Israel: Warum eine Mehrheit den Angriff auf den Iran richtig findet
In Israel herrscht ein breiter Konsens, dass der Angriff auf den Iran gerechtfertigt ist. Die Bedrohung durch Atomwaffen scheint vielen real. Von Kriegseuphorie kann dennoch keine Rede sein.
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Abgeschossene iranische Raketen über Tel Aviv: Überall ist spürbar, dass die Lage diesmal eine andere ist.
Seit die israelische Luftwaffe in der Nacht auf den 13. Juni ihre Angriffe auf iranische Atomanlagen, militärische Infrastruktur und weitere Ziele begann, erlebt das Land eine neue Eskalationsstufe der Dauerkrise, die mit dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 ihren Anfang nahm. Überwiegend in den Abend- und Nachtstunden greift der Iran Ziele in ganz Israel mit ballistischen Raketen und Drohnen an und zielt damit bewusst auch auf die Zivilbevölkerung.
Die Sach- und Personenschäden sind beträchtlich: Allein in der Nacht auf Montag wurden landesweit mindestens acht Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. Gleichzeitig setzt Israel seine Angriffe auf militärische Einrichtungen im Iran fort. Im Fokus standen zuletzt Lagerstätten und Abschussvorrichtungen für Boden-Boden-Raketen.
Die Lage ist Israel ist diesmal eine andere
Ein israelischer Angriff auf Irans Atomanlagen hing schon länger in der Luft. Doch die meisten Beobachter*innen rechneten nicht mit einem Schlag vor der für den 15. Juni geplanten neuen Verhandlungsrunde zwischen den USA und dem Iran im Oman. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen noch längere Zeit andauern könnten.
Überall ist spürbar, dass die Lage diesmal eine andere ist als noch bei den letzten iranischen Angriffen. Dafür sprechen mehrere Anzeichen, darunter, dass der israelische Luftraum nach wie vor gesperrt ist und die Fluggesellschaft ELAL ihre Maschinen außer Landes gebracht hat.
Selbst in der sonst als krisenresilient geltenden israelischen Gesellschaft wächst die Beunruhigung. Die Anspannung ist hoch, das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen. Behörden bleiben geschlossen, und alle, die nicht in systemrelevanten Bereichen arbeiten, wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Immer wieder zwingen Alarmsirenen die Menschen in die Schutzräume.
Der Iran steht kurz vor der Bombe
Kritik, wonach sich die israelischen Angriffe völkerrechtlich nicht als Präventivschläge rechtfertigen ließen, werden in Israel bis weit ins linke Lager hinein mit Kopfschütteln quittiert.
Nach Einschätzung des Washingtoner „Institute for Science and International Security“ hat der Iran inzwischen signifikante Fortschritte auf dem Weg zur Atombombe gemacht. Laut Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde verfügt das Land mittlerweile über knapp 275 Kilogramm Uran, das auf 60 Prozent angereichert wurde. Das entspricht einem Niveau, das nur wenige Schritte von waffenfähigem Uran entfernt ist. Kein anderer Nicht-Atomwaffenstaat weltweit produziert Nuklearmaterial in diesem Umfang.
Am 12. Juni veröffentlichte die Internationale Atomenergiebehörde eine Resolution, in der sie den Iran erstmals seit 20 Jahren offiziell für nicht konform mit seinen Verpflichtungen gemäß dem Atomwaffensperrvertrag und den dazugehörigen Sicherungsmaßnahmen erklärte. Festgestellt wurde unter anderem, dass der Iran trotz mehrfacher Aufforderungen keine glaubwürdigen Erklärungen für das Vorkommen von Uranpartikeln an drei nicht deklarierten Standorten geliefert habe. Zudem habe Teheran den Zugang zu diesen Orten weiterhin verweigert; der Verbleib des nuklearen Materials sei nach wie vor ungeklärt.
