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Warum ein SPD-Bundestagsabgeordneter Grundgesetze verteilt

Für Bernhard Daldrup ist das Grundgesetz ein besonderes Buch. Vor einigen Wochen hat es der Bundestagsabgeordnete an Passant*innen vor dem Reichstagsgebäude verteilt. Zum Grundgesetz-Jubiläum hatte er nun zu einem besonderen Wettbewerb aufgerufen.

von Kai Doering · 30. Mai 2024
SPD-Abgeordneter Bernhard Daldrup im Reichstagsgebäude: Das Grundgesetz entfaltet seine Wirkung erst im Zusammenspiel seiner Artikel.

SPD-Abgeordneter Bernhard Daldrup im Reichstagsgebäude: Das Grundgesetz entfaltet seine Wirkung erst im Zusammenspiel seiner Artikel.

Vor einigen Wochen haben Sie Grundgesetze vor dem Brandenburger Tor und dem Reichstagsgebäude verteilt. Wie ist es dazu gekommen?

Die Idee kam von der Landesgruppe der Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen. Es ging darum, im Jubiläumsjahr einzelne Artikel des Grundgesetzes in einem Video bei Instagram vorzustellen. Mit der Verteilaktion habe ich den Aufschlag gemacht. Ich verteile das Grundgesetz zu verschiedenen Anlässen schon länger. Das war aber das erste Mal, dass ich es in Berlin auf der Straße verteilt habe.

Wie waren die Reaktionen?

Wir sind zunächst zum Brandenburger Tor gegangen. Das Problem ist, dass sich dort vor allem Touristen aus anderen Ländern tummeln. Sie schätzen zwar Deutschland, haben aber keinen unmittelbaren Bezug zum Grundgesetz. Deshalb sind wir vor den Bundestag umgezogen. Dort waren die Menschen sehr interessiert – was sich auch schon daran zeigt, dass es jeden Tag lange Schlangen gibt von Menschen, die das Parlament besuchen wollen. Mit einigen konnte ich deshalb ins Gespräch kommen. Sie waren alle sehr offen und interessiert. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie ich aus dem Wahlkampf weiß. Allen war bewusst, dass das Grundgesetz elementar ist für unser Zusammenleben, aber intensiver reingeguckt, hat kaum jemand. Gefreut hat mich, dass alle, mit denen ich gesprochen habe, viele Grundrechte verinnerlicht haben, ohne sie im Wortlaut zu kennen oder genau zu wissen, welchen in welchem Artikel sie stehen. Darauf kommt es ja letztlich auch nicht an.

Was bedeutet das Grundgesetz für Sie?

Das Grundgesetz ist die zentrale Grundlage unseres politischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Deshalb kann es gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Natürlich muss niemand die 146 Artikel des Grundgesetzes auswendig lernen, aber mit den ersten 20 Artikeln sollte sich schon jede und jeder mal auseinandergesetzt haben, weil sie auch wichtig für die politische Kultur unseres Landes sind. Über eine Reform des Asylrechts wird man ganz anders denken und diskutieren, wenn man weiß, vor dem Hintergrund welcher Erfahrung es ins Grundgesetz geschrieben wurde. Gleiches gilt etwa für die Freiheitsrechte, die gleichermaßen durch den Staat gewährleistet werden, wie sie auch vor einem überbordenden Staat schützen. Wir sollten uns deshalb davor hüten, leichtfertig mit dem Grundgesetz umzugehen.

Haben Sie einen Lieblingsartikel?

Nein, denn das Grundgesetz entfaltet seine Wirkung ja erst im Zusammenspiel seiner Artikel. Schön finde ich die Geschichte hinter Artikel 3 – Männer und Frauen sind gleichberechtigt. In der Weimarer Reichsverfassung stand, Frauen und Männer haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Das Grundgesetz macht deutlich, dass es auch um die Gleichberechtigung in der Gesellschaft, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht geht. Ich finde, das ist eine große Errungenschaft. Im Zuge der Wiedervereinigung ist der Artikel ja auch um den Zusatz ergänzt worden, dass der Staat die Durchsetzung der Gleichberechtigung fördert. Etwas unterbewertet ist aus meiner Sicht Artikel 21, in dem auf die Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung eingegangen wird.

Was fehlt Ihnen im Grundgesetz?

Interessant finde ich die Debatte über die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Auch die Frage, wie der Föderalismus funktionsfähiger gestaltet sein könnte, stellt eine Herausforderung dar und schließlich gibt es Fragen wie die Digitalisierung, die damals noch keine Rolle gespielt haben, aber für unser Zusammenleben substantiell sind. Insgesamt hat sich unser Grundgesetz aber über die Jahre als sehr krisenfest bewiesen. 

Unter dem Titel „90 Sekunden Grundgesetz“ haben Sie zum Jubiläum einen Kurzfilmwettbewerb in Ihrem Wahlkreis gestartet. Wie ist es dazu gekommen?

Ich wollte gerne etwas zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes machen und habe überlegt, dass ich gerne eine junge Zielgruppe erreichen möchte. 16 Jahre sollte das Mindestalter sein, denn bei der Europawahl können 16-Jährige bereits wählen und setzen sich häufig aktiv mit Politik auseinander. Da junge Menschen sich besonders stark in den sozialen Medien bewegen, sind wir auf die Idee mit den Kurzvideos gekommen, da das Format von Instagram und TikTok bekannt ist. Die Resonanz war mit 35 Einsendungen ausgesprochen gut. Das Preisgeld kann sich mit insgesamt 2.000 Euro auch durchaus sehen lassen.

Wieso gibt es noch einen extra „Jugendpreis“ für 12- bis 15-Jährige?

Der war ursprünglich gar nicht geplant. Nachdem wir die Ausschreibung veröffentlicht hatten, haben sich zwei Schulklassen gemeldet und ihr Bedauern geäußert, dass sie nicht an dem Wettbewerb teilnehmen können, weil niemand von ihnen 16 ist. Darauf haben wir reagiert und noch einen extra Jugendpreis für 12- bis 15-Jährige ins Leben gerufen. Elf der 35 Einsendungen gab es in dieser Kategorie. Es haben aber nicht nur Schulklassen teilgenommen, es gab auch Einzel- und Gruppenbeiträge. Die Qualität ist durchweg sehr gut. Alle sind sehr professionell gemacht. Nach der Preisverleihung am vergangenen Montag werden wir einige der Videos in den kommenden Tagen auch im Internet veröffentlichen.

Der Wettbewerb

Am Montag fand die Preisverleihung für den Kurzfilmwettbewerb im Kino in Warendorf statt. Die Gewinner-Videos werden in den kommenden Tagen nach und nach auf der Facebook-Seite von Bernhard Daldrup veröffentlicht.

Am Montag fand die Preisverleihung für den Kurzfilmwettbewerb im Kino in Warendorf statt.
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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