Wie ein Verein bedrohten Kommunalpolitiker*innen hilft
Viele Kommunalpolitiker*innen werden angefeindet oder bedroht. Der Verein Starke Demokratie unterstützt sie. Interview mit Vorstandsmitglied Nicole Tomczak.
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Nicole Tomczak ist im Vorstand von „Starke Demokratie e.V.” und verantwortet die Kommunikation.
Der Verein Starke Demokratie e.V. unterstützt kommunalpolitisch aktive Menschen, die bedroht werden. Wie ist der Verein entstanden?
Nicole Tomczak: Gegründet wurde er von Meinolf Meyer und Niels Fischer. Der Anlass war der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke im Juni 2019. Er wurde auf seiner Terrasse erschossen, weil er mehr Geflüchtete aufgenommen hat, als er musste. Die Tat hat ihn entsetzt. Sein Eindruck war, dass gerade Kommunalpolitiker*innen nicht ausreichend geschützt werden. Sie erleben Anfeindungen anders als Landes- oder Bundespolitiker*innen. Viele Kommunale arbeiten ehrenamtlich. Sie haben keine Büros mit vielen Mitarbeitenden, sondern lesen ihre E-Mails abends zuhause. Wenn sie dann Hassnachrichten oder Morddrohungen bekommen, ist das eine enorme Belastung.
Der Verein will hier helfen. Welche Angebote macht er den Kommunalpolitiker*innen?
Ein Kern unserer Arbeit ist, dass wir Workshops anbieten – sowohl in Präsenz als auch online. Dort können sich die politisch Aktiven mit bestimmten Themen auseinandersetzen, damit sie besser gewappnet sind. Zum Beispiel: Woher kommen Hass und Gewalt, welche Ursachen hat das und welche Strategien kann ich anwenden, wenn ich betroffen bin?
Dazu kommen Informationsangebote wie Newsletter oder ein Podcast, in dem wir mit Leuten aus Wissenschaft und Politik sprechen. Und zusammen mit Kooperationspartnern bieten wir auch Einzelcoachings für Kommunalpolitiker*innen an. Das ist für diese zunächst kostenfrei.
Was raten Sie den Menschen, die bedroht werden?
Unser Schwerpunkt liegt auf der Prävention. Es gibt einige Leitsätze, die wir den Kommunalen immer wieder mitgeben. Zum Beispiel: Achte auf dein persönliches Wohlbefinden. Es gibt viele Kommunalpolitiker*innen, sich einreden, sie müssten die Anfeindungen einfach wegstecken. Es heißt dann oft: „So etwas muss man in der Politik aushalten.“ Nach einem Monat merken sie, dass es sie doch überwältigt. Deshalb sagen wir: Nehmt ernst, was euch passiert! Schaut, ob ihr damit wirklich umgehen könnt.
… und dann?
Geben wir Tipps, zum Beispiel für die physische Sicherheit. Wie ist der Zugang zu den Amtsräumen geregelt, kann da einfach jeder hineinspazieren? Muss ich in meinem Online-Auftritt wirklich alles preisgeben, auch wo ich abends im Wald spazieren gehe oder auf welche Schule meine Kinder gehen? Das sind Angriffsflächen, die man verkleinern kann. Im Haustürwahlkampf sollte man grundsätzlich zu zweit unterwegs sein. Und noch etwas raten wir …
Nämlich?
Netzwerke bilden. Das wissen wir von vielen Kommunalpolitiker*innen, die Erfahrungen mit Anfeindungen gemacht haben: Es ist wichtig, dass sie mit anderen Menschen darüber sprechen können. Mit ihrer Familie, aber auch mit ihrer Fraktion oder anderen Ratsmitgliedern. Und zwar überparteilich! Bei den Anfeindungen geht es oft darum, jemanden klein zu machen. Man kann sich im politischen Alltag den ganzen Tag darüber streiten, wo die neue Kita stehen soll. Aber wenn Personen bedroht und eingeschüchtert werden, wird die Demokratie selbst angegriffen. Da ist Solidarität gefragt. Es hilft, wenn es Netzwerke gibt, die vorher schon aufgebaut wurden und wo klar ist: Wenn einem von uns etwas passiert, unterstützen wir uns.
Welche Rolle spielt dabei die Polizei?
Wir raten dazu, jede Straftat zur Anzeige zu bringen. Der Weg zur Polizei ist nicht immer einfach und leider hören wir immer wieder, dass die Polizei falsch reagiert. Aber jede Anzeige hilft, das Dunkelfeld aufzuhellen und deutlich zu machen, was täglich überall in Deutschland passiert. Wir haben einen Rechtsstaat und ja, der kämpft auch zurück.
Ist Ihnen ein Fall besonders im Gedächtnis geblieben?
Was mich bewegt hat, ist die Geschichte einer jungen SPD-Politikerin aus Schleswig-Holstein. Sie hat Morddrohungen erhalten, und es war offensichtlich, dass der Täter aus rassistischen Motiven handelte. Sie hat viel durchgemacht, wurde nachts im Auto angerufen, es wurde eine Todesanzeige an die Genoss*innen verschickt. Das hat auch die Familie betroffen. Sie ist zur Polizei gegangen, aber die hat das am Anfang nicht richtig ernstgenommen. Es hieß: Das ist bestimmt ein Verflossener, der nicht damit zurechtkommt, dass er abgewiesen wurde. Für die Frau war das schlimm, denn der Täter wusste offensichtlich, wo sie wohnt. Mittlerweile wurde der Täter gefunden und musste sich vor Gericht verantworten. Trotzdem beschäftigt das die Frau heute noch, wenn sie zum Beispiel im Auto sitzt. Aber sie ist in der Politik geblieben, immer noch aktiv und sagt: jetzt erst recht!
Wie viele Mitglieder hat der Verein Starke Demokratie und wie finanziert er seine Arbeit?
Wir sind mit rund 30 ehrenamtlich Aktiven deutschlandweit vertreten. Bisher haben wir unsere Arbeit über Spenden finanziert. Mit dem neuen Jahr haben wir zum ersten Mal eine Förderung erhalten durch die Nordmetall-Stiftung. Damit können wir uns 2024 finanziell noch besser auf unsere anstehenden Projekte konzentrieren.
In diesem Jahr stehen in neun Bundesländern Kommunalwahlen an. Die AfD – in einigen Ländern wird sie als rechtsextremistisch eingestuft – hofft angesichts der Umfragewerte auf Zugewinne. Hat das einen Einfluss auf die Arbeit des Vereins und wenn ja, wie bereitet er sich darauf vor?
Solche gesellschaftlichen und politischen Geschehnisse haben immer Einfluss auf unsere Arbeit. Hass und Gewalt haben seit der Flüchtlingsbewegung 2015 deutlich zugenommen. Dann kam Corona, auch da wurde der Ton gegenüber Kommunalpolitiker*innen deutlich schärfer. Und die Wahlen 2024 können auch Einfluss auf das politische Klima haben.
Es ist möglich, dass sich die Zusammensetzung der Kommunalparlamente verändert und damit auch der Ton, die Diskussionskultur. Wir machen schon jetzt Angebote zur kommunalen Konfliktbewältigung. Denn wir erhalten die Rückmeldung aus unserer Zielgruppe, dass so etwas nötig ist. Angriffe gibt es nicht nur von außen, von den Bürger*innen. Auch innerhalb eines Stadt- oder Gemeinderates kann die Tonlage so schlecht werden, dass die Ratsmitglieder nicht mehr miteinander arbeiten können. Wenn sich das nach den Wahlen verstärkt, werden wir darauf mit neuen Angeboten reagieren.
Mehr Informationen:
starkedemokratie.de
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.