin insbesondere in Fernsehproduktionen, wird gerne als „Philosophin“ unter den deutschen Filmemacher*innen bezeichnet. Nicht allein wegen ihres Studiums, sondern vor allem, weil sie sich bereits in ihren ersten beiden Kinofilmen „Der Architekt“ und „Das Vorspiel“ ebenso präzise wie intensiv mit menschlichen Grundfragen und Charakterstudien beschäftigt hat. 

Weisses Drittwerk knüpft daran an. „Zikaden“ tangiert eine Reihe von existenziellen Fragen. Etwa: Wie gehen wir damit um, wenn sich das Leben dem Ende zuneigt? Welche Rolle spielen die Erwartungen nahestehender Menschen bei der Suche nach einem eigenen Weg durchs Leben? Vor allem aber: Ist unser Dasein derartig in Stein gemeißelt, wie wir glauben, oder könnte es eine Exit-Strategie geben? 

Eine besondere Energie zwischen zwei Frauen

Was Isabell und Anja gemeinsam oder für sich erleben, liefert zumindest die Andeutung einer Antwort auf diese Fragestellungen. Die besondere Energie zwischen den beiden Frauen, zudem verkörpert von zwei der profiliertesten Charakterdarsteller*innen Deutschlands, verleiht dem Film eine subtile Dynamik, selbst wenn der Erzählfluss in seinem gemächlichen Tempo verharrt. Dass Anja stehts etwas Doppelbödiges und Mysteriöses umgibt, macht das Ganze umso interessanter.

Die fragmentarische Struktur vieler Szenen ermöglicht es dem Publikum, sowohl einzelne Etappen als auch die gesamte Erzählung unterschiedlich zu interpretieren. Man könnte es auch mit den Worten von Isabell sagen, als sie in der Rolle der Maklerin das elterliche Wochenendhaus einem Ehepaar zum Kauf anbietet: „Man kann den Raum auf verschiedene Arten nutzen. Der Architekt wollte nur einen Rahmen geben, man muss selbst sehen, was man damit macht.“

„Zikaden“ (Deutschland/Frankreich 2025), ein Film von Ina Weisse, Kamera: Judith Kaufmann, mit Nina Hoss, Saskia Rosendahl, Vincent Macaigne, Thorsten Merten u.a.,100 Minuten.

Im Kino. Weitere Infos unter https://dcmstories.com

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