Kultur

Kinodrama „Der Salzpfad“: Zwei Obdachlose wandern zurück ins Leben

Sie haben alles verloren und wollen neu anfangen: In der Bestsellerverfilmung „Der Salzpfad“ begibt sich ein Ehepaar auf eine herausfordernde Wanderung durch Südengland. In den Hauptrollen: Gillian Anderson und Jason Isaacs.

von Nils Michaelis · 18. Juli 2025
"Der Salzpfad": Für Raynor (Gillian Anderson) und Moth (Jason Isaacs) ist der Weg das Ziel.

Für Raynor (Gillian Anderson) und Moth (Jason Isaacs) ist der Weg das Ziel.
 

Eine Frau und ein Mann um die 50 wandern entlang der Küste Südenglands und sind extrem knapp bei Kasse. Als das erschöpfte Paar vor einem Teegarten steht, ist die Versuchung zu groß, um ihr zu widerstehen. Die beiden genehmigen sich eine süße Mahlzeit, um sich stärken. „Sind sie im Ruhestand?“, fragt ein freundlicher Herr vom Nachbartisch, nachdem er von Rays und Moths Plan erfahren hat, den gesamten South West Coast Path bis nach Land’s End abzulaufen. „Tatsächlich obdachlos, wir haben unser Zuhause verloren“, erwidert Moth und erntet schockierte Blicke. Das Gespräch ist damit beendet.

Auf einen Schlag alles verloren

Ray und Moth haben sich auf Wanderschaft begeben, um sich darüber klarzuwerden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Im Grunde ist davon nicht viel übriggeblieben. Die Farm in Wales, ihr gesamtes Vermögen und auch ihre bisherige Erwerbsmöglichkeit haben sie verloren, weil Moth eine erhebliche Summe an einen Freund für dubiose Geschäfte verliehen hat. Die Sache ging gründlich schief und Moth nebst Gattin mussten für den finanziellen Schaden haften. Wenigstens stehen ihre beiden Kinder mittlerweile auf eigenen Füßen.

Als wäre die finanzielle Misere nicht schon genug, hat Moth obendrein erfahren, dass er an einer unheilbaren neurodegenerativen Krankheit leidet. Gehen und Schlucken fallen ihm im Zuge der Wanderung immer schwerer. Unter bestimmten Umständen hätte er einen sofortigen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Doch auf dem Amt hat man ihm erklärt, dafür sei er nicht krank genug. 

Keine guten Vorzeichen für die sich über mehr als 1.000 Kilometer erstreckende und auch angesichts der Übernachtungen im Zelt nur wenig Erholung versprechenden Tour von Somerset über Cornwall bis nach Dorset, die mit vielen unangenehmen Überraschungen aufwartet. Und Herausforderungen, die Ray und Moth ihre Beziehung neu entdecken und neue Hoffnung schöpfen lassen.

„Der Salzpfad“: Ein umstrittener Welterfolg

Menschen laufen einfach mal los, lassen alles hinter sich und blicken plötzlich ganz anders auf ihr Leben, finden womöglich selbst für die größten Probleme eine Lösung: Derlei Bücher feiern seit Jahren größte Erfolge, auch und gerade in Großbritannien und Deutschland. Man denke nur an den überwältigenden Erfolg von Hape Kerkelings Selbstfindungswerk „Ich bin dann mal weg“ über seine Tour auf dem Jakobsweg.

„Der Salzpfad“ basiert auf dem gleichnamigen, mittlerweile umstrittenen internationalen Bestseller von Raynor Winn. Britische Medien haben in den vergangenen Monaten darüber berichtet, dass die darin geschilderte Wanderung der Autorin mit ihrem Mann in der Realität ganz andere Beweggründe gehabt haben soll, als die im Buch genannten, die auch der Film aufgreift. Demnach seien die finanziellen Probleme der Eheleute unter anderem dadurch entstanden, dass die Autorin Geld an ihrem Arbeitsplatz unterschlug. Die Veröffentlichung eines weiteren Buches wurde nach den Berichten verschoben.

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Unabhängig davon, wie es um den Wahrheitsgehalt oder die Fiktionalität der Buchvorlage steht: Die Verfilmung hat ihre Stärken, wenn man auf die darin erzählte Geschichte an sich schaut. Und zwar besonders dann, wenn Ray und Moth ganz allein auf sich gestellt beziehungsweise den Naturgewalten ausgeliefert sind. Wenn also keine Begegnungen mit anderen Menschen episodenhaft abgespult werden und keine Rückblende zur Handlung vor der Wanderung den Erzählfluss stört. 

Das Versagen des britischen Sozialstaates bleibt eine Randnotiz

Die durch die Serie „Akte X“ zum Weltstar avancierte Gillian Anderson und Jason Isaacs, nicht zuletzt bekannt aus den „Harry Potter“-Adaptionen, verleihen den Hauptfiguren gerade durch ihr sehr körperliches Spiel sehr viel Tiefe und kehren die existenzielle Essenz mancher Situationen ohne allzu viel Theatralik hervor. 

Hinzu kommen die atmosphärisch starken, fast immer kitschfreien Bilder einer ebenso rauen wie lieblichen Landschaft. Kurzum: Die Tour de Force, der sich Ray und Moth verschrieben haben, wird auf vielerlei Weise erfahrbar. Auf Fragen nach dem Sinn des Lebens gibt es keine endgültige Antwort. Wenn Ray Moth kaum hörbar zuruft, er sei ihr Zuhause, wird zumindest eine ungefähre Sichtweise deutlich. 

Das mag auf philosophischer Ebene unbefriedigend sein. Unterhaltsam und berührend sind solche und weitere Szenen in der Einsamkeit aber allemal. Wird der Fokus auf andere Schauplätze und Menschen erweitert, bleibt angesichts der Oberflächlichkeit allerdings ein fader Beigeschmack zurück. Schade, dass auch das offenkundige Versagen des britischen Sozialstaats nur eine Randnotiz bleibt.

„Der Salzpfad“ (GB 2024), Regie: Marianne Elliott, Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz, nach dem gleichnamigen Buch von Raynor Winn, Kamera: Hélène Louvart, mit Gillian Anderson, Jason Isaacs u.a., 115 Minuten, FSK ab sechs Jahre.

Im Kino. Weitere Informationen unter dcm.stories.com

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