Mitte-Studie: Massiver Anstieg rechtsextremer Einstellungen
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Alle zwei Jahre erhebt die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre sogenannte Mitte-Studie. Stets versehen mit einem vorangestellten Attribut. Mit Blick auf rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland in den Jahren 2022/23 lautet der Titel „Die distanzierte Mitte“. Was auf den ersten Blick harmlos klingt, verbirgt erschreckende Erkenntnisse, spiegelt die Studie doch eine gestiegene Distanz der gesellschaftlichen Mitte zur Demokratie wider. So das Ergebnis der repräsentativen Befragung, bei der 2.000 Personen zwischen 18 und 94 Jahren in Deutschland zwischen dem 2. Januar und 28. Februar telefonisch interviewt wurden.
Laut den Autor*innen basiert die aktuelle Mitte-Studie auf einer Fortschreibung vorangegangener Studien. Dementsprechend sind auch die gewonnenen Ergebnisse vergleichbar. So sind zwar 87 Prozent der Befragten der Meinung, in einer Demokratie sollte die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle stehen. Doch in den Jahren 2018/19 stimmten noch 93 Prozent dieser Aussage zu. Gleichzeitig sind nur noch 57 Prozent der Meinung, dass die Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniere. Dieser Wert lag 2018/19 immerhin noch bei 65 Prozent.
Ost-West-Unterschied
Besonders auffällig: Die Zustimmung zu einem rechtsextremem Weltbild ist mit 8,3 Prozent auf einen Rekordwert gestiegen. Oder anders ausgedrückt: Jede*r Zwölfte in Deutschland teilt ein rechtsextremes Weltbild. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren waren es noch marginale 1,7 Prozent, davor 2,5 Prozent. Zugleich ist der Graubereich auf 20 Prozent gestiegen. Nur noch 71,6 Prozent lehnen ein rechtsextremes Weltbild eindeutig ab. Fast ein Viertel stimmt der Aussage zu, dass Deutschland jetzt eine einzige starke Partei brauche, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpere.
„Was wir auch sehen, ist ein Ost-West-Unterschied“, sagt Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld und neben Beate Küpper und Nico Mokros einer der Herausgeber*innen der Mitte-Studie während einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin. So sei die Befürwortung einer Diktatur in Ostdeutschland weiter stärker verbreitet, ebenso die Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Zustimmung zu Antisemitismus. Jedoch gebe es auch in Westdeutschland mit 15,1 Prozent eine hohe Zustimmung zu Fremdenfeindlichkeit.
Hohe Zustimmung zu Rechtsextremismus bei jungen Menschen
Interessant ist der Blick auf die Parteipräferenz von Menschen mit rechtsextremem Weltbild. Wenig überraschend würden 24,1 Prozent von ihnen die AfD wählen, jedoch auch 15,9 Prozent die FDP. Zugleich wird deutlich: „Die Zustimmung zu Rechtsextremismus wird jünger“, sagt Zick. Auffällig sind demnach die hohen Zustimmungswerte bei 18-34-Jährigen. 12,3 Prozent von ihnen haben laut der Studie ein rechtsextremes Weltbild. Zum Vergleich: Bei den Über-65-Jährigen sind es nur 4,4 Prozent. Insbesondere die Zustimmung zu Sozialdarwinismus, Antisemitismus sowie die Verharmlosung des Nationalsozialismus seien bei jungen Menschen besonders ausgeprägt, erklärt Nico Mokros.
Entsprechend plädieren die Autor*innen der Studie dafür, politische Bildung zu stärken. „Die Mitte hat sich in Teilen auf Distanz zur Demokratie begeben und ist nach rechts gerückt. In Teilen hat sie sich radikalisiert. Deswegen sind wir der Meinung: in Demokratieförderung investieren. Sie ist zentral. Demokratie muss gelernt und gemacht werden“, diagnostiert Andreas Zick. Er hält nichts von der viel propagierten Brandmauer gegen rechts. Denn: „Es ist kein Brand, sondern eher eine Überschwemmung in die Mitte. Wir stehen jetzt an einem Kipppunkt. Demokratie ist nicht genetisch veranlagt.“
Mehr Investitionen in die Demokratie
Die große Gefahr sehe er darin, „dass sich das, was wir beobachten, in Institutionen strukturell verankert“ und Rechtsextreme Zugang zu demokratischen Strukturen bekämen. „Das ist die neue Herausforderung. Deswegen müssen wir über andere Formen politischer Demokratiebildung nachdenken. Das muss uns viel wert sein. Denn Demokratieförderung bedeutet Prävention, Intervention, auch Deradikalisierung der Mitte.“ Kürzungen im Bereich der politischen Bildung halte er in jedem Fall für falsch. Stattdessen brauche es mehr Investitionen in die Demokratie. „Sie fällt nicht aus dem Himmel. Einstellungen können sich verändern. Nur müssen wir dafür sorgen.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo