Israels Irrweg: Warum ein Regimewechsel im Iran gefährlich wäre
Das iranische Atomprogramm dient Israel nur als Vorwand für den Krieg. Die Illusion von einem Regimewechsel im Iran droht zum geopolitischen Albtraum zu werden – mit unkalkulierbaren Folgen für die ganze Region.
IMAGO/ZUMA Press Wire
Ein Mann hält ein Porträt des Obersten Führers des Iran, Ali Khamenei.
Kaum 48 Stunden nach Beginn des israelischen Präventivkriegs gegen den Iran wird deutlich, dass es dabei keineswegs ausschließlich um das iranische Atomprogramm geht. Im Interview mit dem US-Sender Fox News sprach Premierminister Netanjahu erstmals von einem Regimewechsel im Iran. Einen Tag später erklärte er, die Ermordung des Obersten Revolutionsführers Ali Khamenei könne den Krieg beenden.
Der Angriff auf den Iran, den Netanyahu als den „Kopf des Oktopus“ bezeichnet, dessen Tentakel in Form von Hamas, Hisbollah und Huthis er nach eigenen Angaben bereits abgeschlagen habe, entspricht seiner Vision eines neuen Nahen Ostens: einer Region, in dem Israel als hochgerüsteter Militärstaat nach Belieben agieren kann. Diese Vorstellung findet auch im Westen Anhänger*innen. Nicht nur unter amerikanischen Falken, die bereits mit den Hufen scharren, um in den Krieg einzutreten. Auch der deutsche Bundeskanzler dankt Israel dafür, „die Drecksarbeit zu machen“, und wünscht sich ein Ende des islamistischen Regimes.
Dies ist nicht nur völkerrechtlich problematisch, weil eine solche Zielsetzung Tür und Tor öffnet für eine Welt, in der jeder Staat seinen Nachbarn überfallen kann, sobald ihm dessen ideologische Ausrichtung missfällt oder er sich auf eine vermeintliche Bedrohung beruft. Es sind die demokratischen Staaten des Westens, die sich in Form der G7 hinter Israel stellen und dabei das Völkerrecht faktisch aushebeln. Ein Krieg, dessen Vorwand ursprünglich das angeblich kurz vor der militärischen Vollendung stehende Atomprogramm war, würde so verschärft und verlängert. Wer ein solches Ziel ausruft, müsste kämpfen, bis das Regime fällt. Erstaunlich ist, dass hier eine Idee ihr Comeback feiert, die eigentlich kaum stärker diskreditiert sein könnte.
Von außen erzwungene Regimewechsel
Irak, Afghanistan, Libyen – sie stehen exemplarisch für das Scheitern von Regimewechseln, die von außen erzwungen wurden. Freiheit und Frieden, so die hehren Ideale der neokonservativen Hasardeure, lassen sich nicht herbeibomben. Nach dem Sturz eines Diktators drohen Staatszerfall, Bürgerkrieg und Gewaltproliferation – Verhältnisse, die für die Betroffenen oftmals um ein Vielfaches grausamer sind als die zuvor. Hunderttausende haben die hochfliegenden Pläne wohlmeinender Demokratiebringer mit dem Leben bezahlt.
„Diesmal ist alles anders“ – davon sind zumindest einige Kommentator*innen überzeugt. Der Iran sei schließlich kein kolonial zusammengestückeltes Gebilde wie der Irak oder Libyen. Sondern ein national konsolidierter Staat mit 2500-jähriger Geschichte, mit einer gebildeten, säkularen und weitgehend pro-westlichen Gesellschaft. Diese leide lediglich unter den mittelalterlichen Mullahs und lechze förmlich nach Befreiung.
Die Vorstellung von einer iranischen Besonderheit ist im Westen möglicherweise auch deshalb so verbreitet, weil sie von nicht unerheblichen Teilen der Exilcommunity genauso erzählt wird. Doch ob dieses Selbstbild mit der Realität im Nahen Osten tatsächlich übereinstimmt, ist zumindest fraglich. Zwar deuten viele Indikatoren auf eine große Unbeliebtheit des Regimes hin. Anders als das Königreich Saudi-Arabien ist die Islamische Republik längst keine Zustimmungsautokratie mehr. Ihr Überleben verdankt sie auch der Repression – und diese war bislang stets sehr erfolgreich. Protestwelle um Protestwelle wurde in der Vergangenheit gewaltsam niedergeschlagen. Es wäre naiv zu glauben, dass ausgerechnet dieses Regime durch einige Tage Luftangriffe an den Rand des Zusammenbruchs gebracht werden könnte.
Iran ist ein konsolidierter Staat
Zur Wahrheit gehört: Die Islamische Republik ist keine reine neopatrimoniale Kleptokratie, die man durch die Beseitigung der politischen Spitze analog zu den Mubaraks, Ben Alis oder Assads mal eben so politisch schachmatt setzen könne. Sie ist ein konsolidierter Staat mit Institutionen, die seit 46 Jahren bestehen, weitgehend ohne äußere Unterstützung und meist isoliert gegenüber dem Großteil der Welt. Trotz wachsender Entfremdung von großen Teilen der eigenen Bevölkerung verfügt das Regime weiterhin über aktive Trägerschichten, die tief in die Gesellschaft hineinreichen und seine religiös begründete Legitimität anerkennen.
Es ist stark anzunehmen, dass diese Gruppen, insbesondere die Führungskader aus Politik, Staat und Militär, im Falle eines von außen erzwungenen Umsturzes kämpfen würden. Schon deshalb, weil sie – anders als die Vertreter*innen des 1979 gestürzten Operettenregimes des Schah – über keinerlei gesicherte Exiloption verfügen. Islamische Republik oder Tod ist die Alternative, vor der viele stehen. Das bedeutet nicht, dass der nonchalant geforderte Regime Change gänzlich unmöglich wäre, es bedeutet aber, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr blutig abliefe.
Nicht nur nach innen droht Gewalt, wie schon der Konsolidierungsprozess der Revolution von 1979 gezeigt hat, der Millionen ins Exil trieb und Hunderttausende das Leben kostete – bis heute ein Trauma der iranischen Gesellschaft. Auch nach außen ist Eskalation möglich. Eine Kapitulation steht nicht in Aussicht. Sollte sich das Regime existenziell bedroht fühlen, könnte es einsame Entscheidungen treffen: eine Blockade der Straße von Hormuz, Angriffe auf die Ölinfrastruktur und die glitzernden Städte am Golf. All das wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes ist keineswegs gebannt.
Keine Opposition, die übernehmen könnte
Die Frage ist ohnehin, was nach der Islamischen Republik folgen würde. Im Land selbst existiert aus nachvollziehbaren Gründen keine organisierte Opposition – weder politisch noch bewaffnet. Und im Exil stehen mit den Volksmudschaheddin und den Monarchisten zwei Kräfte bereit, deren Schlagkraft zweifelhaft ist. Erstere vollbringen das Kunststück, noch verhasster als das Regime zu sein – nicht zuletzt, weil sie sich im ersten Golfkrieg auf die Seite des irakischen Aggressors Saddam Hussein stellten. Fatalerweise könnte dem Kronprinzen Reza Pahlavi jetzt ein ähnliches Schicksal drohen, da er für viele seiner nun bombardierten Landsleute doch etwas zu eng am Rockzipfel von Benjamin Netanjahu hängt.
Von israelischen Jets aus über den Pfauenthron abgeworfen zu werden, dürfte stolzen persischen Nationalisten eher missfallen. Und den liberalen sowie progressiven Kräften ist es, so die bittere Wahrheit, in einem halben Jahrhundert im Exil nicht gelungen, auch nur ansatzweise organisierte Strukturen aufzubauen. Erstaunlich vor allem deshalb, weil die Islamisten selbst ihre Machtübernahme 1979 durch jahrelange Exilarbeit vorbereitet hatten. Vom Revolutionsführer Ayatollah Khomeini zu lernen, war für seine Gegner offenbar keine Option.
