Kinodrama „Sieben Tage“: Eine iranische Regimegegnerin im Zwiespalt
Soll sie gehen oder bleiben? Der atmosphärisch starke Kinofilm „Sieben Tage“ erzählt von der Gewissensentscheidung einer Menschenrechtsaktivistin im Iran. Darin spiegeln sich reale Schicksale zwischen Repression und Exil wider.
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Moment des Glücks: Maryam (Vishka Asayesh) umarmt ihre Kinder Dena (Tanaz Molaei) und Alborz (Sam Vafa).
Als Maryam endlich wieder ihre Mutter umarmen kann, ist es für beide wie eine Befreiung. Sechs Jahre hat Maryam im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis verbracht. Nun wurde ihr ein siebentätiger Hafturlaub gewährt, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Doch es bleibt kaum Zeit, um die Nähe zu ihrer Familie zu genießen. Wenige Stunden später kauert die Menschenrechtsaktivistin im Kofferraum des Autos einer Freundin, die sie aus Irans Hauptstadt hinausschmuggelt.
Abenteuerlicher Weg in die Türkei
Ohne Maryams Wissen wurde ihre Flucht in die Türkei organisiert. In einem Bergdorf kurz hinter der Grenze warten ihr Mann und die beiden Kinder, um sie mit nach Deutschland zu nehmen, das ihnen nach der Ausreise aus dem Iran zur neuen Heimat geworden ist. Auch von ihnen war Maryam jahrelang getrennt. Die unverhoffte Möglichkeit auf ein Wiedersehen stürzt sie in einen Gewissenskonflikt. Soll sie den Freiheitskampf im Iran für ein Leben mit ihrer Familie im Exil tauschen? Oder macht sie, wenn auch hinter Gittern, weiter wie bisher und zementiert damit die Trennung von ihren Liebsten?
Noch ehe Maryam Für und Wider wirklich abgewogen hat, befindet sie sich mitten auf einer Reise durch die Nacht. Über mehrere Etappen und mittels von wie aus dem Nichts auftauchenden und wortkargen Helfer*innen geht es Richtung türkische Grenze. Diese kafkaeske Reise ins Ungewisse entfacht soghafte Wirkung, denn die Angst fährt immer mit. Am Zielort in einer abgelegenen Bergregion beginnt ihre Wanderung in die Freiheit. Zumindest haben sich andere diesen Plan für Maryam ausgedacht.
Der neue Film von Regisseur Ali Samadi Ahadi und Drehbuchautor Mohammad Rasoulof ist eng mit realen Schicksalen verknüpft. Maryam erinnert in vielerlei Hinsicht an die Regimegegnerin Narges Mohammadi. Sie hat bereits mehrere Haftstrafen verbüßt und noch viele Jahre im Gefängnis vor sich. Im Jahr 2023 wurde sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Regisseur und Drehbuchautor flohen aus dem Iran
Auch Rasoulofs eigene Lebensgeschichte spiegelt sich in dieser deutschen Produktion wider. Vergangenes Jahr floh der immer wieder von der Justiz drangsalierte Filmemacher aus dem Mullahstaat, um einer achtjährigen Haftstrafe und Peitschenhieben zu entkommen. Ahadi kehrte dem Iran bereits in den 80er-Jahren den Rücken.
All das schwingt mit, wenn man Maryams strapaziösen Weg zu ihrer Familie verfolgt. Gehen oder bleiben? In ihr wütet jene Zerrissenheit, die vielen kritischen Geistern im Iran vertraut ist. Um zu verstehen, wie viel ihr das politische Engagement bedeutet, genügt eine einzige Szene: Kaum hat sich Maryam in der Dusche den Dreck aus dem Knast vom Leib geschrubbt, sitzt sie am Laptop, um sich für andere inhaftierte Frauen hinter Gittern einzusetzen. Oder greift zum Telefon, um einen Streik zu organisieren.
Diese Zerrissenheit ist so deutlich, dass man rasch ahnt, dass das Zusammentreffen mit Mann und Kindern nicht so verlaufen könnte wie erwartet. „Sieben Tage“ zeigt Momente tief empfundenen Glücks, doch im Hintergrund schwingt der Zweifel daran, ob Maryam tatsächlich in den Flieger nach Hamburg steigen wird, immer mit.
Zaghafte Annäherung zwischen Mutter und Tochter
Die Beziehung zu ihrer Tochter hat während der langen Trennung Kratzer bekommen. „Wenn es ihr wichtig wäre, würde sie doch nach all den Jahren zu uns kommen“, sagt Dena kurz vor der Reise in die Türkei. Die zaghafte, mit vielen Fallstricken versehene Annäherung zwischen ihr und Maryam wird in besonders berührenden Szenen eingefangen. Die 19-jährige Schauspielerin Tanaz Molaei beeindruckt mit einer ebenso subtilen wie eruptiven Performance. Und Vishka Asayesh alias Maryam verleiht auch dieser Facette einer komplexen Persönlichkeit viel Tiefe.
Rasoulof zählt zu den bekanntesten Regisseur*innen seines Landes und wollte ursprünglich auch „Sieben Tage“ in dieser Funktion umsetzen. Aus den genannten Gründen kam es anders. Verglichen mit seinem wohl bekanntesten und 2020 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetem Film „Doch das Böse gibt es nicht“ wird dieser Film recht konventionell erzählt und Maryams emotionaler Konflikt stärker gewichtet als ihr politischer Aktivismus.
Zugleich wird aber auch deutlich, wie sehr Repression und Exil auf Familien und besonders auch Heranwachsende einwirken, womit sich wiederum der Kreis zu seinem jüngsten Regiewerk „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ schließt. Diese menschliche Dimension kommt in „Sieben Tage“ eindringlich zum Tragen, nicht zuletzt dank einer großartigen Hauptdarstellerin.
Regisseur Ahadi: „Kritische iranische Künstler lassen sich nicht mundtot machen“
„Mit diesem Film wollen wir dem Regime zeigen, dass sich kritische iranische Künstler nicht mundtot machen lassen, sei es nun im Iran oder im Ausland“, sagte Regisseur Ali Samadi Ahadi nach einer Premierenvorführung in Berlin. Sein Dank galt auch jenen, die die verdeckten Dreharbeiten im Iran möglich gemacht haben. Die meisten Szenen entstanden aus Sicherheitsgründen nicht in der Türkei, sondern in Georgien.
„Sieben Tage“ (Deutschland 2024), Regie: Ali Samadi Ahadi, Drehbuch: Mohammad Rasoulof, mit Vishka Asayesh, Majid Bakthiari, Tanaz Molaei, Sam Vafa u.a., 110 Minuten, FSK ab zwölf Jahre.
Im Kino. Weitere Infos unter bravenewwork.de