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Waffen für Israel: „Die Linie der SPD war lange Zeit viel zu unkritisch.“

Die SPD-Politikerin Isabel Cademartori fordert ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Israel. Im Interview nennt die Bundestagsabgeordnete dafür drei Gründe – und äußert deutliche Kritik an ihrer eigenen Partei.

von Kai Doering · 28. Mai 2025
Porträt der SPD-Abgeordneten Isabel Cademartori im Deutschen Bundestag

SPD-Abgeordnete Isabel Cademartori: „Das militärische Vorgehen Israels in Gaza ist völkerrechtswidrig.“

Im „Stern“ haben Sie gerade erneut ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Israel gefordert. Warum?

Das militärische Vorgehen Israels in Gaza ist völkerrechtswidrig. Das betrifft sowohl das Aushungern der Bevölkerung als auch die Vertreibungen, die vorbereitet werden und die teilweise schon durchgeführt werden. Darüber besteht ein klarer Konsens. Inzwischen hat ja auch Bundeskanzler Friedrich Merz deutliche Worte gefunden. Daraus leitet sich die Frage ab, wie wir uns als Deutschland verhalten. Für mich ist klar, dass deutsche Waffen nicht Teil von Kriegsverbrechen sein dürfen. Das ist ein moralischer Anspruch, den wir haben müssen. Es ist aber aus meiner Sicht auch politisch unklug, sich anders zu verhalten. Denn zum einen kann Deutschland ansonsten wegen Mittäterschaft von internationalen Gerichten belangt werden. Zum anderen schwächen wir aber auch unser Eintreten für das Völkerrecht in anderen Konflikten, wenn wir dulden, dass deutsche Rüstungsexporte an Kriegsverbrechen beteiligt sind.

Halten Sie es wirklich für realistisch, dass Deutschland wegen seiner Waffenlieferungen an Israel juristisch belangt wird?

Wenn Deutschland weiß, dass mit den gelieferten Waffen Kriegsverbrechen begangen werden und gegen Völkerrecht verstoßen wird, ist das durchaus realistisch. Die Ampel-Regierung hatte ja zwischenzeitlich die Waffenexporte nach Israel ausgesetzt und ist dafür öffentlich hart kritisiert worden, nicht zuletzt von CDU und CSU. Vor der Wiederaufnahme hat sich die Bundesregierung deshalb von Israel schriftlich zusichern lassen, dass mit den gelieferten Waffen kein Völkerrecht gebrochen wird. So sollte die juristische Flanke geschlossen werden, was aber kaum möglich ist. Inzwischen treten die Brüche des Völkerrechts ja offen zu Tage.

Isabel
Cademartori

Wir müssen gut hinsehen, welche Waffen oder Ersatzteile oder Munition, die Deutschland liefert, in Gaza und in anderen expansiven kriegerischen Handlungen zum Einsatz kommen. Die sollten wir nicht mehr liefern.

Bezieht sich Ihre Forderung des Exportstopps auf alle Waffen?

Israel ist ein Staat, der prinzipiell bedroht ist, vor allem von seinen direkten Nachbarn. Natürlich muss Israel sich verteidigen können. Es geht also nicht darum, Schutzausrüstung von Soldaten oder Flugabwehr für den „Iron Dome“ oder langfristige Sicherheitskooperation abzusagen und einzustampfen. Wir müssen aber gut hinsehen, welche Waffen oder Ersatzteile oder Munition, die Deutschland liefert, in Gaza und in anderen expansiven kriegerischen Handlungen zum Einsatz kommen. Die sollten wir nicht mehr liefern. Es gibt aber auch noch einen weiteren Grund, weshalb ich mich für einen Stopp der deutschen Waffenexporte nach Israel ausspreche.

Welchen?

Es geht auch darum, die Regierung von Benjamin Netanjau wirksam unter Druck zu setzen, von ihrem Kurs in Gaza abzurücken und sich wieder an den Verhandlungstisch zu begeben sowie Hilfslieferungen zuzulassen. Die israelische Regierung muss sich auf einen politischen Prozess einlassen, bei dem auch die Rechte und die Würde der Palästinenser geschützt werden. Alle bisherigen diplomatischen Bemühungen haben hier offensichtlich nicht gefruchtet. Deshalb müssen wir jetzt über konkrete Handlungen nachdenken und nicht nur über Worte.

Sie haben sich schon mehrfach deutlich in dieser Richtung geäußert. Inzwischen bekommen Sie auch Unterstützung von verschiedenen Kolleg*innen aus der Fraktion. Hat sich die SPD zu lange mit Kritik an Israel zurückgehalten?

