Wie ein SPD-Abgeordneter vor Ort die iranischen Angriffe auf Israel erlebte
Sebastian Roloff wollte privat für ein paar Tage nach Israel reisen. Doch dann begann der Krieg mit dem Iran und der SPD-Bundestagsabgeordnete saß in Tel Aviv fest. Im Interview erzählt er, was er erlebt hat und wie ihm schließlich die Ausreise gelang.
IMAGO/Anadolu Agency
Iranische Raketen sind zwischen Gebäuden in Tel Aviv eingeschlagen.
Wo sind Sie gerade?
Ich bin jetzt in Berlin. Ich bin über Jordanien und Zürich nach Berlin ausgeflogen. Gestern Vormittag bin ich hier angekommen und direkt ins Büro gegangen. Demnächst mache ich mich auf den Weg nach München in meinen Wahlkreis.
Wie war die Ausreise möglich, nachdem Sie zwischenzeitlich in Israel gestrandet waren?
Nachdem der Luftraum gesperrt war, habe ich sofort versucht, über eines der in Frage kommenden Nachbarländer Israels rauszukommen. Das war ein wilder Ritt. Lange war der Plan, über Ägypten auszureisen. Sehr kurzfristig wurde es dann doch Jordanien. Am Montag sind wir über die Grenze gekommen, was eine gewisse Herausforderung war, weil auf die Idee schon mehrere Leute vor uns gekommen waren.
Wie viele Checkpoints mussten Sie auf dem Weg passieren?
Vier insgesamt. Das hat so lange gedauert, dass wir alleine auf dem Grenzstreifen vier Stunden verbracht haben. In Amman gab es zufällig noch einen freien Flug nach Zürich. Dort bin ich dann am Montagabend angekommen.
Warum waren Sie eigentlich in Israel?
Ich bin regelmäßig in Israel, seit ich vor 15 Jahren an einem Gewerkschaftsjugendaustausch teilgenommen habe. Außerdem engagiere ich mich beim Willy-Brandt-Center in Jerusalem, das den trinationalen Austausch zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern fördert. Seit dem 7. Oktober 2023 war ich nur einmal im Januar mit einer Solidaritätsdelegation vor Ort. Meine privaten Kontakte habe ich dagegen fast zwei Jahre lang nicht mehr getroffen. Deswegen war es eine überwiegend private Reise mit einigen politischen Terminen. So waren die ersten Tage auch, aber das hatte sich mit dem Iran-Konflikt erledigt.
Wann wären Sie ursprünglich nach Deutschland zurückgeflogen?
Am Sonntag.
Sebastian
Roloff
Die Raketenangriffe kamen überwiegend nachts. Der Alarm hat mich drei bis fünf Mal pro Nacht aus dem Schlaf gerissen.
Wie haben Sie die Situation in der Zwischenzeit erlebt?
Es war Ausnahmezustand. Das öffentliche Leben wurde fast völlig zurückgefahren. Man ist die ganze Zeit im Krisenmodus, auch weil man angehalten ist, weite Teile des Tages in der Nähe eines Schutzraums zu sein. Ich hatte das Glück, dass es in meinem Hotel einen Schutzraum gab. Deswegen hatte ich keine großen Probleme. Allerdings hat man nur 90 Sekunden Zeit, um in den Schutzraum zu gehen, wenn Raketenalarm kommt. Deswegen bin ich gar nicht mehr rausgegangen und habe fast Tag und Nacht die Sicherheitslage verfolgt. Die Raketenangriffe kamen überwiegend nachts. Der Alarm hat mich drei bis fünf Mal pro Nacht aus dem Schlaf gerissen.
Wie war das für Sie, über Stunden im Schutzraum zu sein und nicht zu wissen, wann man wieder raus kann?
Das ist nicht schön. Andererseits weiß man, dass einem dort nichts passiert. Das führt dazu, dass es schnell lästig wird, wenn man fünfmal die Nacht rausgeklingelt wird und in 90 Sekunden da reinmarschieren muss. Man hat keine Zeit, sich anzuziehen oder ins Bad zu gehen und weiß nicht, wie lange es dauert. In der Regel ist es eine halbe Stunde, manchmal aber auch zweieinhalb. Man sieht nichts, sondern hört nur unfassbar laute Explosionen. Das Gebäude wackelte teilweise. Ich habe versucht, über das Handy herauszufinden, was passiert ist und wie die Lage ist. Für viele Israelis hat das leider eine gewisse Routine. Sie kennen das seit vielen Jahren, egal ob die Raketen aus Gaza, dem Jemen oder aus dem Iran kommen.
Wie macht sich diese Routine bemerkbar?
Mit mir war oft eine israelische Familie im Bunker. Die Oma hat sich einmal beschwert, dass die Luft im Bunker so schlecht sei und die Klimaanlage nicht funktioniere. Sie fing dann an zu diskutieren, ob sie sich nicht stattdessen ins Treppenhaus stellen könne. Da sei es doch auch noch halbwegs sicher, aber die Luft angenehmer. Das hat mir gezeigt, dass sie ziemlich abgehärtet war.
Wie bewerten Sie die aktuelle Lage politisch? Was kann die Bundesregierung tun, um den Konflikt zu deeskalieren?
Ich finde es legitim, verhindern zu wollen, dass der Iran Atomwaffen hat. Denn wir sehen, wie das dortige Regime mit seiner eigenen Bevölkerung umgeht. Sie schlachten gerne mal eine fünfstellige Zahl eigener Bürgerinnen und Bürger ab, wenn es der Regimeerhaltung dient. Deswegen will ich mir gar nicht vorstellen, was sie mit entsprechenden Waffen machen. Das heißt aber nicht, dass es Aufgabe Israels ist, das zu klären und auch nicht auf diesem Weg. Die Bundesregierung muss die Oppositionellen und die Freiheitsbewegung im Iran weiter unterstützen. Ich weiß nicht, ob man Deutschland im Konflikt mit Israel eine Vermittlerrolle einnehmen kann. Wenn ja, macht es Sinn, das zu tun und zu gucken, dass dieser Konflikt entschärft wird.
Befürchten Sie, dass der Konflikt noch weiter eskalieren könnte?
Das kann sein, wobei ich nicht weiß, wie die militärische Situation des Iran ist. Bei den Äußerungen des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu weiß ich auch nicht, was dessen Agenda ist. Das iranische Atomprogramm zu beenden oder das Regime zu stürzen, sind keine klassischen Kriegsziele. Für die Bevölkerung auf beiden Seiten wäre eine Waffenruhe wichtig, wobei es einen qualitativen Unterschied macht, ob gezielt Militäranlagen angegriffen oder einfach wahllos hunderte Raketen in eine Großstadt geschickt werden.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo