Kinofilm „Oxana“: Wie eine ukrainische Femen-Aktivistin zur Ikone wurde
Als Mitbegründerin der ukrainischen Organisation Femen sorgte Oxana Schatschko für Aufsehen. Im Exil scheiterte die Aktivistin und Künstlerin. Der Film „Oxana – Mein Leben für die Freiheit“ nähert sich ihrer komplexen Persönlichkeit an.
2024 - Rectangle Productions - 2.4.7. Films - Hero Squared - France 3 Cinéma - Tabor Ltd - X Verleih AG
Übel zugerichtet: Oxana Schatschko (Albina Korzh) und ihre Mitstreiterinnen von Femen bemühen sich in der französischen Botschaft in Kiew um politisches Asyl.
Als Wladimir Putin im April 2013 die Hannover Messe besucht, wird er unerwartet mit nackten Tatsachen konfrontiert. Drei obenrum unbekleidete Frauen stürmen auf die Gruppe um Russlands Präsidenten zu und schreien auf englisch „Putin Dictator“. Man kann sich die tumultartige Szene in der Ausstellungshalle im Internet anschauen.
Mit entblößten Brüsten protestiert Femen gegen Sextourismus in der Ukraine
Hinter der Aktion steckte die Organisation Femen. In den späten 2000er-Jahren von Studentinnen in der Ukraine gegründet, ging es der feministischen Bewegung zunächst darum, gegen die patriarchalische Gesellschaft und den Sextourismus in der früheren Sowjetrepublik aufzubegehren. Und das vor allem, indem die jungen Frauen öffentlich ihre Brüste zeigten und diese mit Parolen verzierten.
Mit der Zeit wurden die Themen und das Aktionsfeld globaler: Der Busen diente als Waffe im Kampf nicht nur gegen die Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen, sondern gegen Unterdrückung und Ausbeutung überhaupt. Und vor allem für Freiheit und Selbstbestimmung.
Eine der Gründerinnen dieser heute fast schon fast vergessenen Gruppierung steht im Mittelpunkt des Kinofilms „Oxana – mein Leben für die Freiheit“. Die französische Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Charlène Favier widmete sich einer Persönlichkeit, die den Aufstieg Femens von einem kleinen Grüppchen in der ukrainischen Provinz zu einem internationalen Netzwerk durch wirkungsstarke Aktionen mit vorantrieb und an diesem Aktivismus letztendlich zerbrach.
Oxana Schatschko malte blasphemische Ikonen
Dabei sah es zunächst gar nicht danach aus, dass sich Oxana Schatschko einer gesellschaftskritischen Wuttruppe anschließen würde, die auch immer wieder die Kirche und ihre Symbole aufs Korn nahm. Schon als Jugendliche malt sie Ikonen im Auftrag des örtlichen Geistlichen. Doch irgendwann kommt es zum Bruch. Als Kunststudentin bleibt sie den Ikonen treu, ergänzt sie aber durch sexuelle und, aus Sicht der Kirche, blasphemische Elemente. Ihr Traum: eines Tages eine eigene Galerie eröffnen.
Auf drei Ebenen erzählt der um nur wenige fiktionale Elemente ergänzte Spielfilm Schatschkos Leben bis zu ihrem Suizid im Pariser Exil im Jahr 2018. Da ist sie 31 Jahre alt. Er begleitet ihren letzten Tag in der Metropole, wo Schatschko seit drei Jahren als Malerin lebt. Am Abend eröffnet sie ihre erste große Ausstellung. Während sie durch die Stadt streift, lässt sie ihr Leben als Künstlerin und Aktivistin Revue passieren.
Wir haben Teil an der fröhlichen Startphase unter enthusiastischen Studentinnen, mittlerweile in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, und erleben, wie mit der zunehmenden Resonanz für den Protest auch die Drangsalierung durch die ukrainischen Geheimdienste zunimmt. Nicht zu reden von den Folgen der Aktionen in Belarus und Russland.
Als der Druck und die gewaltsamen Übergriffe aus dem Ruder laufen, gehen Schatschko und ihre engsten Mitstreiterinnen ins Exil nach Frankreich. Dort warten andere Herausforderungen: ein sich zuspitzender Konkurrenzkampf innerhalb von Femen, aber auch weitgehendes Desinteresse der Französ*innen gegenüber der politischen Agenda von Schatschko und Co und auch gegenüber den Geschehnissen in ihrem Heimatland.
Die dritte Ebene bilden traumartige Szenen von einem ukrainischen Fest zur Sommersonnenwende (Kupala). Mit einem traditionellen Blumenkranz auf dem Haupt wirkt die Protagonistin erst recht wie eine mythische Figur, die Favier auch an vielen anderen Stellen ihres Films bemüht.
Die politische Situation in der Ukraine wird nur am Rande betrachtet
Der Film dreht sich jedoch nicht explizit um Femen an sich. Auch die gesellschaftspolitischen Verhältnisse in der Ukraine werden eher oberflächlich betrachtet. Favier ging es darum, Kunst als Mittel des politischen Ausdrucks zu betrachten. Und das vor allem am Beispiel von Schatschko.
Je weiter die Erzählung bis zum tragischen Ende voranschreitet, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen ihrer Kunst, ihrer Wahrnehmung der Welt und ihrem Leben an sich. Eine auf der Vernissage gezeigten Ikonen zeigt einen strangulierten Jesus. Noch Fragen?
Auffällig ist der Wandel der Atmosphäre und der Erzählhaltung des Films. Während der Sturm-und-Drang-Phase von Femen leben manche Dialoge von einer fast schon naiven Energie und wirken mitunter plakativ.
Je mehr sich allerdings die Erinnerungen der, wenn man so will, tragischen Heldin verdüstern und am Ende auf ihre hoffnungslose Lage in der Gegenwart zusteuern, desto bedrückender, aber auch berührender wird die filmische Sprache. Man wird dabei keiner tiefenpsychologischen Erkenntnisse gewahr, bekommt aber zumindest eine Ahnung davon, was sich in Schatschkos selbstzerstörerischem und zugleich lebens- und liebesgierigem Inneren abspielt. Und wir beobachten, wie die von der ukrainischen Schauspielerin Albina Korzh eindringlichst interpretierte Hauptfigur selbst Züge einer Ikone annimmt.
Regisseurin Favier: „Junge Leute sollen Oxana Schatschkos Erbe weiterführen“
„Der Kampf ist noch lange nicht vorbei“, sagt Favier mit Blick auf die aktuelle Weltlage. „Dieser Film soll uns daran erinnern und gleichzeitig junge Menschen inspirieren, die das Erbe von Oxana weiterführen möchten.“ Ob diese Rolle angesichts der Komplexität von Schatschkos Charakter realistisch ist, sei dahingestellt. Wohl aber sollte man Faviers Einladung, sich diesem gut zwei Stunden lang anzunähern, unbedingt annehmen.
„Oxana – Mein Leben für die Freiheit“ (Frankreich, Ukraine, Ungarn 2024), Regie: Charlène Favier, Drehbuch: Diane Brasseur, Charlène Favier und Antoine Lacomblez, mit Albina Korzh, Maryna Koshkina, Lada Korovai, Lada Oksana Zhdanova u.a., OmU (Ukrainisch/Französisch), 103 Minuten, FSK ab 16 Jahre.
Im Kino. Weitere Informationen unter x-verleih.de