Kultur

Kinofilm „Go Clara Go“: Was freie Kunst in der unfreien DDR vermochte

Mit abseitigen, aber wirkungsmächtigen Werken leistete sie Widerstand gegen den künstlerischen Mainstream in der DDR: Der Dokumentarfilm „Go Clara Go“ porträtiert die Künstler*innengruppe Clara Mosch. Und verbindet damit einen Appell an die Gegenwart.

von Nils Michaelis · 26. Juni 2025
Eine Kunstaktion der Gruppe Clara Mosch

Eine Performance der DDR-Künstler*innengruppe Clara Mosch aus Chemnitz.

Auf diesem Stuhl und an diesem Tisch hätte ein Riese bequem Platz gefunden. Das völlig überdimensionierte hölzerne und auf grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotos dokumentierte Sitz-Ensemble wurde zu DDR-Zeiten an einem Strand der Insel Rügen zusammengezimmert. Eine Gruppe von Künstler*innen wollte damit die geltenden Größen- und Machtverhältnisse außer Kraft setzen. Und sich beim Blick aufs Meer dem Fernweh hingeben. Aus Sicht des SED-Regimes war all dies höchst verdächtig. Kein Wunder, dass das kleine Kollektiv, das für die Installation am Strand verantwortlich war, jahrelang von der Staatssicherheit überwacht und infiltriert wurde.

Clara Mosch: ein kleiner, aber renitenter Haufen

Die Rede ist von der Gruppe Clara Mosch. Sie wurde 1977 von Michael Morgner, Thomas Ranft, Carlfriedrich Claus, Gregor-Torsten Schade und Dagmar Ranft-Schinke in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) gegründet. Der Name leitet sich ab von den Anfängen der Nachnamen der Künstler*innen. 

Dieser kleine, aber renitente Haufen stand für vieles, was im offiziellen Kulturbetrieb der DDR wenig bis keinen Platz hatte: spielerischer Nonkonformismus, gegenstandslose Malerei, entrückte Performances und vor allem der Blick auf die düsteren und absurden Seiten einer Gesellschaft, die sich offiziell einem staatlich verordneten Zukunftsoptimismus verschrieben hatte. Es war ihre Art des Widerstands. Heute gelten Clara Mosch und die gleichnamige Galerie als Aushängeschild für alternatives Kunstschaffen im sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat.

Der Film „Go Clara Go“ erzählt die Geschichte dieses außerhalb der Kunstszene kaum bekannten Phänomens. Die 1979 in Ludwigsfelde (Brandenburg) geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Sylvie Kürsten blickt zurück auf den künstlerischen Aufbruch in den späten 1970er-Jahren, also in einer Zeit, als das SED-Regime zumindest in Lippenbekenntnissen größere Kunstfreiheit gewährte, die Abweichler*innen vom Mainstream aber dennoch ins Visier nahm. Über die späteren beziehungsweise ehemaligen Mitglieder von Clara Mosch sammelte die Stasi innerhalb von 20 Jahren rund 10.000 Fotos, etwa 100 Spitzel kamen zum Einsatz. 

Erst der Kapitalismus führte zum Aus des Ensembles

Kürsten zeigt, wie Menschen in der vermeintlichen Provinz eine bisweilen freche und krasse Gegenwelt schufen, rasch ein republikweites Publikum anzog und auch mit dem Kunstbetrieb jenseits der Staatsgrenze interagierten, etwa mit dem westdeutschen Konzeptkünstler Joseph Beuys. Und wie erst den wirtschaftlichen Zwängen nach der Wiedervereinigung etwas gelang, was die Stasi nie geschafft hat: die Gruppe auseinanderzudividieren. Ein Teil davon fand vor der Kamera wieder zusammen und legte Zeugnis davon ab, wo die kreativen Outlaws und ihr Werk heute stehen. Dabei treten überraschende Verbindungen zutage.

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In Kürstens Film verschmelzen die Haltung und das Wesen der Erzählung und ihr Gegenstand, also die nonkonforme und bisweilen abstrakte Kunst, über weite Strecken miteinander. Immer wieder sind Druckgrafiken, Gemälde und Aufnahmen von Performances der Ausgangspunkt für alles andere. Als Lotsin durch diese mitunter unübersichtlichen Sphären dient eine imaginäre Clara Mosch, der von der ebenso brüchigen wie eindringlichen Stimme von Schauspielerin Jule Böwe Leben eingehaucht wird. Manchmal tritt sie auch als maskierte Tänzerin in Erscheinung. Obgleich Teil des Ganzen, bemüht sich die Erzählerin aber auch um einen Blick von außen, oft versehen mit lakonischem Humor.

Dass Chemnitz in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt ist, mag ein willkommener Grund gewesen sein, etwas genauer auf das Kunstschaffen in der vermeintlichen sozialistischen Musterstadt zu schauen, die viele eher mit dem protzigen Karl-Marx-Monument als mit abseitiger Konzeptkunst verbinden. Da verwundert es wenig, dass der 1971 mit viel Tschingderassabum eingeweihte „Nischel“, wie das Marx-Monument in der Stadt genannt wird, ebenfalls sein Fett wegkriegt: Schließlich steht dieser, die sogenannte Staatskunst symbolisierende Klotz für das genaue Gegenteil dessen, was Clara Mosch verkörpert.

Kulturelle Räume auch heute erhalten

Mit ihrem Film verbindet Regisseurin Kürsten auch einen Kommentar zur Gegenwart. „Der Kampf, kulturelle Räume zu erhalten, und der Zwang, mit Machthabern jonglieren zu müssen, ist in Zeiten von aufstrebenden Autokratien und entgrenztem Kapitalismus wieder hochaktuell“, wird sie im Presseheft zum Film zitiert. „Es ist genau der richtige und vielleicht auch der letzte Moment, in dem wir von den Erfahrungen dieser schrägen, aber doch immer freien und humorvollen Vögel lernen können.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

„Go Clara Go“ (Deutschland 2025), ein Film von Sylvie Kürsten, Sprecherin: Jule Böwe, mit Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Gunar Barthel, Michael Morgner, u.a., 93 Minuten.

Im Kino. Weitere Informationen unter salzgeber.de

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