Kultur

„Irdische Verse“ und „Nilas Traum“: Zwei Filme über den absurden Iran

Wenn Menschen an der Bürokratie verzweifeln: Die Kino-Satire „Irdische Verse“ und der Dokumentarfilm „Nilas Traum im Garten Eden“ zeigen absurde und kafkaeske Seiten der Islamischen Republik Iran.

von Nils Michaelis · 12. April 2024
Kinosatire "Irdische Verse" über den absurden Iran

Eine vielsagende Szene in „Irdische Verse": Sind diese Tattoos „normal"? Bevor Farbod (Hossein Soleymani) seinen Führerschein erhält, muss er prüfende Fragen beantworten.

„Nehmen Sie Medikamente?“, fragt ein Mitarbeiter der Verkehrsbehörde den Besucher. „Ja, Säureblocker“, antwortet dieser. „Wieso, werden Sie schnell sauer?“, hakt der Mitarbeiter nach. Eigentlich wollte Farbod nur seinen Führerschein abholen. Doch in der Amtsstube muss der junge Mann einen Schwall von Fragen über sich ergehen lassen. Nicht zuletzt wegen der vielen Tattoos und seines Micky-Mouse-Shirts. Schließlich muss er nachweisen, dass er moralisch und religiös gefestigt ist, um eine Fahrerlaubnis zu bekommen. 

Konfrontiert mit Kontrollwahn

Es ist eine von neun Episoden, in denen der iranische Film "Irdische Verse" den Alltag im Mullah-Staat durch den Kakao zieht. Genauer gesagt: Es sind Situationen, in denen es Menschen mit der Bürokratie und ihrem Kontrollwahn zu tun bekommen. Eine Taxifahrerin hat gegen die Kleiderordnung verstoßen und bangt um ihre Lizenz. Ein Vater möchte den unkonventionellen Namen seines Neugeborenen eintragen lassen. Ein Filmemacher hofft auf die Genehmigung seines nächsten Projektes. All diese Menschen stehen in der Amtsstube plötzlich vor unerwarteten Hindernissen. 

Dass die Abgründe der iranischen Behörden, einer zentralen Stütze der autoritären Herrschaft, in satirischer Form behandelt werden, ist ebenso neu wie wirkungsvoll. Das in Cannes uraufgeführte Werk des prominenten iranischen Filmemachers Ali Asgari lebt von einer strengen Form. Vor der Kamera, die so gut wie immer unbewegt bleibt, nehmen die Besucher*innen Platz. Wir beobachten sie aus der Perspektive der Staatsbediensteten, die ihnen gegenübersitzen und aus dem Off mit unnachgiebigen Fragen ihre Macht demonstrieren. 

Ein Hauch von Loriot

Sie tun dies oft durchaus kultiviert und geistreich, sodass sich Dialoge auf literarischem Niveau ergeben. Und doch sind viele Momente auf formvollendete Weise absurd und komisch wie ein Sketch von Loriot. Dieser Blick von Ali Asgari – er fungierte als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent und kennt sich mit den Schikanen des Regimes bestens aus – auf die Zustände im Gottesstaat ist äußerst erfrischend, erhellend und mutig. Und nicht zuletzt sehr unterhaltsam. 

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Sexuelle Abenteuer in der „heiligen Stadt“

Wie Behörden und Vorschriften den Menschen im Iran das Leben schwermachen, zeigt auch der Dokumentarfilm „Nilas Traum im Garten Eden“, wenngleich unter ganz anderen Vorzeichen. Seit den 90er-Jahren lebt die Filmemacherin Niloufar Taghizadeh in der Bundesrepublik. Immer wieder reist sie für ihre Projekte in ihr Geburtsland Iran. Ihr neuer Film legt einige Tabus und die Bigotterie in der „heiligen Stadt“ Maschhad offen. Vor allem aber zeigt er, wie eine Gesetzeslücke, die ein Ausdruck jener Bigotterie ist, einer Frau und ihrer Tochter Steine in den Weg legt. 

Es ist kaum zu glauben: Ausgerechnet unweit des heiligen Schreins, wo der achte schiitische Imam Reza verehrt wird, bahnen Männer und Frauen sexuelle Abenteuer an. Sie gehen eine sogenannte Ehe auf Zeit ein und vergnügen sich miteinander in einer nahen Unterkunft. Mitunter dauern solche Ehen nur eine Stunde.

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Auch Leyla hat sich dieser landesüblichen Praxis, um die strengen Moralvorschriften zu umgehen, bedient. Was allerdings nicht geplant war: Sie wurde schwanger. 

Offiziell existiert Nila nicht

Von dem Dilemma, das daraus folgte, erzählt dieser Film. Offiziell existiert Leylas Tochter Nila gar nicht. Der Grund: Ihr Vater weigert sich, sie anzuerkennen. Daher konnten die Behörden bislang keine Geburtsurkunde für das Kind ausstellen. Zahllosen anderen verleugneten Kindern solcher Ehen auf Zeit geht es ähnlich. Nun ist Nila sechs Jahre alt und möchte zur Schule gehen. Doch ohne Geburtsurkunde ist eine Anmeldung unmöglich. Für Leyla beginnt ein kafkaesker Behördenmarathon.

Leyla lässt nicht nach, Nilas Rechtsstatus zu klären und einen Plan B zu entwickeln. Sie tut alles, um ihrer Tochter eine Zukunftsperspektive zu bieten. Doch je tiefer sie sich in das Dickicht von Verwaltung und Justiz hineinbegibt, desto undurchdringlicher wird es. Derweil bemüht sie sich, dem Kind ein möglichst schönes Leben „im Verborgenen“ zu ermöglichen, erfüllt von bedingungsloser Liebe und Träumen. Doch Leylas unerschütterliches Lächeln kann nicht verbergen, dass ihr Frust auf das System wächst.

Das Wechselspiel der Szenen zu Hause, in Amtsgebäuden und auf den Straßen der iranischen Metropole verdeutlichen das Spagat, das nicht nur Leyla und Nila in ihrer besonderen Lage, sondern die Iraner*innen als solche täglich durchleben. Viele Szenen konnten nur heimlich gedreht werden. Somit ergeben sich intensive Einblicke in einen von ultrakonservativen Traditionen geprägten Alltag. An der einen oder anderen Stelle hätte dieser berührenden, ganz auf Mutter und Tochter fokussierten Erzählung allerdings eine Auflockerung oder eine Erweiterung der Perspektive gutgetan.

„Irdische Verse“ (Iran 2023), ein Film von Ali Asgari, 77 Minuten, ab 6 Jahre.

neuevisionen.de

„Nilas Traum im Garten Eden“ (Iran 2023), ein Film von Niloufar Taghizadeh, 98 Minuten, ab 12 Jahre.

littledream-pictures.com

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