Meiner Meinung nach schon. Es gab schon früher kritische Stimmen, auch mehr als öffentlich sichtbar waren. Insgesamt war die Linie der SPD aber lange Zeit viel zu unkritisch und, ja, auch falsch. Als Bundeskanzler hat Olaf Scholz viel zu lange versäumt, rote Linien gegenüber Israel zu ziehen und auch zu reagieren, wenn diese roten Linien überschritten werden. Er hatte Israel zum Beispiel deutlich vor einem Angriff auf Rafah gewarnt und gesagt, dass ein solcher Angriff die rote Linie sei. Heute gibt es Rafah quasi nicht mehr, ohne jegliche Konsequenzen von deutscher Seite. Stattdessen wurden die Waffenlieferungen danach sogar noch ausgeweitet. Man darf nicht nur mahnen, sondern muss darauf bestehen, dass das Völkerrecht eingehalten wird.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hält nichts von einem Lieferstopp für Waffen, fordert aber eine ehrliche Debatte über den Begriff der deutschen „Staatsräson“ gegenüber Israel. Wie definieren Sie sie?

Ich bin sehr froh über die Initiative des Antisemitismusbeauftragten. Er hat vollkommen Recht, dass der Begriff unpräzise ist und deshalb leicht missbraucht werden kann. Aus meiner Sicht ist die Staatsräson der Sicherheit Israels untrennbar auch mit dem Selbstbestimmungsrecht und der Sicherheit der Palästinenser verbunden. Ich fremdele mit dem Begriff der „Staatsräson“, weil er sinnvolle Debatten allzu oft erschwert und als Argument eingesetzt wird, um jegliche Kritik am israelischen Vorgehen totzuschlagen. Für die deutsche Nahostpolitik ist der Begriff nicht hilfreich.

Isabel
Cademartori

Wenn Deutschland eine wichtige, diplomatische Stimme im Nahen Osten sein und bleiben möchte, sollte es sich an der Initiative Frankreichs beteiligen und über den Prozess reden, wie es zu einer Anerkennung Palästinas kommen kann.

Spanien, Irland und Norwegen haben bereits im vergangenen Jahr Palästina als Staat anerkannt. Frankreich hat dies auch bereits angekündigt. Sollte Deutschland dem Beispiel folgen?

Ja. Wenn Deutschland eine wichtige, diplomatische Stimme im Nahen Osten sein und bleiben möchte, sollte es sich an der Initiative Frankreichs beteiligen und über den Prozess reden, wie es zu einer Anerkennung Palästinas kommen kann. Das Ziel muss eine Zwei-Staaten-Lösung sein. Leider entwickelt sich die Situation in Israel eher in eine andere Richtung, weil Fakten geschaffen werden. Im Westjordanland und in Ost-Jerusalem werden Palästinenser gewaltsam vertrieben. Es wird Land annektiert. Es werden im Rekord-Tempo Siedlungen genehmigt und neu gebaut. Wenn es so weitergeht, wird es bald kein Land mehr geben, wo noch ein Palästinenser-Staat entstehen kann. Und Gaza selbst soll ja jetzt nach den Plänen der Regierung auch von Israel besiedelt werden. Um die Palästinenser zu schützen, wäre es wichtig, die Anerkennung ihres Staates voranzutreiben, gemeinsam mit anderen europäischen Ländern und Partnern in der Region, um dann auch einen Prozess der Verständigung zwischen den beiden Lagern zu erzwingen

Welche Erwartungen haben Sie da an die Bundesregierung?

Erstmal muss ich sagen, dass ich durchaus positiv überrascht bin über die Töne, die Friedrich Merz und Johann Wadephul in den letzten Tagen anschlagen. Das hätte ich so kritisch nicht erwartet, wenn ich das mit ihren Äußerungen vor der Wahl und in den letzten Jahren vergleiche. Nun ist aber wichtig, dass den Worten auch Taten folgen. Es ist schließlich hinreichend bewiesen, dass Netanjahu und seine Minister sich von mahnenden, eindringlichen, freundschaftlichen Worten nicht beeindrucken lassen, sondern ihren Plan eiskalt durchziehen. Und der einzige Hoffnungsschimmer, dass sie da vielleicht doch davon abdrücken, ist, wenn sie echte Konsequenzen ihres Handelns zu spüren bekommen. Deshalb sollte die Bundesregierung unbedingt gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern den Druck erhöhen. Dazu gehört für mich etwa, das EU-Israel-Assoziierungsabkommen zu überprüfen.

Ich hätte es auch richtig gefunden, wenn sich die Bundesregierung der Initiative aus Kanada, Großbritannien und Frankreich angeschlossen hätten, mit Maßnahmen zu drohen, wenn die humanitäre Hilfe für Gaza nicht gewährleistet wird. Ganz allgemein finde ich es sehr, sehr wichtig und erwarte auch von der Bundesregierung, dass sie ohne Wenn und Aber zum Völkerrecht steht und auch die Urteile oder die Rechtsprechung der internationalen Gerichte respektiert. Das bedeutet auch, einen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu in Deutschland zu vollstrecken. Ansonsten machen wir uns komplett unglaubwürdig.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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