Die iranische Bedrohung ist sehr real
Die Reaktion der iranischen Machthaber auf die Resolution bestand in der Ankündigung, die nuklearen Aktivitäten weiter auszubauen, eine dritte Urananreicherungsanlage zu errichten und neue, fortschrittliche Zentrifugen zu installieren.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und des offen erklärten Ziels der iranischen Führung, Israel auslöschen zu wollen, erscheinen völkerrechtliche Einwände, wonach ein Präventivschlag nur zur Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs zulässig sei, aus israelischer Sicht spitzfindig und realitätsfern.
Auch wenn Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach wie vor in erster Linie am eigenen Machterhalt interessiert ist und dafür nun auch den Krieg gegen den Iran nutzt: Die iranische Bedrohung ist keine Erfindung der politischen Rechten in Israel, sondern sehr real. Während die Machthaber in Teheran die Verhandlungen mit den USA offenkundig nicht mit ernsthaftem Interesse verfolgt haben, wurden gleichzeitig die Anstrengungen zur Urananreicherung deutlich intensiviert.
Von Kriegseuphorie kann keine Rede sein
Die Risiken, einschließlich der Gefahr einer weiteren regionalen Eskalation, sind allgemein bekannt. Aktuelle Umfragen zur Haltung in der Bevölkerung liegen noch nicht vor. Doch im Abwägen gegenüber dem Risiko eines atomar bewaffneten Iran kommen viele Israelis zu dem Schluss, dass die Angriffe gerechtfertigt sind.
Von Kriegseuphorie kann dennoch keine Rede sein. Vielmehr ist eine ambivalente Stimmung spürbar. Diese ist geprägt von Kriegsmüdigkeit und Erschöpfung auf der einen Seite sowie von der Überzeugung auf der anderen, dass Israel keine andere Wahl bleibt, als selbst dafür zu sorgen, dass der Iran am Bau von Atomsprengköpfen gehindert wird.
Der Krieg mit dem Iran dürfte Netanjahu innenpolitisch kurzfristig in die Hände spielen. Führende Oppositionspolitiker wie Benny Gantz und Yair Lapid haben sich in der Iran-Frage hinter die Regierung gestellt. Auch Yair Golan, Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei „Die Demokraten“, befürwortet den Militäreinsatz, kritisiert aber gleichzeitig Netanjahu dafür, dass es überhaupt so weit kommen musste. Er wirft dem Regierungschef vor, durch falsche Politik indirekt dazu beigetragen zu haben, dass der Iran sein Atomprogramm vorantreiben konnte. Golans Hauptvorwurf ist, dass Netanjahu im Mai 2018 Trump in dessen erster Amtszeit dazu bewogen hat, aus dem Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) auszusteigen.
Welche Auswirkungen wird die Eskalation auf die Region haben?
Auch unter Sicherheitsexperten, die der Regierung kritisch gegenüberstehen und die Fortsetzung des Gaza-Krieges scharf ablehnen, herrscht weitgehend Konsens, dass der Angriff und der Zeitpunkt berechtigt waren. Gleichzeitig wird in diesen Sicherheitskreisen noch mehr als zuvor gefordert, dass der Gaza-Krieg sofort beendet und alle Geiseln zurückgeholt werden müssen.
In jedem Fall wird die jüngste Eskalation im Nahen Osten Auswirkungen haben, die weit über die Region hinausreichen. In Israel wird unter anderem darauf verwiesen, dass der Iran und Russland strategische Partner sind und dass Teheran Moskau mit Drohnen und Raketen beliefert, die vom Putin-Regime im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden.
In der Region selbst führt die Schwächung der sogenannten „Achse des Widerstands“ – bestehend aus dem Iran und seinen überwiegend schiitischen Verbündeten – bereits jetzt zu einer Stärkung sunnitischer Akteure. Wie die politische Neuordnung am Ende der gegenwärtigen militärischen Auseinandersetzungen genau aussehen wird, ist derzeit aber völlig offen. Gleiches gilt für die mittelfristigen Folgen für die israelische Innenpolitik. Bis zum 30. Juni gilt im Land erstmal der Ausnahmezustand.
Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.
leitet seit Juni 2020 das Regionalbüro Dialog Südosteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sarajevo. Davor war er u.a. als Leiter der FES-Büros in Tunis und München und im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika tätig.