Dass die israelischen Bombardements einen pro-westlichen Umsturz herbeiführen werden, ist, wenn nicht ausgeschlossen, so doch höchst unwahrscheinlich. Dies gilt selbst im Falle einer Ermordung des Obersten Revolutionsführers, wie sie bereits von Netanjahu und US-Präsident Donald Trump angedroht wurde. Der Revolutionsführer ist tatsächlich ein neuralgischer Punkt: Aufgrund seiner doppelten politischen und religiösen Autorität ist er schwer zu ersetzen. Einen Nachfolger hat Khamenei bislang nicht aufgebaut, was sich nun rächen könnte.
Krieg könnte Gegenteil bewirken
Der Kreis potenzieller Nachfolger ist begrenzt, zumal ein Nachrücker sowohl in der Kernanhängerschaft als auch in der breiten Bevölkerung ein Mindestmaß an Legitimität ausstrahlen müsste. Doch selbst wenn dies nicht gelänge, blieben andere Optionen. Die Institutionen der Republik sind stabil, und während des Krieges sind kaum Massenproteste zu erwarten. Dass der Staat den Weg in Richtung Militärdiktatur einschlagen könnte, wurde von Experten bereits vor Kriegsausbruch als mögliches Szenario diskutiert.
Auch unter einer Militärdiktatur würde sich die Nuklearfrage keineswegs in Wohlgefallen auflösen – im Gegenteil. Ein nach Revanche dürstendes Land dürfte erst recht nach der Bombe streben. Ein 90-Millionen-Staat von der Größe Irans ist unabhängig von der politischen Couleur seiner Führung ein natürlicher Anwärter auf regionale Hegemonie. Gerade für die Golfstaaten ist die Islamische Republik „der Teufel, den man kennt“ – was danach käme, ist ungewiss. Die Lektion, die Teheran gelernt hat – und die möglicherweise auch in Riad, Ankara und Kairo auf offene Ohren stößt – ist die von der Atombombe als Überlebensversicherung. Ein Iran mit Bombe wäre in dieser regellosen Welt nicht angegriffen worden, der Iran ohne hingegen schon. Der Krieg könnte somit genau das Gegenteil dessen bewirken, was seine Angreifer beabsichtigen: einen nuklear bewaffneten Iran und eine Region im Proliferationswettlauf.
Iran ist ein Vielvölkermosaik
Nicht minder bedrohlich wäre das Szenario, in dem der Staat infolge des Krieges – mit oder ohne regionalen Flächenbrand – tatsächlich zu zerfallen droht, weil ein geordneter politischer Übergang scheitert. Es wäre ein Horrorszenario aus Bürgerkrieg, ideologisch und möglicherweise auch ethnisch befeuert. Fast 40 Prozent der Iraner*innen gehören ethnischen Minderheiten an, konzentriert in den nördlichen, westlichen und südlichen Randregionen. Jedes Regime stand bisher vor der Herausforderung, dieses Vielvölkermosaik zusammenzuhalten. Eine Balkanisierung des Landes wäre ein Rezept für endlose Gewalt, die auch auf die Nachbarstaaten ausstrahlen könnte – Interventionen nicht ausgeschlossen. Und das alles am Nordende der Straße von Hormuz, durch die 30 Prozent des weltweiten Seeölhandels fließen. Unter solchen Umständen ließe sich die amerikanische Hinwendung nach Asien kaum aufrechterhalten.
All das zeigt: Der süße Traum vom Regimewechsel im Iran könnte sich nur allzu leicht in einen Albtraum verwandeln. Westliche Politiker sollten ihrer eigenen Hybris widerstehen und diesen Krieg beenden, statt ihn weiter anzuheizen. Ein geschwächter Iran ließe sich einhegen und zähmen. Ein in die Enge getriebenes, schwer angeschlagenes Land im Überlebenskampf hingegen ist unberechenbar.
Dieser Beitrag erschien zuerst im IPG-Journal.