International

Präsidentschaftswahl in Polen: Warum bei der Stichwahl jede Stimme zählt

Am 1. Juni entscheidet sich, wer neuer polnischer Präsident wird. In der Stichwahl läuft es auf ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem liberalen und dem konservativen Kandidaten hinaus. Dabei steht die pro-europäische Ausrichtung des Landes auf dem Spiel.

von Karolina Golimowska · 22. Mai 2025
Der amtierende polnische Staatspräsident Rafal Trzaskowski und seine Frau winken in die applaudierende Menge.

Der amtierende polnische Staatspräsident Rafal Trzaskowski und seine Frau winken in die applaudierende Menge.

Am vergangenen Sonntag waren die Pol*innen aufgerufen, eine*n neue*n Präsident*in zu wählen. 67,3 Prozent der wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs bringen zwei der Präsidentschaftskandidaten in die für den 1. Juni geplante Stichwahl. Die Wahlbeteiligung war zwar ziemlich hoch, aber nicht so hoch wie bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023, als die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nach acht Jahren die Mehrheit im polnischen Unterhaus Sejm verlor – damals lag die Wahlbeteiligung bei 74,4 Prozent. Es gibt also noch Wählergruppen, die in den nächsten anderthalb Wochen mobilisiert werden können. Dazu gehören beispielsweise Wähler*innen über 60. 

Viel steht auf dem Spiel bei dieser Präsidentschaftswahl und es geht nicht nur um die beiden Kandidaten Karol Nawrocki, der von der PiS unterstützt wird, und den liberalen Stadtpräsidenten von Warschau, Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform PO, die es in die Stichwahl geschafft haben. Längerfristig geht es hier darum, ob die derzeit regierende Koalition unter dem Premierminister Donald Tusk in den nächsten zwei Jahren bis zur nächsten Parlamentswahl wirklich regieren kann oder das Land lediglich verwaltet. Das letztere wäre kein nachhaltiges und zufriedenstellendes Szenario. 

Stichwahl in Polen: Pro-Amerika oder Pro-Europa

Auf der internationalen Bühne würde der Sieg des Nationalkonservativen Nawrockis eine in erster Linie proamerikanische Außenpolitik bedeuten. Für große Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien sorgten Fotos von ihm mit US-Präsident Donald Trump, der ihn während des Wahlkampfes im Weißen Haus empfangen hatte. Der Sieg Trzaskowskis würde hingegen eine konsequente Fortsetzung der pro-europäischen-Politik Tusks bedeuten, in der die deutsch-polnischen Beziehungen von großer Bedeutung sind. 

Anders als in Deutschland hat der Staatsoberhaupt Polens nicht nur repräsentative Aufgaben. Er hat ein umfangreiches Veto-Recht, was ihm eine gesetzgeberische Mitgestaltung ermöglicht. Das heißt, er kann Gesetzänderungsvorschläge blockieren. Die letzten anderthalb Jahre waren durch Diskrepanzen zwischen der PO-Regierung von Donald Tusk und dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda geprägt, was dazu führte, dass wichtige, 2023 durch die Bürgerkoalition gemachte Wahlversprechen, nicht erfüllt werden konnten. Viele der Wähler*innen, die im Herbst 2023 für die Bürgerkoalition gestimmt hatten, sind enttäuscht.

Kriegsthemen wichtig bei Wahlen in Polen

Im polnischen politischen System ist der Präsident ebenfalls der Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte. Entsprechend wichtig sind in diesem Wahlkampf Themen, die mit der Verteidigung, der polnischen Armee, deren Rüstung und Einsatzmöglichkeiten zusammenhängen. Auch die Wahrnehmung des Krieges in der Ukraine ist anders als in Deutschland: Für die Pol*innen ist die Ukraine geografisch viel näher, das aggressive Vorgehen Russlands stellt eine reale Gefahr dar. Deswegen sind, im Gegensatz zur deutschen politischen Landschaft, die politischen Lager in Polen von rechts bis links anti-russisch eingestellt. Der einzige prorussische Sympathisant unter den Präsidentschaftskandidaten des ersten Wahlgangs war Maciej Maciak, der nur 0,19 Prozent der Stimmen erhalten hat und somit für seine Ideen kaum Unterstützung fand.   

Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kandidaten in der Stichwahl, in der wohl jede Stimme zählt. In den nächsten Tagen wird es primär darum gehen, die Stimmen zu verteilen, die im ersten Wahlgang an die übrigen Kandidat*innen gingen, und zusätzliche Wählergruppen zu mobilisieren. 

Wichtige Wähler*innen des Drittplatzierten

Historisch gesehen hat in der Stichwahl in Polen oft der drittstärkste Kandidat des ersten Wahlgangs eine entscheidende Rolle durch die Umverteilung seiner Stimmen gespielt. So war es bei den Präsidentschaftswahlen in 2015, bei denen Andrzej Duda dank der Stimmen des im ersten Wahlgang drittplatzierten Paweł Kukiz siegte. 

So war es auch 2005, als viele der Wähler*innen des Rechtspopulisten Andrzej Lepper in der Stichwahl PiS-Gründer Lech Kaczyński wählten und so zu seinem Sieg gegen Donald Tusk beitrugen. Und so wird es vermutlich auch diesmal sein. Deshalb ist es so wichtig, für welchen Kandidaten sich der Rechtsextreme Sławomir Mentzen aussprechen wird, der mit seinem Parteibündnis Konfederacja (Konföderation) 14,81 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang holte. In einer Pressekonferenz am 20. Mai kündigte Mentzen Gespräche mit Trzaskowski und Nawrocki an – auf seinem YouTube-Kanal und nach seinen eigenen Regeln. 

Mentzen will den Kandidaten acht Bedingungen stellen, an denen sie sich messen müssen. Wer von ihnen am Ende alle acht Bedingungen unterzeichnet, erhält seine Unterstützung. Mentzen versucht also die Karten zu verteilen. Für Rafał Trzaskowski dürfte es schwierig werden, die Punkte zu unterzeichnen. Unter anderem fordert der Rechtsextreme ein „nein“ für die Ukraine in der Nato und ein „ja“ zu unbegrenztem Waffenzugang. 

Auf die jungen Wähler*innen kommt es an

Wäre es nach den jüngeren Pol*innen gegangen, dann würde sich die Stichwahl wohl nicht zwischen Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki entscheiden – sondern zwischen Mentzen und Adrian Zandberg von der linksgerichteten Partei Razem („Gemeinsam“). Umfragen zeigen, dass die Polarisierung in Altersgruppen unter 40 nicht entgegen der „alten“ Achse PiS-PO (Recht und Gerechtigkeit und Bürgerplattform, also Jarosław Kaczyński und Donald Tusk) abläuft, sondern zunehmend zwischen radikaleren linken und rechten politischen Kräften. Die Wahlbeteiligung bei Menschen zwischen 18 und 29 Jahren lag bei 72,8 Prozent. 34,8 Prozent der Wähler*innen in dieser Altersgruppe haben für Mentzen gestimmt. Zandberg hat 18,7 Prozent ihrer Stimmen bekommen. Zu beobachten ist also eine aktive Radikalisierung der jungen Pol*innen und eine Zuspitzung ihrer Meinungen und Werte. 

Bei der Stichwahl kommt es also darauf an, wie die jungen Wähler*innen abstimmen – und ob sie überhaupt wählen gehen. 

Autor*in
Karolina Golimowska
Karolina Golimowska

ist Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin von Kurzprosa und journalistischen Texten. 2014 wurde sie mit dem Deutsch-Polnischen Journalistenpreis ausgezeichnet.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.