Film „An Hour From The Middle Of Nowhere“: US-Anwalt gegen Abschiebungen
Massenabschiebungen stehen auf der Agenda von US-Präsident Donald Trump ganz weit oben. Der Dokumentarfilm „An Hour From The Middle Of Nowhere“ stellt einen Anwalt vor, der sich seit Jahren für inhaftierte Zugewanderte einsetzt.
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Der Anwalt Marty Rosenbluth vor einem Abschiebegefängnis im US-Bundesstaat Georgia.
Dem Mann in der roten Häftlingskluft steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Als sogenannter illegaler Einwanderer schmort der Haitianer in einem Abschiebegefängnis im Süden der USA. Und niemand weiß, wie lange er dort noch festgehalten wird. „Mein Leben ist ruiniert“, sagt er bei einem Videocall mit dem Mann, der seine letzte Hoffnung ist: Marty Rosenbluth. Der Jurist und Menschenrechtsaktivist zählt zu den bekanntesten US-Anwält*innen, die sich für inhaftierte Immigrant*innen einsetzen und sich darum bemühen, sie zurück in die Freiheit zu holen.
Trumps radikaler Kurs gegenüber Zugewanderten
Rosenbluth ist der Protagonist des Dokumentarfilms „An Hour From The Middle Of Nowhere“ (deutsch: „Eine Stunde vom Nirgendwo entfernt“). Der Film entstand vor dem Wahlsieg von US-Präsident Donald Trump im November 2024. Dennoch schärft er das Bewusstsein für die Lage jener Menschen, die besonders unter dem rechtspopulistischen Kurs der neuen Administration zu leiden haben: Migrant*innen ohne Einreisepapiere, insbesondere aus Lateinamerika.
Allein in den ersten 100 Tagen von Trumps zweiter Amtszeit wurden 65.682 Menschen aus den Vereinigten Staaten abgeschoben, berichtet die Organisation U.S. Immigration and Cutstoms Enforcement (ICE). Andere Quellen nennen ähnliche Zahlen. Ein Ende der Massenabschiebungen ist nicht in Sicht: Wie jetzt bekannt wurde, will der Mann im Weißen Haus künftig auch das berüchtigte Gefängnis Guantánamo auf Kuba für bis zu 30.000 Abschiebehäftlinge nutzen. Für die private Gefängnisindustrie, in deren Verfügungsgewalt sich gut acht Prozent aller Häftlinge in den USA befinden, ist dieser entgrenzte politische Kurs ein gutes Geschäft.
Rosenbluth verfolgt vor allem zwei Ziele: Für die Menschen eine möglichst rasche Entlassung aus der Haft zu erwirken. Und Abschiebungen unbedingt zu vermeiden. Manche der im Film gezeigten inhaftierten Männer hatten sich mit Frau und Kindern längst ein neues Leben in den USA aufgebaut. Eine erzwungene Ausreise würde die Familie wohl endgültig auseinanderreißen. Rosenbluth weiß, dass er einen einsamen Kampf gegen eine Flut von rücksichtslosen bürokratischen Aktionen führt. Doch für ihn zählt jeder Einzelfall, der einen guten Ausgang nimmt.
Alltag eines Anwalts und Aktivisten
Die Regisseur*innen Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward begleiteten den 65-Jährigen bei seiner täglichen Arbeit. Die besteht vor allem darin, zu telefonieren und rechtliche Schritte vorzubereiten, stets unterstützt von seiner jungen Assistentin. Und zu warten, was passiert. Genauso wie die von ihm betreuten Menschen hinter Gittern, aber auch deren Familien, die einer ungewissen Zukunft im Land ihrer Träume entgegensehen. Immer wieder kehrt die Erzählung zu einem Mexikaner im Abschiebeknast in Lumpkin im Bundesstaat Georgia zurück. Parallel erleben wir, wie dessen Frau und Kinder, die ebenso wie Rosenbluth in jener Kleinstadt leben, den Alltag meistern.
Womit wir bei der Bedeutung des Filmtitels wären: Viele Abschiebegefängnisse und Internierungslager werden ganz bewusst in abgelegenen Gegenden eingerichtet, um die „Illegalen“ von einem Rechtsbeistand und jeder anderen Betreuung abzuschneiden. Doch in Lumpkin hatten sie nicht mit Rosenbluth gerechnet: Der in New York aufgewachsene Jurist verlegte vor einigen Jahren seinen Wohnsitz von North Carolina ganz bewusst dorthin. Es passt ins Bild eines zu allem entschlossenen Aktivisten, der als Journalist gearbeitet hat und erst spät ins juristische Fach wechselte.
Ein ruhiger Ton für eine aufwühlende Thematik
Der Film dreht sich um eine aufwühlende Thematik, eine anklagende Tonalität wäre zumindest in Maßen verständlich gewesen. Das Regie-Duo wählte stattdessen einen ruhigen Erzählton, um den Zuschauenden die Menschen und die sie umgebene Szenerie nahezubringen. Dieser gemächliche Fluss erfordert mitunter Geduld, lässt aber viel Empathie und Liebe zum Detail erkennen.
Beim Blick auf Rosenbluth war diese Ruhe gewissermaßen schon angelegt: Man erlebt einen tiefenentspannten Anwalt, der keinerlei fixe Arbeitszeiten zu kennen scheint und sein Leben mit Hühnern und Katze in ländlicher Abgeschiedenheit zu genießen scheint. Wiederholt fängt die Kamera Beispiele für die Verlorenheit seine Wohnumfelds ein: Ganze Ladenzeilen leer, Häuser verfallen, auf den Straßen ist kein Mensch zu sehen und Schilder warnen vor Zügen, die längst nicht mehr fahren: ein Lost Place wie im Bilderbuch.
Vom mutmaßlich größten Arbeitgeber der Stadt, dem Abschiebegefängnis, gibt es hingegen nur wenig zu sehen. In den Köpfen der Menschen, denen wir begegnen, ist das inhumane Haftsystem hier und anderswo, das einige Insassen schon in den Selbstmord getrieben hat, ohnehin dauerpräsent. Die Art und Weise, wie Elfenkaemper und Seward den Fokus auf die Menschen gerichtet haben, die diesem System etwas entgegensetzen, hat ein sehr deutliches, zugleich sehr subtil umgesetztes und vor allem sehr sehenswertes Statement hervorgebracht.
„An Hour From The Middle Of Nowhere“ (Deutschland 2024), ein Film von Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward, OmU, FSK ab zwölf Jahre, 83 Minuten.
Im Kino. Weitere Informationen unter barnsteiner-film.de